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Mária Micaninová

Koruna král’ovstva rabi Šlomo ben Gabirola (Krone des Königtums des Rabbi Solomon ben Gabirol)

Dieses Buch ist das Resultat der jahrelangen Zusammenarbeit zwischen der Philosophiedozentin Mária Micaninová an der Philosophischen Fakultät der Pavol Jozef Šafárik Universität in Košice, Slowakei, und dem Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Košice, Jossi Steiner. Die erste slowakische Übersetzung des Gedichtes „Krone des Königtums“ von Schlomo ben Gabirol war 2003 ohne Kommentar und ohne Erläuterungen erschienen. Die Autorin dieser zweiten Übersetzung bevorzugte (Begleitwort und Kommentar) den historisch-phänomenologischen Zugang zum Text des Hymnus und bemühte sich um die Vereinigung der geschichtsphilosophischen Aspekte der Erforschung von Ibn Gabirols Werk mit dem philosophischmystischen Charakter der Krone des Königtums. Das Buch ist in sechs Kapitel geteilt.

Das erste Kapitel enthält die Lebensgeschichte von Solomon (Schlomo) ben Jehuda Ibn Gabirol, die sich zwischen seiner angeblichen Geburtsstadt Málaga und den Städten Saragossa, Granada und Valencia abspielte. Höchstwahrscheinlich wurde er Anfang des 11. Jh. geboren und lebte ungefähr 30 Jahre, wobei die Umstände seines frühen Todes in Valencia bis heute nicht geklärt sind. Die Legende über seinen Tod diente mehreren Autoren als Inspiration, unter anderen auch Heinrich Heine. Erwähnt wird nicht nur die außerordentliche intellektuelle Begabung Ibn Gabirols, sondern auch seine cholerische Natur, die Ursache seines problematischen Zusammenlebens mit anderen Menschen und seiner lebenslangen Einsamkeit.

Das zweite Kapitel, zum geschichtsphilosophischen Kontext der Werke von Ibn Gabirol, beschreibt die wichtigsten religiösen, kulturellen und philosophischen Einflüsse, die sein Denken geprägt haben. An erster Stelle war es die rabbinische Literatur, denn alle mittelalterlichen jüdischen Philosophen waren ihrer Ausbildung nach Rabbiner. Sie hatten Talmud und Tanach studiert und benutzten diese Texte in der für den Talmud typischen Argumentationsweise. In Ibn Gabirols Werk ist aber auch der jüdisch-islamische Kontext bemerkbar, vor allem eine Neigung zum Sufismus, ein Resultat der Interaktion zwischen der jüdischen und der arabischen Kultur.

Nicht weniger signifikant ist auch der griechische Kontext, vor allem der Neuplatonismus und der Aristotelismus. Die Autorin meint, dass diese in seinem Werk so sichtbar werden, dass das metaphysische Traktat "Die Lebensquelle" alle Bedingungen des platonisch gedachten Dialogs erfüllt und die Argumentation des Traktats an die aristotelische Urteilstheorie erinnert. "Die Lebensquelle" ist ganz im Rahmen der mittelalterlichen Metaphysik geschrieben und spiegelt deswegen eine Kosmologie neuplatonischer Art, in der sich die wichtigsten Gesichtspunkte des Judaismus mit dem logischen Schema des Neuplatonismus verbinden, d. h. der islamischen Auffassung des Neuplatonismus, wie sie im Andalusien des 11. Jh. verbreitet war.

Das gilt auch für das ethische Traktat "Buch der Verbesserung der Seeleneigenschaften", nur mit dem Unterschied, dass in diesem Werk ein gründlich ausgearbeitetes System ethischer Werte vorgestellt wird, womit sich Ibn Gabirol der traditionellen talmudischen Sittenlehre, in der die Bibel zu Wohltaten verpflichtet und das Wohltun durch die Parabeln begründet wird, entfremdet. Trotzdem stellt dieses Werk keine Abhandlung ethischer Normen dar, auch wenn es in der jüdischen Philosophie als erster Ansatz der Verbindung von Ethik und Psychologie beurteilt werden kann.

