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Susanne Schütz

Streiten für das Königtum Gottes

Robert Raphael Geis wurde am 4. Juli 1906 in Frankfurt a. M. geboren. Zu seinen Lehrern zählen Leo Baeck, Ismar Elbogen, Julius Guttmann und Harry Torczyner. Sein Konzept vom Königtum Gottes, das auf dieser Erde zu verwirklichen sei, entwickelt er in Übereinstimmung mit Bubers Denken. Geis war Jugendrabbiner in München (1932–1934), Rabbiner in Mannheim (1934–1937) und Land- und Gemeinderabbiner von Kurhessen und Kassel. Am 9. November 1938 wurde er ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt, am 7. Dezember nach Vorlage von Ausreisepapieren nach Palästina entlassen. 1946 kehrten er und seine Frau Susanne Geis aus Palästina nach Europa zurück, 1952 nach Deutschland. Von 1952–1956 war Geis Landesrabbiner von Baden. 1969 und 1971/72 übernahm er Honorarprofessuren für Judaistik in Duisburg und Göttingen. Robert Raphael Geis starb am 8. Mai 1972. Schütz beschreibt Geis’ Selbstverständnis als deutscher Jude, seine theologische Interpretation der Schoa, die schwierige Zeit als Landesrabbiner von Baden (das deutsche, liberale Judentum, dessen Ver-treter Geis war, gab es nicht mehr, viele Mitglieder der Gemeinden kamen aus Osteuropa) und seine Motivation für sein Engagement im christlich-jüdischen Gespräch. Die Autorin skizziert die Haltung der evangelischen Kirche im Nationalsozialismus und in den Jahren danach. Obwohl die Schuld der Kirche bekannt wurde, blieb der Zusammenhang zwischen christlichem Antijudaismus und Antisemitismus ausgeklammert. Im „Wort zur Judenfrage“ durch den Bruderrat vom 8. April 1948 wurde die Schoa sogar als göttliches Strafgericht über Israel dargestellt: „Daß Gott mit sich nicht spotten läßt, ist die stumme Predigt des jüdischen Schicksals [...]" (53 f.; vgl. FrRu 1[1948]6–8)!

Vorbereitet von der „Arbeitsgruppe Juden und Christen“ („Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag“), rückte das Thema Kirche/Christentum und Judentum mit ins Zentrum des Kirchentags in Berlin von 1961. Zu den christlichen Mitgliedern der Gruppe gehörten u. a. Helmut Gollwitzer, der Alttestamentler Hans-Joachim Kraus, Günther Harder und Adolf Freudenberg, die jüdischen Vertreter waren Robert Raphael Geis, Ernst Ludwig Ehrlich, Eva Reichmann und Schalom Ben-Chorin. Susanne Schütz schildert die inhaltlichen Positionen, gibt sehr anschaulich die positive, für das Thema offene Atmosphäre des Kirchentags wieder und stellt die Auseinandersetzungen in den folgenden Jahren dar, v. a. zwischen Geis auf der einen Seite sowie Harder und Gollwitzer auf der anderen Seite. Auf dem Kirchentag wurde die bleibende Erwählung Israels betont, Antisemitismus verurteilt und, gerade von Gollwitzer, die Schuld der Deutschen bzw. Christen bekannt. In der zum Kirchentag herausgegebenen Sonderdokumentation "Der ungekündigte Bund" lehnt Gollwitzer die Judenmission ab, aber nicht grundsätzlich, sondern aus historischen Gründen, da man nach der Schoa nicht mehr wisse, wie man den Juden das Evangelium bezeugen könne. Für Geis war ein Christus- Zeugnis mit der Perspektive der endlichen Bekehrung der Juden nicht akzeptabel, da es die Gültigkeit des jüdischen Gottesverhältnisses negiert. Geis wehrt sich zu Recht gegen Harders Behauptung, das Judentum sei kein vollgültiger Weg zu Gott und kritisiert scharf das weitere Festhalten Gollwitzers an der Judenmission.

Susanne Schütz gibt eine sehr differenzierte Darstellung der Entwicklungen in der evangelischen Kirche, des jüdisch-christlichen Gesprächs, der Enttäuschungen und Auseinandersetzungen, mit denen Geis konfrontiert war, und auch der persönlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten (etwa der FrRu NF 2/2007 229 Wechsel von Freundschaft zu Konflikt zu Freundschaft zwischen Geis und Gollwitzer). Die Autorin stützt sich in ihrer exzellenten Studie nicht nur auf eine umfassende Literatur, sondern auch auf Gespräche mit Susanne Geis und Hans-Joachim Kraus. Sie bringt dem Leser Robert Raphael Geis nahe und läßt ein Stück Zeitgeschichte lebendig werden. Daß das Buch dabei auch weiterhin aktuell ist, erkennt man in den Diskussionen auf christlicher Seite, die auch heute noch im Verhältnis zum Judentum um die Punkte Christus-Zeugnis, Missionsauftrag, Heilsweg ringt.


Jahrgang 14 / 2007 Heft 3 Seite 228



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