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Ernst Ludwig Ehrlich

Reden über das Judentum

Der Herausgeber bemerkt in seinem Vorwort:

„Die vorliegenden Texte sind vornehmlich für ein Publikum bestimmt, das wenig Wissen über das Judentum hat. Die Absicht des Verfassers ist, mit Inhalten und Problemen des Judentums vertraut zu machen und in die vielfältige und reiche Welt jüdischer Religion und Kultur einzuführen. Es geht dem Autor nicht nur darum, Vorurteile über das Judentum abzubauen, sondern auch den Pluralismus des Judentums aufzuzeigen und eine innere Verbindung zum Christentum herzustellen, das bekanntlich aus ihm entstanden ist.“

Es handelt sich um achtzehn Vorträge, die Ehrlich gehalten hat: Sechs Vorträge zur Geschichte (Judentum und jüdischer Geist in Europa; Die 13 Glaubensartikel des Maimonides und das moderne Judentum; Martin Buber – ein unexemplarischer Jude; Leo Baeck – Der Mensch und sein Werk; Die Juden in Deutschland; Der Reformprozeß in der jüdischen Geschichte); zwei Vorträge zum Verhältnis Judentum-Christentum (Jesus im Judentum heute; Das Jüdische im Christentum); zwei Vorträge zum Antisemitismus (Judenfeindschaft im Christentum; Von Gott reden nach Auschwitz); acht Vorträge zur Innensicht des Judentums (Das jüdische Jahr. Religion und Vernunft im Judentum; Das Judentum und Toleranz; Die Zeit; Grundzüge des Judentums; Die zehn Gebote; Messianische Vorstellungen im Judentum; Die Bedeutung des Talmud für die Verbindlichkeit der Tora).

Die Vorträge bringen durchgehend ausgezeichnete Informationen, aus denen man viel lernen kann. Sie sind alle in gut verständlicher Diktion geschrieben, und vor allem auch vornehm im Ton, was den Dialog mit dem Christentum angeht. Hier schreibt einer, der frei ist von Vorurteilen und über eine langjährige Dialogerfahrung verfügt. So zählt Ehrlich z. B zehn Punkte auf, die im christlich-jüdischen Dialog zu beachten sind, soll er wirklich Früchte bringen (110–112). Er fragt nach den Aufgaben des modernen Judentums, weil sich auch das „moderne Judentum [...] genau wie jede andere Religion heute in einer religiösen Krise“ befindet (81 f.).

„Aber es gibt auch eine Hoffnung. Die Hoffnung nämlich, daß eine junge Generation im Lande Israel wieder an das anzuknüpfen vermag, was das traditionelle Erbe der Juden ist, zugleich aber auch die ewige Botschaft des Judentums an die Welt: Das Ereignis von Sinai auch in kritischen Zeiten durchzuhalten und damit ein Zeugnis davon abzulegen, daß Erwählung, Bund und Volk auch für den modernen Juden einen sichtbaren Sinn besitzen.“

Ein unterscheidendes Merkmal zwischen Judentum und Christentum sieht Ehrlich im Zeitbewußtsein:

„Unsere Zeit, in der wir als Juden leben, hat keine Zäsur durch irgendein Ereignis, das Menschen innerlich erleben und als ein Zeichen für kommendes Heil verstehen. Dadurch unterscheidet sich in wesentlicher Weise das Judentum vom Christentum, das durch den Glauben an Christi Tod und Auferstehung ein grundsätzlich anderes Zeitbewußtsein haben muß. Der Unterschied liegt nicht eigentlich in einer Person, sondern im Zeitbewußtsein, das im Judentum durch gar nichts unterbrochen worden ist. So mag etwa die Tempelzerstörung im Jahre 70 Einfluß auf den Kult gehabt haben, nicht aber auf das Zeitverständnis (159).“

Dieser Unterschied hängt für uns Christen mit dem Christusereignis zusammen. Aber Ehrlich schreibt auch:

„Für die Juden ist die Zeit ununterbrochen, bis in unseren Tagen etwas geschah, was offenbar auch eine Zäsur in der Zeit, und damit in der Geschichte, hervorrief. Wir können noch nicht abschätzen, ob diese neue Zäsur der Wahrnehmung der Zeit bei Juden endgültig ist; für die nächsten Generationen freilich wird sie bleiben. Es ist die Schoa gemeint – ein einzigartiges Phänomen in der Geschichte“ (151).

Zustimmend zitiert Ehrlich dazu einen Text von Johann B. Metz:

„Eine Theologie [...], die sich kritiklos dem Zeitbild eines evolutionistischen Historismus, für den Zeit eben kontinuierlicher Zeitablauf ist, wird sich [...] auch um alles andere bringen.“

So sind schließlich wir Christen mit den Juden und die Juden mit uns Christen von der fixen Idee befreit, es würde ewig so weitergehen. Juden und Christen wissen mit Paul Celan: „Wir schwenken das Weißhaar der Zeit.“ Wir leben in der Endzeit, und zwar schon seit Abraham, dem Stammvater Israels und dem Vater aller Glaubenden. E. L. Ehrlich hat mir sein Buch „Reden über das Judentum“ „in Verehrung und Dank für so vieles“ übersandt. Dafür sei ihm auch an dieser Stelle herzlich gedankt, auch für die langwährende Freundschaft, die mich seit vielen Jahren mit diesem jüdischen Pionier des christlich-jüdischen Dialogs verbindet.

Franz Mußner, Passau


Jahrgang 9 / 2002 Heft 3 S. 208−210.

 



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