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Gerhart M. Riegner

Niemals verzweifeln

Sechzig Jahre für das jüdische Volk und die Menschenrechte

Riegners Werk gehört zweifellos zu den wichtigsten Publikationen über die Zeit von 1933 bis fast zur Gegenwart. Neben vielen Einzelheiten jüdischen Lebens und der Schoa gibt es einen Höhepunkt: Im August 1942 informierte Riegner die Alliierten erstmals über die systematische Ermordung der Juden. Ein deutscher Industrieller hatte ihn verläßlich darüber informiert. Erst Monate später nahmen die Alliierten seine Mitteilungen ernst.

Als Vertreter des jüdischen Weltkongresses mit Sitz in Genf konnte Riegner beobachtend und teilweise handelnd das Geschehen verfolgen. Auf Initiative der polnischen Exilregierung in London sollte Papst Pius XII. zu einer öffentlichen Erklärung bewegt werden. Andere Regierungen, darunter England und die USA, schlossen sich an. Erst Weihnachten 1942 äußerte sich der Papst, ohne allerdings die Juden zu erwähnen. Er sprach von den Hunderttausenden von Personen, die ohne eigenes Verschulden, nur wegen ihrer Nationalität oder Herkunft, zum Tode oder zum langsamen Dahinsiechen verurteilt waren. Am 2. Juni 1943 wiederholte er die Worte seiner Weihnachtsbotschaft. Er wußte von der Vernichtung eines ganzen Volkes. Die Worte „Nazis" oder „Juden" kamen aber nicht vor.

Riegner hatte auch den Nuntius in Bern von den Verbrechen der Nazis informiert und sich um eine Erklärung des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes gegen die Ermordung der Juden bemüht. Einzelne Mitglieder des IKRK versuchten, ihm dabei zu helfen, doch Bundesrat Philippe Etter lehnte eine Erklärung ab, weil er meinte, daß sie der Schweiz schade. Damit wurden auch diese Bemühungen Riegners zunichte.

Nach dem Krieg widmete sich Riegner vor allem den christlich-jüdischen Beziehungen. Aktiv verfolgte er das II. Vatikanische Konzil und war in ständigem Kontakt mit Kardinal Augustin Bea. Das Ergebnis ist nicht nur die berühmte Erklärung über die Juden „Nostra aetate" Nr. 4, sondern auch die Gründung der Kommission für katholisch-jüdische Beziehungen im Rahmen des Einheitssekretariates (1974). Diese Kommission hat seitdem viel zum Verständnis und Verhältnis zwischen Katholiken und Juden beigetragen, was nicht zuletzt auch zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen des Heiligen Stuhls mit dem Staat Israel im Dezember 1991 führte. Vertreter der Juden in der Kommission sind das „American Jewish Committee", der Weltkongreß, B’nai B’rith, und das „Internationale Jüdische Komitee für interreligiöse Konsultationen" (IJCIC).

Auch mit dem Weltkirchenrat stand Riegner in Beziehungen, wenngleich diese dann später wieder abgeklungen sind. Arabische Christen hatten sich als Störfaktor bemerkbar gemacht. Der letzte Kontakt war eine wichtige Erklärung in Sigtuna, Schweden (1988). Riegner äußerte sich zurückhaltend: „Die Beziehungen zu den Juden standen in den letzten Jahren nicht im Zentrum des Interesses des Weltkirchenrates.“ Diese Haltung ist bis heute gültig. Auch mit der christlichen Orthodoxie fanden Konsultationen statt, die freilich noch der Vertiefung bedürfen. Ein sehr wichtiges Kapitel in Riegners Memoiren sind seine Aktivitäten im weiten Bereich der Menschenrechte.

Das umfangreiche Buch ist weit mehr als der Lebensbericht eines einzelnen. Es ist die Geschichte des jüdischen Volkes, aber auch Zeitgeschichte eines Augenzeugen, der Wesentliches bewirkt hat. Es enthält sehr viel Material, das anderwärts nicht zu finden ist, zahlreiche Einzelheiten, die das Gesamtbild ergänzen. Gerade im deutschen Sprachbereich sollte es eine weite Verbreitung finden und für Historiker und Laien eine Pflichtlektüre darstellen. Gerhart M. Riegner, der allzu plötzlich, wenn auch in hohem Alter, aus unserer Mitte gerissen wurde (vgl. S. 156 f. i. d. H.), wird durch dieses Buch hoffentlich vielen Menschen in Erinnerung bleiben.

Ernst Ludwig Ehrlich, Riehen/Basel


Jahrgang 9 / 2002 Heft 2 S. 149 f.

 



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