Vor einigen Tagen (im Juni 1954) ging durch die Berliner Presse die Nachricht, dass sich der 46-jährige Günther Prinz, der vor kurzem aus Bolivien zurückgekehrt ist, das Leben genommen hat. Als Grund wurde Enttäuschung über die Schwierigkeiten angegeben, die ihm bei dem Versuch, seine Entschädigung zu erlangen, gemacht wurden. Soweit die Pressemeldung!
Prinz kehrte voller Hoffnung und mit dem Ziel in seine Heimat zurück, seinen ehemaligen Konfektionsbetrieb wieder einzurichten, aber alle seine Bemühungen, vom Entschädigungsamt die notwendigen Kredite zu erhalten, schlugen fehl, so dass er keinen anderen Ausweg als den Freitod sah.
Dieses Einzelschicksal, hinter dem unendlich viel Leid und Enttäuschung steht, sollte eine Warnung sein. Wir wissen wohl, wie hart das Los der Emigration ist, und es ist verständlich, dass die Emigranten die Hoffnung in ihrer Heimat suchen, aber dieser Fall soll ein Beweis dafür sein, dass die Informationen in den verschiedenen Ländern über die Situation in Deutschland falsch sind. Es werden den Menschen im Ausland übertriebene Hoffnungen gemacht, dass sie bei einer etwaigen Rückkehr nach Deutschland sofort eine materielle Wiedergutmachung erhalten und dass sie alle Chancen haben, ihre Eingliederung in das Wirtschaftsleben zu ermöglichen. Es ist daher in jedem Falle angebracht, dass jeder, der sich entschließt, aus seinem Emigrationsland zurückzukehren, die Verbindung mit der zuständigen jüdischen Gemeinde aufnimmt, um sich über den tatsächlichen Sachverhalt zu informieren und sich vor Enttäuschungen zu bewahren.
Dem Fall des Günther Prinz liegt noch die besondere Tragödie zu Grunde, dass er alle Mittel einsetzte, um nach 1945 die schweren Zeiten der in Deutschland lebenden nichtjüdischen Menschen überwinden zu helfen. Er sammelte Gelder und schickte dafür Lebensmittelpakete an die, die damals noch hungerten. Welch eine Ironie des Schicksals, dass diesem Mann, der sich menschlich auf diese Weise bewährte, eine Wirklichkeit in Deutschland widerfuhr, die ihn in den Tod trieb! Das Entschädigungsamt in Berlin mag in diesem Fall keine Schuld treffen, aber es sollte doch Anlass sein, das Los der zurückkehrenden Emigranten ernster zu beachten. Namhafte politische Persönlichkeiten der Bundesregierung erließen Aufrufe, um Menschen zur Rückkehr nach Deutschland zu bewegen. Ihre Erfahrungen stehen im Gegensatz zu den Versprechungen. Noch immer besteht der Stichtag vom 31. Dezember 1953, der alle späteren Rückkehrer von dem Anspruch auf PrV-Rente (Politisch, religiös Verfolgte) ausschließt. Die klare Forderung ist, dass für diesen Personenkreis, der seinerzeit Deutschland nicht freiwillig, sondern unter dem Zwang der Gestapo verlassen musste, jeder Stichtag in Fortfall kommen muss. Menschen, die einst in diesem Land gelebt haben, und ihre Existenz aufgeben mussten, haben das Recht, jederzeit hierher zurückzukommen, und die verantwortlichen Stellen haben hier gutzumachen, was einst gesündigt wurde ...
Wenn wir die Hilfeleistungen für die ehemals Verfolgten mit denen für andere Gruppen, Spätheimkehrer und dergleichen, vergleichen, dann müssen wir die Benachteiligung der Verfolgten des Nationalsozialismus feststellen. Den anderen Gruppen werden alle Möglichkeiten, und zwar schnellstens, geboten, ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern, während die einst vertriebenen Juden auf die soziale Fürsorge angewiesen sind. Es muss die Pflicht der verantwortlichen Instanzen sein, hier schnellstens eine Wandlung zu schaffen. Wir fordern nicht allein die Gewährung einer Versorgungsrente, die von keinem Stichtag abhängig sein darf, sondern die Schaffung eines Fonds für mittellose Rückkehrer, aus dem ihnen eine Überbrückung oder Mittel zum Beginn einer Existenz gewährt werden können. Ein enttäuschter Rückwanderer sieht nur in dem Freitod die einzige Lösung seiner schwierigen Situation. Ein Mensch, der Deutschland liebte, dessen sehnlichster Wunsch es war, hier von neuem zu beginnen, musste erleben, wie seine guten Taten vergolten wurden. Versprechungen und Erklärungen werden solange keinen Sinn haben, bis die Unmenschlichkeit von einst durch Beweise der Humanität ihre Wiedergutmachung findet. Noch ist es Zeit, an den Lebenden wieder gutzumachen. Das soll kein Appell an das Mitleid, sondern an die Gerechtigkeit sein, und der Fall des Günther Prinz sollte eine ernste Mahnung bedeuten.
(Aus: Allgemeine Wochenzeitung der Juden. IX/11, Düsseldorf, 18.6.1954.)
VII. Folge, 1954/1955, Nr. 25-28, S. 23