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Wolfgang Klaghofer

Mensch und Gott im Schatten

Franz Kafka und Franz Werfel – Konturen des Exodus

Was verbindet zwei in ihrem Lebensweg wie Lebenswerk so grundverschiedene Schriftsteller wie Franz Kafka und Franz Werfel? Die gemeinsame Geburtsstadt Prag und beider Zugehörigkeit zum Judentum liefern für Wolfgang Klaghofer nur die biographischen Ordinaten, in deren Rahmen eine beiden Dichtern in ihrer Zeit gemeinsame Grundbestimmung zu finden und zu entfalten ist, nämlich „die Unmöglichkeit und Notwendigkeit zugleich, in ihr nochmals religiös sein zu müssen” (12).

Gerade von ihrem religiösen Ursprung her haben Kafka wie Werfel jene jüdische Liebe zu Schrift und Buch geerbt, die sie befähigte, in einer dem Materialismus anheim gefallenen Welt Transparenzen auf das Ewige hin zu schaffen. Dies erfordert in einem Jahrhundert, das nicht nur einem „blinden Realismus”, sondern als dessen Konsequenz auch den „großen Häresien” (Werfel in den Theologumena) von Nationalismus und Antisemitimus verfallen ist, eine neue Form von Prophetie und Widerstand, die das Lebenswerk der beiden ungleichen jüdischen Dichter durchzieht. „Kunst, sie ist wohl Sendung, harter Auftrag; beide, Kafka und Werfel wußten und bekannten dies” (55).

Der Verfasser dieser Untersuchung ist ausgewiesener Fundamentaltheologe und Mitglied des P.E.N.-Clubs Österreich. Während die zuerst genannte Qualifikation in der gründlichen theologischen Analyse der literarischen Werke von Kafka und Werfel erkennbar wird, zeigt sich ein ausgesprochen schriftstellerisches Selbstverständnis in der außergewöhnlichen literarischen Form der Arbeit: Mensch und Gott im Schatten ist keine literaturtheologische oder literaturwissenschaftliche Studie im engeren Sinne, sondern eher ein großer Essay über die religiöse Dimension der Künstlerexistenz in der Gottesferne der Moderne, exemplifiziert an Kafka und Werfel. Der Verfasser verzichtet über weite Strecken auf die Rezeption und Ausweisung von Forschungsliteratur, er hält sich vornehmlich an die Werke, Aufzeichnungen und Tagebücher der Dichter.

Wie auch in seiner jüngsten Veröffentlichung zum 120. Geburtstag von Stefan Zweig (in: FrRu 9[2002]41–49) fügt Klaghofer sich mit seinem feierlichen, an Metaphern reichen, aber leicht antiquiert wirkendem Stil nahtlos in die Sprach- und Vorstellungswelt seiner Dichter. Dies wird besonders in den Passagen des Buches deutlich, in denen er auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und Problemstellungen Bezug nimmt. Hier ist allerdings auch kritisch zu fragen, ob er der Komplexität moderner Lebenszusammenhänge gerecht wird, wenn er zum Beispiel in seinem Abschnitt über die Figur des Kindes über „Management und Lobbying” als Programmworte der „Börsetiger“ [...], der „Geschäftemacher und Erpresser” (61) polemisiert.

Klaghofer weiß um die besondere Ausrichtung seiner Arbeit: Diese Schrift setzt „sich zwischen Stühle und klare Zuordnungen; nirgendwo eindeutig zugehörig, nicht rein literarisch und nicht rein theologisch, nicht bloß nacherzählend oder nach-denkend und auch nicht nur weiterführend oder weiterfragend und doch von all dem etwas – so versuche ich, mit Kafka und Werfel auf Pfaden zu ziehen, die ich noch nicht gekannt habe” (13).

Dieses Unterfangen gelingt ihm ohne Frage, wo es um die Kenntnis der Texte und Zusammenhänge geht. Hier beeindruckt Klaghofer durch seine kundige Auswahl und Zusammenstellung: Ob Werfels Romanwerk, die Theologumena oder Kafkas Tagebücher, der Verfasser führt den Leser aufmerksam und fesselnd durch die Quellen. Im Themenfeld von Kampf und Rettung, von Leiden und Liebe, von Schuld und Tod wird der Begriff des „Exodus” zur zentralen Metapher für den Weg des Dichters durch die Gottesstille und Gottesferne der Moderne. Werfel und Kafka ziehen „als Exodusgestalten vorüber” (207), die in der großen Tradition des Volkes Israel in einer lebens- und religionsfeindlichen Umwelt als rastlos Wandernde die Geschichten von Gott wachhalten – wie zwei „Wächter in nächtiger Zeit” (209).

Clauß Peter Sajak, Ludwigsburg


Jahrgang 9 / 2002 Heft 2 S. 135−137


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