Das dritte Kapitel enthält eine umfangreiche und detaillierte Einführung in die Dichtung von Ibn Gabirol. Er selbst erwähnt in einem seiner Gedichte, er hätte insgesamt zwanzig Bücher geschrieben, also wesentlich mehr als heute bekannt. Gabirol hat seine Werke im Auftrag von jüdischen Gemeinden, Mäzenen oder Freunden verfasst. Sein literarisches Werk kann man der Form nach in Prosaisches und Poetisches unterteilen; bei seiner Prosa unterscheiden wir – inhaltlich – philosophische und ethische Traktate; seine Dichtung (Poesie) wird entweder als religiös oder als profan bezeichnet. Die Gedichte wurden alle auf Hebräisch geschrieben; die philosophische und ethische Prosa dagegen wurde in arabischer Sprache verfasst.

In der religiösen Dichtung ist die Rückkehr zum biblischen Gebrauch des Hebräischen zu beobachten und nicht selten findet man auch von Ibn Gabirol selbst geprägte neue Wortschöpfungen. Ein gewisses Novum bedeutete auch die Inspiration durch das arabische Metrum und die Verwendung des arabischen Reims. Eine spezifische Gruppe bilden jene Gedichte, die zwar in Hebräisch geschrieben sind, dem Inhalt nach jedoch philosophische Texte sind, vor allem das mystisch-philosophische Gedicht Ahavticha und der philosophische Hymnus Krone des Königtums.

Das vierte Kapitel erläutert die allgemeine Charakteristik des Hymnus Krone des Königtums. In diesem Kapitel erzählt Micaninová die Geschichte der Entstehung und Überlieferung des Gedichtes, das in der ersten Hälfte des 11. Jh. geschrieben und im 16. Jh. allmählich zum Bestandteil aller sephardischen und einiger aschkenasischen Gebetbücher für den Versöhnungstag (Jom Kippur) wurde.

Dieser einzigartige Hymnus verbindet in sich die religiöse und philosophische Seite des auf den Prinzipien des Judentums gegründeten Weltbildes. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum man die "Krone des Königtums" im 19. Jh. schon in allen in Prag, Budapest und Wien herausgegebenen Siddurim zum Vorabend von Jom Kippur finden kann. Am Ende des vierten Kapitels erwähnt die Autorin alle im 20. und 21. Jh. herausgegebenen Übersetzungen des Hymnus, darunter auch die deutsche Version des Gedichtes in der Übersetzung von Christoph Correll, die 1994 in Berlin von Eveline Goodman-Thau und Christoph Schulte unter dem Titel "Krone des Königtums" herausgegeben wurde.

Das fünfte Kapitel gibt den Text des Gedichtes im hebräischen Original und in seiner Übersetzung ins Slowakische wieder. Ihre Gegenüberstellung soll den Vergleich der Texte wesentlich erleichtern. Bei der Transkription der hebräischen Wörter ins Slowakische wurde die phonetische Transkription der international gebräuchlichen englischen Transliteration verwendet.

Im sechsten Kapitel findet sich ein ausführlicher Kommentar zu jeder Strophe des Hymnus. Dies sollte nach Micaninová, der Autorin von zahlreichen Studien zur jüdischen und islamischen Philosophie des Mittelalters, nicht nur eine Erläuterung des Gedichts sein, sondern auch auf die Kontinuität des Denkens von Ibn Gabirol, die trotz mehreren Wandlungen der Begriffsbedeutungen in seinen Texten zweifellos erhalten blieb, hinweisen.

Dieses Buch zeigt nicht nur den analytisch-synthetischen Charakter der Philosophie und Dichtung Ibn Gabirols; es reflektiert auch die Entwicklung der jüdischen Philosophie im Kontext des christlichen und islamischen Europa des Mittelalters. Es ist für Leser geeignet, die den unter dem Schleier von Mystik und Metaphern verhüllten Zauber der mittelalterlichen jüdischen Philosophie entdecken wollen.

Kristina Bosáková, Košice, Slowakei


Jahrgang 18 / 2011 Heft 4 Seiten 292−294



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