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Thomas Harlan

Veit

Die Liebe zur Wahrheit und die Liebe zu einem Vater, der sich seiner Schuld nicht stellen wollte, bestimmen „Veit“, das letzte Buch des 2010 verstorbenen Thomas Harlan. Er diktierte diesen Brief an seinen Vater, als er schon  schwer krank war. Er wusste also, dass es sein Vermächtnis sein würde und  wollte noch von dem sprechen, was er mit seinen vielen Filmen und Büchern noch nicht gezeigt und gesagt zu haben glaubte. In der Vorbemerkung heißt es:

„Ich habe dieses Buch nicht geschrieben Ich habe es diktiert. Insofern ist es mir fremd. Wer zehn Finger besitzt, die ihm gehorchen, wer das Glück hat, schreiben zu dürfen, der schreibt, wenn er schreibt, zumeist etwas anderes als das, was er sich zu schreiben vorgenommen hat. Hier wäre das andere die Gestalt meines Vaters: der Riese, die Eiche meiner Kindheit. Dies alles gibt es nicht mehr. Dennoch hat dieses Buch vielleicht einen Sinn, dennoch sage ich vielleicht so etwas Ähnliches wie die Wahrheit.“

Immer ging es um Wahrheit und um Schuld im Leben des Thomas Harlan und in seiner Kunst. So also auch in diesem Buch über Veit Harlan, den Regisseur von Jud Süß, über den sich Joseph Goebbels 1940 in seinem Tagebuch freute: „Ein ganz großer genialer Wurf. Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können.“ Diese Sätze finden sich zusammen mit vielen Anmerkungen und Erläuterungen im Anhang, den der Verlag dankenswerterweise der literarischen Beschwörung des Vaters folgen lässt.

Thomas Harlan widmete sein ganzes Leben der Aufdeckung nationalsozialistischer Verbrechen und der Benennung von Kontinuität in der Bundesrepublik. Er fühlte drückend die Schuld des Vaters, die dieser nicht anerkennen wollte. Auch deutsche Nachkriegsgerichte wollten sie nicht erkennen und sprachen den Regisseur in zwei Prozessen frei. Selbst wenn der Sohn unterscheiden konnte: zwischen Mördern und denen, die ein „Mordinstrument“ – wie er den Film seines Vaters nannte – lieferten, zündete er doch als junger Mann, zusammen mit seinem Freund Klaus Kinski, ein Kino an, in dem Filme seines Vaters gespielt wurden. Niemand verdächtigte sie.

Doch als der Sohn nach Polen ging, um dort in Archiven deutschen Kriegsverbrechern nachzuspüren, fühlte sich der Vater angegriffen:

„Ich habe einen Sohn, so sagtest Du, Vater, der die Beschäftigung mit dem Abscheulichen der Beschäftigung mit dem Schönen vorzieht und mir darob großen Kummer bereitet.“

Es hieß, er versuche nur anstelle seines Vaters „andere Väter umzubringen“.

1964 eilte der verstoßene, enterbte Sohn, nun doch herbeigerufen, ans Sterbebett seines Vaters. Von diesen Tagen und dem qualvollen Ringen miteinander spricht „Veit“ auf atemberaubende Weise:

„Ich hatte mein Leben geändert. Du hattest Dein Leben nicht geändert, Du Unabänderlicher.“

Die Anrufung endet damit, dass der Sohn wünscht, die Schuld des Vaters auf sich nehmen zu können, in Liebe.

Bettina Klix, Berlin


Jahrgang 19/2012, Heft 1, 62.


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