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Loren T. Stuckenbruck

The Book of Giants from Qumran

Spätestens seit der Entdeckung der Schriftrollen von Qumran ist die Vitalität des literarischen Schaffens in Palästina in den letzten Jahrhunderten v. Chr. deutlich geworden. Durch den Prozeß der Kanonbildung innerhalb des rabbinischen Judentums und des  Christentums ist diese Literatur bis auf wenige Ausnahmen verdrängt worden. Wenn man heute von diesen Werken als Sektenliteratur, zwischentestamentlicher Literatur oder Pseudepigraphen spricht, dann drückt sich darin eine Abwertung dieser Texte aus, die gegenüber der kanonisierten „biblischen“ Literatur bestenfalls zweitrangig ist. Dadurch ist es uns kaum mehr möglich, diese wichtige Epoche der Entwicklung der jüdischen – und damit auch der christlichen – Tradition aus ihrem eigenen Verständnis  wahrzunehmen. Ein besonders faszinierender Fall in dieser Literatur ist die sogenannte Henochliteratur. Damit sind eine Reihe von Werken gemeint, in denen die Gestalt des Patriarchen Henoch aus der biblischen Tradition eine zentrale Rolle als Visionär spielt und das in einer gekürzten Fassung  in der äthiopischen Kirche als kanonisches Buch überliefert wurde. Fragmente dieses Buches wurden aber auch in Qumran  entdeckt. Die ältesten Teile reichen in das 3. Jh. v. Chr. zurück und enthalten vor allem astronomische Darlegungen. Ein weiteres  Werk ist eine Bearbeitung der Erzählung des Falles der  Gottessöhne (Gen 6,1–4), mit der in frühjüdischer Zeit die Frage nach der Entstehung des Bösen verknüpft wurde und die daher in dieser Zeit von immenser Bedeutung war. Die Funde in Qumran brachten auch ans Licht, daß ein Teil dieser Henochliteratur, nämlich das Buch der Riesen, christlicherseits nicht tradiert wurde. Demgegenüber bildete es einen Teil des Kanons der gnostischen Manichäer und wurde bisher auf den Gründer dieser Bewegung, Mani, zurückgeführt. Das Buch der  Riesen handelt von den Giganten als den Nachkommen der gefallenen Engel/Gottessöhne. In Qumran wurden von 10 Manuskripten aus dem Buch der Riesen 199 Fragmente gefunden. Diesen Resten widmet sich Loren T. Stuckenbruck in seiner Monographie, die jedoch noch einen vorläufigen Charakter besitzt, da noch nicht alle Fragmente  publiziert sind.

In einer Einleitung (1–40) behandelt er zunächst die bisherige Forschung. Dann geht er der Frage der Rekonstruktion der Struktur des Buches der Riesen nach und beschäftigt sich mit dem Charakter des Textes und seiner Eigenart gegenüber den übrigen Texten des Henochbuches.  Abschließend kommt er in diesem Teil auf die Datierung, die  Herkunft und die Absicht des Textes zu sprechen. Er hält das  Buch der Riesen für ein ursprünglich selbständiges Werk, das  aber das Wächterbuch des Henochkanons voraussetzt. Zeitlich setzt Stuckenbruck das Werk noch vor Daniel und den militärischen Auseinandersetzungen unter Antiochos IV. (167–164) an (31). Wenn diese Datierung zutrifft, hätten wir mit diesem Werk ein weiteres ‘Lebenszeichen’ der vormakkabäischen Zeit, von der wir  ansonsten nur sehr spärlich unterrichtet sind, die aber für die Geschichte des 2. und 1. Jh. v. Chr. wohl von entscheidender  Bedeutung war, da hier ideologische und religiöse Vorentscheidunge n für diese Zeit gefallen sind. Geistesgeschichtlich situiert Stuckenbruck das ,Buch der Riesen’ innerhalb der Diskussion um das Selbstverständnis des Judentums in der synkretistischen  hellenistischen Welt des Vorderen Orients. So widersetzt sich  das Werk nach Stuckenbruck alternativen hellenisierenden Deutungen  der Nachkommen der Göttersöhne, die diese Geschöpfe aus den  antiken griechischen und babylonischen Kosmologien heraus  interpretierten und ihnen so eine positive Deutung als  Kulturschaffer zusprachen (34–36). Dagegen beharrt das  ,Buch der Riesen’ auf der Schlechtigkeit dieser Geschöpfe,  die durch die Sintflut zumindest als körperliche Wesen vernichtet  wurden und höchstens noch bis zum kommenden Gericht als  schaden- und krankheitsbringende Geister ihr Unwesen treiben (37–40). Als solche sind sie auch den neutestamentlichen und rabbinischen  Schriftstellern bekannt.

Das zweite und umfangreichste Kapitel präsentiert die betreffenden Fragmente in aramäischer Sprache und englischer Übersetzung mit Anmerkungen und einem Kommentar. In einem ersten Teil werden diejenigen Texte präsentiert, die mit einer gewissen Plausibilität dem Buch der Riesen zugeordnet werden können (41–213). In einem zweiten Teil werden jene Texte vorgestellt, die in der Forschung dem Buch der Riesen zugeschrieben wurden,  deren Zuschreibung aber nach Stuckenbruck nicht aufrechterhalten  werden kann. Den Abschluß bilden ein Glossar, eine Bibliographie  und ein Index. Für alle, die sich mit der Literatur des  Frühjudentums – wozu auch das Neue Testament gehört – und mit der Wirkungsgeschichte der biblischen Literatur befassen, ist das sorgfältig recherchierte Buch Stuckenbrucks eine spannende Lektüre und ein wichtiges Quellenwerk.


FrRu Heft 2 / 2002 Seite 150-152



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