Dieses Buch tut weh. Es geht in dem geschichtlich fundierten Roman um jene finstere Zeit christlicher Kirchengeschichte, in der Juden wegen des Ritualmordes an Kindern verdächtigt, gefoltert, verurteilt und hingerichtet wurden. Konkret geht es um den später durch Papst Sixtus V. sogar heiliggesprochenen Simon von Trient, der in der Karwoche des Jahres 1475 verschwand und später tot aufgefunden wird. Sehr schnell führen die Spuren zu den wenigen Juden, die in der Stadt wohnen. Noch schneller ist das Urteil gefällt, auch wenn die Beweise alles andere als stichhaltig sind: „Es waren die Juden. Die Juden, wer sonst, haben das Kind getötet, weil sie das Blut eines getauften Kindes für das Pessachmahl benötigten, so wie es überall unter Juden üblich ist, wie ja alle Welt weiß.“ In den grausamen Verhören – sprich: Folterungen – werden alle nur erdenklichen Antijudaismen aufgetischt: Gottesmörder, Teufelsdiener, Brunnenvergifter, Geldjuden und Ausbeuter. Die Juden werden so lange drangsaliert, bis sie alle ein Geständnis ablegen. Die Justiz und die Rolle der offiziellen Kirche werden zur Farce. Wahrheit spielt keine Rolle, nicht einmal der Glaube, wie am Ende des Romans der Trienter Bischof Johannes IV. Hinderbach (1418–1486) gesteht, nur das möglichst umfassende Geständnis und die schnelle Hinrichtung (Verbrennung und Enthauptung) der Juden und der damit verbundene Prestigegewinn der Kirche in der Bevölkerung, der Gewinn an Macht – und natürlich das Geld, das die Vernichtung der Juden und die Verehrung des kindlichen Märtyrers einbringen wird.
Der Autor Alexander Lohner (*1962) studierte Theologie, Philosophie und Sozialpsychologie. Er ist Lehrbeauftragter im Fachbereich Philosophie an der Universität München, Honorarprofessor an der Universität Kassel und arbeitet als Referent für das katholische Entwicklungshilfe-Werk Misereor. Mit seinem ersten Roman „Die Jüdin von Trient“ gelingt ihm ein sehr guter und fundierter historischer Roman. Er recherchiert sauber und hält sich – trotz dichterischer Freiheiten – an die geschichtlichen Fakten, unter anderem auch daran, dass sich nicht jeder in der kirchlichen Hierarchie dem allgemeinen Judenhass anschließen will. Der Papst etwa schickt einen Bischof nach Trient, um die Verurteilung der Juden zu verhindern, freilich weniger aus Freundschaft zu den Juden als vielmehr, um seinen Herrschaftsanspruch gegenüber dem Bischof von Trient deutlich zu machen. Die Bemühungen des päpstlichen Kommissärs Giovanni Battista dei Giudici, Bischof von Ventimiglia, bleiben jedoch ohne Erfolg. Lohner lässt allerdings durch diesen Bischof in dieser finsteren Geschichte in wenigen Zeilen den Weg aufleuchten, den Christen in der Nachfolge Jesu gehen sollten:
„Gott ist die Liebe […], alle Dogmen und alle Zeremonien unserer Religion sind nichtig, wenn die Liebe fehlt. Ich sage nicht, dass unsere Glaubenswahrheiten und Riten unwichtig seien und unsere christliche Religion im Liebesgebot aufgeht, aber was ich sage ist dies: Die Liebe ist der Maßstab für all unser Glauben und Tun. Die Wahrheit dessen, was wir glauben, muss sich in der Liebe beweisen. Der Glaube an die jüdische Verworfenheit im Allgemeinen und an die jüdischen Blutmysterien im Besonderen fördert diese Liebe nicht. Also ist er falsch – Köhlerglaube, Aberglaube, Ketzerei gegen die christliche Liebe und daher schlimmstes Heidentum“ (365 f.).
Schließlich bringt der Bischof von Ventimiglia die Hoffnung zum Ausdruck, dass es eventuell einmal eine Zeit geben wird, in der Juden und Christen in einen von Toleranz und Achtung geprägten Dialog treten können: „Vielleicht wird einmal eine Zeit kommen, wo sich Christen und Juden in Liebe und gegenseitiger Achtung ihre Religionen und Glaubensüberzeugungen erklären und über sie wissenschaftlich und duldsam disputieren können […]“ (371 f.). Freilich wird dies, so der Bischof, noch Jahrhunderte dauern. Bis dahin werden Christen weiterhin viel Leid über das jüdische Volk bringen. Das Buch endet in einem Nachwort mit dem Hinweis, dass die Verehrung des „heiligen“ Simon von Trient und anderer Kinder, die Opfer von vermeintlichen jüdischen Ritualmorden geworden sein sollen, erst 1965 durch Papst Paul VI. aus dem offiziellen kirchlichen Märtyrerkalender gestrichen wurden, und dass Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 die Juden um Vergebung für all das Leid bat, das ihnen durch Kirche und Christenheit zugefügt wurde. Dieser Roman über die „Jüdin von Trient“ zeigt sehr eindringlich, dass es für diese „historische Vergebungsbitte“ höchste Zeit war. Lohners Roman hat wirklich wehgetan. Aber ich bin froh, ihn gelesen zu haben.
Jahrgang 15 / 2008 Heft 1 Seite 50