XXII, 615 Seiten und 37(1992). XIX, 685 Seiten. Published for the Institute by Secker/Warburg, London.
Rezension
Immer mehr Dokumente aus der Zeit von ca. 1750 bis ca. 1950 werden gefunden und von kompetenten Historikern beurteilt und ausgewertet. Das Leo Baeck Year Book hat sich zum erstrangigen Organ für die neuzeitliche und moderne Geschichtsforschung über das europäische und amerikanische Judentum entwickelt. Die vorliegenden zwei Jahrgänge bezeugen dies eindrücklich. Hier ist leider nur eine eklektische Anzeige, jedoch keine umfassende Würdigung möglich.
Im Jahrbuch 1991 behandelt Michael A. Meyer (Jews as Jews versus Jews as Germans) Identitätsprobleme der deutschen Juden seit der Zeit Moses Mendelssohns. Eva Engel Holland (The World of Moses Mendelssohn) macht auf noch nicht edierte Briefe Moses Mendelssohns aufmerksam, deren Erscheinen bevorsteht. Steven Lovenstein (Two Silent Minorities: Orthodox Jews and Poor Jews in Berlin 1770-1823) legt eine sozialgeschichtliche Untersuchung vor. Es folgen dann verschiedene sehr gut detaillierte Untersuchungen über Antisemitismus im 19. und 20. Jh. sowie über Gruppen und einzelne, die ihn zurückzudämmen versuchten.
Ein besonders gelungenes wissenschaftliches Essay legen Christian Hoffmann und Daniel R. Schwartz vor: Early but Opposed: Supported but Late: Two Berlin Seminaries which Attempted to Move Abroad. Darin wird gezeigt, wie die orthodoxe und die liberale jüdische Hochschule, die in Berlin an der gleichen Straße lagen, bei Beginn der Naziherrschaft in gewaltige Schwierigkeiten gerieten, und welche Maßnahmen zu deren Rettung geplant wurden. Fünf weitere Artikel widmen sich dem Judentum unter der Naziherrschaft. Der Band wird abgeschlossen mit zwei Artikeln von Stefan Meineke und William W. Hallo über Franz Rosenzweig. Es ist nicht unnötig zu sagen, daß nicht nur alle Untersuchungen exakt belegt sind (oft sogar zweisprachig), sondern daß auch die Appendizes, die Indizes und die Bibliographie übersichtlich abgefaßt sind.
Der Jahrgang 1992 besitzt dieselben Vorzüglichkeiten, und in ihm wird dieselbe Periode umrissen wie im Jahrgang 1991. Thematisch steht er unter sieben Hauptabschnitten:
1. Jüdische Kultur und Religion. 2. Die Emanzipation in neuer Bewertung. 3. Jüdische Identität und Antisemitismus. 4. Geschichte aus der Literatur. 5. Krieg und Widerstand. 6. Haltungen in Richtung Vorurteil. 7. Jüdische Flüchtlinge in der Filmindustrie.
Herausgegriffen sei hier nur der Artikel von Michael Graetz: „From Corporate Community to Ethnic-Religious Minority, 1750-1830”. Es geht darin um die im Gefolge der Aufklärung notwendig gewordene Restrukturierung des Judentums in Deutschland. Geschlossene, jüdische, religiössoziale Gemeinschaften öffneten sich oder wurden durch Druck von außen geöffnet. Man wollte sich als ethnisch-religiöse Minorität in der neuen Gesellschaft etablieren und auch dem einzelnen Entscheidungen über seine Weise der Zugehörigkeit zum Judentum zugestehen.
Clemens Thoma
Jahrgang 1 — 1993/94 Seiten 51-52