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Beate Ego/Armin Lange/Peter Pilhofer/Kathrin Ehlers (Hg.),

Gemeinde ohne Tempel

Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum.

In den 28 Beiträgen (deutsch/englisch) geht es um Folgerungen aus Bibel, Apokryphen, Pseudepigraphen, Qumran, rabbinischem Schrifttum, archäologischen Funden sowie aus römischen und griechischen Quellen. Sie erklären, wie in Krisenzeiten und nach zweimaligen Tempelzerstörungen (587 v. und 70 n. Chr.) in israelitisch-jüdischen Kreisen gedacht und gebetet wurde und welche Gottesdienstvorstellungen und religiösen Identitäten daraus erwuchsen.

Ein Tenor durchzieht das ganze Werk: Zu allen Zeiten des Tempelbestandes gab es stets jüdische Gruppen, die sich zum gemeinsamen Gebet versammelten und so zu Vorboten der später allgemein verbindlichen Wortgottesdienste wurden. Die Aussage von Ez 11,16

„Auch wenn ich sie weit weg unter die Völker geführt und in alle Länder zerstreut habe, so bin ich doch in den Ländern, wohin sie gekommen sind, beinahe zum Heiligtum für sie geworden“,

ist laut Andreas Ruwe (3–18) zu einer sakralen Stütze damaliger jüdischer und späterer christlicher Gottesdienstauffassungen geworden und mit Jan Assmann als „Umbuchung Gottes“ (16) bezeichnen.

Matthias Albani deutet Jes 66,1 f., „Was wäre das für ein Haus, das Ihr mir bauen könntet?“, als Entfremdung vom Opfergottesdienst und Annäherung an den Wortgottesdienst. Zusätzlich gibt es eine „Selbstbindung“ des Ewigen an Israel. Damit wurde nach der ersten Tempelzerstörung versucht, Glaubenskrisen zu bewältigen (42 f.). Für den Neubau des Zweiten Tempels sprach, so Ina Willi-Plein, die Notwendigkeit der Buße sowie „eine Perspektive der Hoffnung" (80). Laut Thomas Willi ging es dabei nicht in erster Linie um den Tempel, sondern zuerst "um eine Kultur der Tora und erst dann [um] eine Tempelkultur“ (88).

Erich Zenger deutet die Psalmenbeter „als heiligen Tempelbau, als Metaphorisierung der Tempeltheologie. Der Beter ruft die Gotteswirklichkeit herbei, die eigentlich im und vom Tempel erwartet wird“ (121). Auch die Ägypter suchten die Nähe eines Tempels und den Schutz der Götter. „Die Götter Ägyptens waren dort, wo ihre Gläubigen waren“ folgert Dieter Kurt (140). William Horbury läßt in Der Tempel bei Vergil und im herodianischen Judentum (149) ein Bild der tempelorientierten Frömmigkeit entstehen (149).

Jörg Frey sieht in den „Rivalen“ des Jerusalemer Tempels in Elephantine, auf dem Berg Garizim und in Leontopolis „keine neue religiöse Trennung von Jerusalem oder gar vom Judentum“ (198). Beate Ego folgert aus Deutungen tempeltheologischer Motive in Ben Sira:

„Durch die Vorstellung von der Tora und der Lehre als einem Element des Lebens, die mit Schriftauslegung und der Institution des Lehrhauses einherging, war der Grund für ein Leben ohne Tempel gelegt“ (212).

J. T. van Ruiten kommt zu dem Ergebnis, daß im Jubiläenbuch zwar frühere Heiligtümer in Israel kritisiert werden, aber „auf einen zukünftigen eschatologischen Tempel auf dem Zion“ gezielt wird (225).

Nach Ansicht von Hanan Eshel meinte Josephus Flavius (79 n. Chr.), das Judentum könne nicht ohne Tempel existieren. Drei Jahre später glaubte er an die Möglichkeit jüdischer Existenz auch ohne Tempel. Hermann Lichtenberger schildert das himmlische Jerusalem, das nach 4 Esra 9–10 in der messianischen Zeit kommen wird (239–249). Laut Manuel Vogel betrachtete Pseudo-Philo den Tempel „als Zentrum der heiligen Stadt und des heiligen Landes“, als Realsymbol der Herrschaft des Gottesvolkes (261).

Lawrence H. Schiffman legt dar, daß Qumran „bereits zur Zeit des Zweiten Tempels die tempellose Zeit vorweggenommen und alternative Formen der Frömmigkeit entwickelt hat“ (267–284). Die Qumraner

„sahen ihre Gruppierung als spirituellen Tempel, in dem es durch Reinheitsregeln, Gebet und Studium der Tora möglich sei, eine Verbindung mit dem Göttlichen zu erreichen" (280 f.).

George J. Brooke erklärt (285–301) das Distanzverhältnis der Qumraner zum Jerusalemer Tempel. Florentino G. Martinez vermittelt Einblicke in das esoterisch-liturgische Handeln der Qumraner. Priesterliche Funktionen wurden weitergeführt mit dem Zieldenken der Wiederherstellung des halachisch-korrekten Tempelkultes (317). Esther Eshel findet im qumranischen Gebetsleben Vorformen des rabbinischen Achtzehngebetes (323–334).

Folker Siegert zeigt, wie das ,außertemplische’ frühjüdische und rabbinische Judentum schon moderne Gottesdienste „aus Gebeten sowie aus der Lesung und der Auslegung der Tora“ (338, 341) gepflegt hat. Nach Frowald G. Hüttenmeister (357–370) waren Synagoge und Lehrhaus Orte für Versammlungen, Gebete, Richterfunktionen, Studien und soziale Dienste (360). Stefan Schreiner deutet die Tempelsubstitution im rabbinischen Judentum: Wo man Tora lernt, braucht man keinen Tempel (371–392). Es war eine religiös-theologische Erkenntnis der Rabbinen, daß Gebet, Studium, Liebeswerke, Fasten etc. mit den Tempelopfern vergleichbar sind und von Gott angerechnet werden, „wie wenn“ Opfer im Tempel dargebracht würden.

Im neutestamentlichen Teil verneint Friedrich Avemarie die Johannestaufe als Ausdruck der Tempelkritik (395–410). Der Tempelmetaphorik bei Paulus wird von Christfried Böttrich nachgespürt (411–425). Karl-Wilhelm Niebuhr untersucht die Rezeption der Paulusworte und des Jakobusbriefes im Zusammenhang mit frühjüdischen und frühchristlichen Gemeindeinstitutionen (427–460). Jostein Adna deutet die Tempelreinigung und das Verbot, etwas durch den Tempelbezirk zu tragen (461–475). Petr Pokorný schließt seine Ausführungen über Mt 16,16 und 18,18–20 (477–488) mit der Feststellung:

„Die neue Präsenz Jesu als des Herrn in der christlichen Gemeinde und ihre gleichzeitige Bindung an die geschichtliche Jesustradition – das sind die zwei Grundpfeiler der christlichen Frömmigkeit, welche das Spezifische der Ostererfahrung widerspiegeln.“

Im letzten Aufsatz, Versammlungsraum, Kirche, Tempel, referiert Hans G. Thümmel (489–504) über das Verständnis von Tempel und Gebet der Frühkirche und die gottesdienstlichen Gestaltungsversuche im Zusammenhang mit alttestamentlich-jüdischen Vorstellungen. Das Buch bietet verläßliche Grundlagen für Gottesdienstgestaltungen der Gemeinden.


Jahrgang 8/2001, Heft 3, S. 212−214.


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