Eine Kulturgeschichte des jüdischen Humors
Ausgerechnet an den sonst gering geschätzten Esel ist die jüdische messianische Erwartung geknüpft. Nach der Überlieferung wird es derselbe Esel sein, den Abraham zum Opfergang sattelte, den Moses auf dem Weg nach Ägypten nahm und auf dem dereinst der Messias aus dem Hause David seinen Einzug halten wird (Sach 9,9). Mehrere illuminierte Haggada-Handschriften greifen dieses Motiv ikonographisch auf, aber auch volkstümliche Erzählungen, wie etwa jene aus der Folklore der jemenitischen Juden, die den Titel dieses Buches lieferte und hier leicht gekürzt wiedergegeben wird:
Um nicht den Moment der Ankunft des Maschiach zu verschlafen, kam die fromme Saadä auf den Einfall, sich um den Fuß einen Strick zu binden und diesen ihrem Esel um den Hals zu hängen. Der Esel würde sicher den Esel des Maschiach wittern und dann vor Freude laut schreien.
Um Mitternacht fing der Esel ganz gewaltig zu schreien an – dies ist nämlich die Zeit, wo die Esel solches zu tun pflegen – und lief durchs offene Tor auf die Straße, immer seine Herrin hinter sich herschleppend. Diese war voller Freude, den Maschiach vernommen zu haben, und ließ sich gerne fortziehen, nur war es ihr ein wenig zu barsch und zu stark, weshalb sie sich erlaubte zu rufen: „Lieber Herr Maschiach, sachte, sachte!”
Die Nachbarn erwachten von diesem seltsamen Ruf und waren nicht wenig über den Anblick erstaunt, der sich ihnen bot. Sie hielten den Esel an und schrien der Alten ins Ohr. „Saadä, es ist nicht der Maschiach, es ist nur dein Esel.” Sie aber hörte nicht auf die Nachbarn und rief immerzu: „Nicht so schnell, lieber Herr Maschiach, nicht so schnell!”
Fragt sich nur, weshalb sich der Verfasser hat hinreißen lassen, den Maschiach gegen den Propheten auszutauschen, wo doch die zwei eher als Antipoden zu begreifen sind.
Bekannt war Ben Gershôm bisher vor allem durch seinen unter dem Pseudonym Joel König erzählten Erlebnisbericht über ein Leben als Jude in Berlin bis 1943 (von Peter Lilienthal verfilmt, „David“). Mit seinem neuen Buch wollte er keine weitere Sammlung von Witzen und Anekdoten zusammenklauben, sondern u. a. folgenden Fragen nachgehen: Was ist das Spezifische am jüdischen Humor? Ist die Herkunft der Verfasser allein maßgebend?
Der Bogen reicht von Unterschieden zwischen dem Humor der Juden als erwähltes Volk, als Unterdrückte in der Diaspora gegenüber dem Humor der Israelis und wiederum im Vergleich zum Humor anderer Völker bis hin zum Beziehungsgeflecht Mensch/Gott und kosmischer Humor. Ein zentrales Kapitel befaßt sich mit dem Lachen während und nach der Schoa. Der Autor durchpflügt alle Schichten und Perioden jüdischen Schrifttums: von der Bibel über den Talmud und mittelalterliche Poesie bis hin zur Literatur der Aufklärung, der Moderne und Postmoderne sowie des heutigen Israel.
Die Vorgehensweise des Verfassers, wenig bekannte, unbekannte oder schwer zugängliche Stoffe aufzunehmen, bei anderem Material sich mit dem Hinweis auf die Fundstelle zu begnügen, ist sicher sinnvoll. Wer unter jüdischem Humor nur die Witzesammlungen von Salcia Landmann oder die Humoresken von Ephraim Kishon versteht, wird enttäuscht. Landmann ist nur durch die bibliographische Angabe des berühmten Verrisses durch Friedrich Torberg (“Wai geschrien! oder Salcia Landmann ermordet den jüdischen Witz”) vertreten, Kishon wird wegen seines auf Stereotypen reduzierten Humors einer fast ebenso vernichtenden Kritik unterzogen.
Ein hohes Lob verdient das Buch für die sorgfältige Redaktion, die zuverlässigen Angaben und den brauchbaren Anhang mit knappen, aber genauen Erläuterungen von Begriffen aus der biblischen Literatur und der Liturgie. Vor allem aber bereitet das Buch eine vergnügliche und lehrreiche Lektüre der vielen Facetten und Schichten des jüdischen Humors aller Zeiten. Es ist eine Fundgrube des exquisiten jüdischen Humors.
Ruben Frankenstein, Freiburg
Jahrgang 8 / 2001 Heft 4, S. 295−297