Das vorliegende Buch hat in Deutschland einiges Aufsehen erregt, weil es ein Bild bietet, das Katholiken sich ungern vor Augen führen. Im Deutschen Kaiserreich wirkte zum einen die mittelalterliche Judenfeindschaft noch nach, zum andern war man der jüdischen Bevölkerung und dem Judentum derart entfremdet, daß ein positives Verhältnis gar nicht auftreten konnte. Der Ultramontanismus verhinderte ohnehin eine veränderte Haltung zu den Juden; wie sie dann im II. Vatikanischen Konzil erfolgte, erschien damals noch völlig unvorstellbar.
Die Juden galten besonders im Kulturkampf als Symbol der verhaßten Moderne, und man wollte sich vor ihnen und ihrer angeblichen kulturellen Fortschrittlichkeit hüten. Es ging dabei vor allem um einen gegenemanzipatorischen Entwurf zum Zweck einer Re-Katholisierung. Daß es Ausnahmen gab, bestreitet auch Blaschke nicht. Einen biologischen Antisemitismus gab es nicht, jedoch verhinderte die Fremdheit gegenüber Juden jede Form des positiven Miteinander.
Natürlich ist der deutsche Katholizismus nicht durchgehend antisemitisch gewesen. Die Haltungen müssen schichtenspezifisch differenziert werden. Das gilt besonders für die katholische Arbeiterschaft, die den Antisemitismus kaum kennt. Bei der Landbevölkerung liegen die Dinge anders. Jüdische Viehhändler waren offenbar hier ein Ansatzpunkt für Judenfeindschaft.
Interessanterweise lassen sich von Kirchenfürsten in Köln oder Breslau keine judenfeindlichen Erklärungen aufweisen, und die Zentrumspartei während der Weimarer Republik galt bei den Juden als durchaus wählbar. Das hängt vor allem mit der Minderheitensituation der Katholiken zusammen, deren sich vor allem Ludwig Windthorst (1812–1891) bewußt war, der während der Judenhetze Ende des 19. Jh. für die Juden eintrat. Dagegen übte August Rohling (1839–1931) mit seinem antisemitischen Buch „Der Talmudjude“ einen beträchtlichen Einfluß auf die Katholiken aus. Auch die wiederholten Ritualmordbeschuldigungen durch Katholiken dürfen nicht unterschätzt werden, wenngleich es auch innerkatholischen Widerspruch gab.
Der katholische Antisemitismus jener Zeit ist kompliziert. Er sollte aber nicht als Randphänomen bagatellisiert werden. Wir haben es hier mit einer Ambivalenz zu tun, die vor allem darauf beruht, daß die Judenemanzipation in Deutschland faktisch erst um 1870 erfolgte und das Gift der kirchlichen Judenfeindschaft auf vielen Gebieten weiterwirkte. Die reiche Materialsammlung ist sehr nützlich und muß kritisch verarbeitet, aber auch bedacht werden.
Ernst Ludwig Ehrlich, Riehen/Basel
Jahrgang 9 / 2002 Heft 3 S. 210 f.