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Gideon Greif / Colin McPherson / Laurence Weinbaum (Hg.)

Die Jeckes

Deutsche Juden aus Israel erzählen

Die wenigen Juden, die sich vor dem Zweiten Weltkrieg von Deutschland nach Israel retteten, übten einen großen Einfluß auf die Entwicklung Israels aus. Trotzdem sind manche in ihrer neuen Heimat bis heute nicht ganz heimisch geworden. Greif, McPherson und Weinbaum zeichnen den Lebensweg von 69 Zeitzeugen dieser aussterbenden Generation nach.

Der Ursprung des Begriffes "Jecke" ist unklar. Er kann aus dem Kölner Karneval übernommen worden sein. Es kann aber auch für die ersten Buchstaben der hebräischen Bezeichnung "jeladim kaschei hawana" („Kinder, die schwer verstehen”) sein. Vielen fiel das Erlernen der hebräischen Sprache schwer und manche beherrschen sie bis heute nicht richtig. Eine andere Möglichkeit ist, daß Jecke eine Verballhornung von Jacke oder Jackett ist, die diese Generation – samt Krawatte – trotz des mediterranen Klimas in Israel erst sehr spät ablegte. 

Mehrheitlich war es keine gewollte Einwanderung. Nur wenige waren Zionisten. Laut Herta Anguli (1903–1999) fühlten sie sich als Fremde. Die überwiegende Mehrheit definierte sich als Deutsche (jüdischen Glaubens), war verwurzelt in deutscher Geschichte und Kultur. Die meisten ihrer Väter hatten im Ersten Weltkrieg gedient. Manche erkannten die Zeichen der Zeit sofort und verließen ihr Heimatland. Andere gingen später, aber immer noch rechtzeitig. Einzelnen gelang die Flucht sogar noch zu Beginn der vierziger Jahre.

Von den etwa 25 000 Juden, die den Naziwahnsinn überlebten, kam die Mehrzahl nach Israel. Sie brachten ihre Kultur, ihre Lebenseinstellung, ihr Weltverständnis, aber auch die Spuren des Naziterrors mit. Ihr Charakter war geprägt vom Deutschtum im positiven Sinne: Zielstrebigkeit, Zufriedenheit mit dem Erreichten, nachdenklich-kritische Gründlichkeit und Effektivität.

Sie sahen sich aber auch einem existentiellen Problem gegenüber, denn die meisten waren mittellos gestrandet. Nicht alle fanden Arbeit in ihren Berufen. Professoren und Ärzte, Rechtsanwälte und Kaufleute arbeiteten auf dem Bau und in der Landwirtschaft. Der Musiker Freddi Dura (geb. 1922 in Breslau) verdingte sich als Handwerker. Einigen wenigen gelang es, in ihren Berufen Fuß zu fassen und den wirtschaftlichen und akademischen Aufbau entscheidend mitzuprägen. Die wenigen Zionisten übten einen starken Einfluß auf die Arbeit der zionistischen Organisationen aus. Dr. Arthur Ruppin (1876-1943) leitete das Palästina-Büro der Zionistischen Bewegung, das jenes Land aufkaufte, auf dem später Kibbuzim, Städte und Dörfer gebaut wurden.

Im kulturellen Bereich riefen die Jecken Leserkreise, Theatergruppen und Orchester ins Lebens. Freddi Dura konnte zur Musik zurückkehren und Thea Radt (geb. 1921 in Berlin), die sich trotz Armut als Jugendliche eine Halbjahreskarte für die Palästina Philharmoniker erspart hatte, wurde eine der bedeutendsten Förderinnen der Israelischen Philharmonie.  Der Reichtum an wirtschaftlichen, kulturellen und persönlichen Beiträgen zur Gestaltung des Staates Israel wird am Leben dieser Menschen aufgeblättert.

Die Jecken waren auch unter den ersten, die Kontakt zur Bundesrepublik suchten. Sie waren bereit zum Gespräch, zur gemeinsamen Auseinandersetzung mit der Geschichte. Damit haben sie einen großen Anteil daran, daß die deutsch-israelischen Beziehungen so eng werden konnten, und daß Deutsche in Israel im allgemeinen herzlich aufgenommen werden. Somit ist dieses Buch auch eine Quelle zu den Wurzeln der Gemeinsamkeiten israelischer und deutscher Kultur.

Michael Schwennen, Haifa


Jahrgang 9 / 2002 Heft 4, S. 295 f.

 



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