Das Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum basiert auf umfassenden Publikationen über die jüdischen Gemeinden und Friedhöfe im Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches und seiner Vorgänger, den deutschsprachigen Regionen und Ländern. Diese sind in alphabetischer Reihenfolge Baden (Franz Hundsnurscher/Gerhard Taddey), Bayern (Baruch Ophir/Falk Wiesemann), Böhmen (Rudolf Wlaschek), Brandenburg (Irene Diekmann/Julius H. Schoeps), Hessen (Paul Arnsberg), Mähren (Hugo Gold), Mecklenburg-Vorpommern (Irene Diekmann), Niedersachsen und Bremen (Zwi Asaria/Herbert Obenaus), Nordrhein-Westfalen (Elfi Pracht-Jörns), Pfalz (Alfred Hans Kuby), Saarland (Albert Marx), Sachsen (GCJZ Dresden), Sachsen-Anhalt (Landesverband jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt), Schleswig-Holstein (Elke Imberger), Thüringen (Thüringer Institut für Lehrerfortbildung) und Württemberg-Hohenzollern (Paul Sauer). Nimmt man die östlichen Länder Oberschlesien (Peter Maser/Adelheid Weiser), Ostpreußen (Ronny Kabus), Pommern (Wolfgang Wilhelmus), Posen, Ostpreußen und Westpreußen (Michael Brocke u. a.) sowie Österreich (Pierre Genée) hinzu, schließt sich der Kreis der deutschsprachigen Territorien mit dem westlich gelegenen Luxemburg und dem Elsass (Michel Rothé/Max Warschawski). Die Schweiz wurde wichtig als Fluchtstätte für Juden aus Deutschland. Zu jeder jüdischen Gemeinde sind neben den Darstellungen der Gemeinden in den genannten Publikationen zu Ländern und Territorien Monografien verzeichnet.
Was dieses Lexikon auszeichnet, sind bei jeder Einzelbesprechung zunächst die Berichte über die Anfänge, die zeitgenössischen Schilderungen in Ausschnitten, die oft weit ins Mittelalter zurückreichen. Die Epoche der Aufklärung und das Anwachsen der jüdischen Gemeinden im 18. und 19. Jahrhundert bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts wird deutlich. Aus der jüdischen Bevölkerung, die meist vom Klein- und Viehhandel lebte, hoben sich Geschäftsleute, Bankiers und wohlhabende Fabrikantenfamilien heraus. Das Verhältnis zwischen der christlichen und der jüdischen Bürgerschaft war – von Ausnahmen abgesehen – ohne Spannung und friedlich, was besonders bei der Einweihung einer Synagoge sichtbar wurde: die Landesregierung, der Magistrat der Stadt und die christliche Geistlichkeit nahmen an den Feierlichkeiten teil; nicht zu vergessen, dass dabei stets Gebete für die Obrigkeit verrichtet wurden. Dies änderte sich schlagartig mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933.
Die Boykottierung jüdischer Geschäfte zum 1. April 1933 war das Signal zur Diskriminierung der jüdischen Mitbürgerschaft bis zum vorläufigen Gipfel in der Reichspogromnacht 9./10. November 1938. Die Nazi-Schlägertrupps demolierten fast alle Synagogen und deren Inventar. Vor der Inbrandsetzung schreckte man nur dort zurück, wo die anliegenden Häuser mitverbrannt wären. Viele Hundert Menschen starben an den Misshandlungen. Wer jetzt noch nicht emigrierte, wurde mit Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 Opfer der systematischen Ausrottung, zunächst in den Konzentrationslagern, die die Nationalsozialisten schon ab 1933 eingerichtet hatten auf dem Reichsgebiet, dann in den Vernichtungslagern „im Osten“, wohin die Deportationszüge rollten. Detaillierte Angaben darüber finden sich z. B. zu Theresienstadt.
Zu den Abbildungen im Lexikon von Synagogen und jüdischen Friedhöfen trug eine umfangreiche Foto-Sammlung bei, die im Besitz von Joachim Hahn ist. Oftmals sind aber nur die jüdischen Grabsteine Zeugen einer ehemaligen jüdischen Gemeinde. Auf Publikationen über Synagogen und Friedhöfe wird gesondert in den Literatur-Listen verwiesen. Die Wiedererrichtung jüdischer Gemeinden in der Zeit nach der Schoa und nach dem Zweiten Weltkrieg ist, soweit geschehen, dokumentiert. In vielen Fällen wird freilich nur der Text einer Gedenktafel der ehemaligen jüdischen Gemeinde oder Synagoge abgedruckt. Trotzdem ist erstaunlich, wie viele ehemalige Synagogengebäude und jüdische Friedhöfe wiederhergestellt sind. Entsprechend informativ sind auch die Angaben über die jüdische Bevölkerung eines Ortes oder einer Stadt auf der beigegebenen Statistik einer jeden Gemeinde von Anfang ihres Bestehens an. Für die Zeit nach 1945 bis heute finden sich da und dort wieder ansehnliche Zahlen. Man legt die drei Bände nicht aus der Hand, ohne tief darüber beschämt zu sein, was Menschen ihren Mitmenschen angetan haben.
Alwin Renker, Freiburg
Jahrgang 17 / 2010 Heft 1 Seite 52