Peter von der Osten-Sacken/Chaim Z. Rozwaski (Hg.)
Dieses Buch ist nach Aussage seiner Herausgeber in der Verbindung seiner Themen und in seiner Anlage einzigartig. Es umfasst einerseits eine gründliche systematische Darstellung jüdischer Feste einschließlich des Sabbats, andererseits eine breite Auswahl jüdischer gottesdienstlicher Gebete, darunter auch Gebete des Reformjudentums, die eigens für diese Publikation übersetzt und jeweils mit Einleitungen versehen wurden. Eine weitere Besonderheit des Buches sind seine beiden Herausgeber: Peter von der Osten- Sacken ist emeritierter evangelischer Professor für Neues Testament und ehemaliger Leiter des Instituts Kirche und Judentum, des Zentrums für christlich-jüdische Studien an der Humboldt-Universität zu Berlin, Chaim Z. Rozwaski ist Rabbiner der jüdischen Gemeinde Berlin. Ihr Buch ist Frucht gemeinsamer Seminare an der Humboldt-Universität.
Das Werk umfasst vier Teile, jeweils einen kürzeren am Anfang und am Ende, dazwischen zwei große Hauptteile. In Teil I bietet Peter von der Osten-Sacken auf wenigen Seiten eine elementare und zugleich außerordentlich fundierte Einführung in die Welt des jüdischen Gottesdienstes anhand der leitenden Begriffe Zeit, Ort, Person, Sprache, Ritus und Gestik, Adressat, Richtungen im Judentum. Er hat das Judentum in Europa, Israel und den USA im Blick und spricht auch neueste Entwicklungen wie das Bemühen jüdischer Frauen um Gleichstellung auch im Gottesdienst an.
Im II. Teil, der rund ein Drittel des Buches umfasst, publizieren die Herausgeber die von ihnen bearbeitete Schrift „Das gottesdienstliche Jahr der Juden“ von Theodor Schärf aus den Jahren 1901/02 erneut. Theodor Schärf (1864–1923) war Pfarrer der Herrnhuter Brüdergemeine in Schlesien, 1893/94 hatte er am Leipziger Institutum Judaicum studiert. Schärfs Darstellung zeichnet sich durch klare Systematik, hohe Sachkenntnis und ein großes, in seiner Zeit unter Christen seltenes Einfühlungsvermögen aus. Er teilt die jüdischen Feste in Jahresfeste und Wochen- bzw. Monatsfeste ein.
Die Jahresfeste umfassen vier Gruppen: Wallfahrtsfeste, Feiertage („Jamim Noraim“, die sogenannten furchtbaren Tage am Jahresbeginn), Gedenktage (Fasttage, Chanukka und Purim) sowie Merktage (z. B. Tu Bischwat, das Neujahrsfest der Bäume). Das Wochenfest ist der Sabbat, das Monatsfest Rosch Chodesch (Tag des Neumonds). Schärf erläutert jeweils Name, Bedeutung, Gebote und Sitten eines Festes sowie den synagogalen und häuslichen Teil der Feier nach orthodoxem Ritus. Er folgt dabei einem Grundsatz, der in der christlichen Rede vom Judentum erst in den vergangenen Jahrzehnten allgemein Beachtung findet, nämlich mit Respekt jüdisches Selbstverständnis zur Sprache zu bringen. So schreibt er über den Sabbat:
„Die Sabbatruhe hat nach jüdischer Auffassung nicht zum Hauptzweck, dem Leib und dem Geist die nötige Ausspannung zu gönnen, um der Seele freie Zeit und die Fähigkeit zu geben, sich mit geistlichen Dingen zu beschäftigen, oder neue Kraft zu neuer Werktagsarbeit zu sammeln. Die Sabbatruhe hat vielmehr ihren Zweck in sich selbst; sie ist die Erfüllung des göttlichen Gebotes, die Arbeit einzustellen, und zugleich des göttlichen Verbotes, keine Arbeit zu tun. Etwas anderes kommt für den Juden bei der Sabbatruhe nicht in Betracht als nur das, dass er damit das ihm auferlegte Gebot und Verbot erfüllt“ (111).
Teil III, der zweite Hauptteil, enthält eine umfassende Auswahl der gottesdienstlichen Gebete der Juden von Peter von der Osten-Sacken. Diese sind nach den unterschiedlichen Formen der Gottesdienste in drei Teilen angeordnet: der Gottesdienst an Werktagen, am Sabbat und an Fest-, Feierund Gedenktagen. Die Gottesdienstliturgien und die einzelnen Gebete sind jeweils mit einer Einleitung versehen. So ist dieser dritte Teil des Buches eine Zusammenstellung der wichtigsten Teile aus dem Siddur (Gebetbuch für Werktage und Sabbat) und dem Machsor (Gebetbuch für die Festtage) und zugleich deren Kommentar. Die flüssig zu lesenden Einleitungen zeigen die tiefe Vertrautheit des Autors mit jüdischem gottesdienstlichem Leben. Die grafische Darstellung der Gebetstexte in Sinnzeilen erleichtert das Lesen enorm und lässt den Unterschied zu den kommentierenden Teilen sofort ins Auge fallen.
Besonders spannend sind die Abschnitte über die neuen Erinnerungstage, den Holocaust-Gedenktag und den Unabhängigkeitstag des Staates Israel sowie der Ausblick auf Horizonte heutigen Betens im Judentum, das, ausgehend vom biblischen Verständnis des Gebets, nie allein vom Vertrauen auf Gott, sondern immer auch „von einer weitgreifenden Hoffnung auf Veränderung bestimmt“ ist (295). Chaim Z. Rozwaskis Essay „Von der Macht des Gebets“ rundet das Buch ab. Der Autor führt private und öffentliche jüdische Gebete auf die Tora zurück und gibt damit ein Beispiel von der Schönheit und Tiefsinnigkeit rabbinischer Schriftauslegung. „Jedes Gebet, das wir sprechen, öffnet eine Tür, die zum Himmlischen Thron führt“ (303).
Ein Anhang enthält Übersichtstafeln über die Feste und Feiern, ausführliche Literaturangaben und Register. Das Buch hält, was die Herausgeber versprechen: es ist einzigartig sowohl als Studienbuch wie als Werk zum gezielten Nachschlagen einzelner Informationen, von hoher inhaltlicher Qualität, flüssig zu lesen und sehr günstig in der Anschaffung. Es hat alle Voraussetzungen, um zum verbreiteten Studienbuch jüdischen Gottesdienstes und jüdischer Feiertage zu werden.
Jahrgang 18 / 2011 Heft 1 Seite 43