Charlie Chaplin und die Nationalsozialisten
„Ich konnte Hitler nicht ernst nehmen. [...] Die Gebärde des Grußes, bei der er die Hand über die Schulter zurückwarf, wobei die Handfläche nach oben gerichtet war, erweckte in mir den Wunsch, ein Tablett mit schmutzigen Tellern daraufzustellen. ‚Das ist ein Verrückter!’ dachte ich. Doch als Einstein und Thomas Mann gezwungen wurden, Deutschland zu verlassen, war dieses Gesicht Hitlers nicht mehr komisch, sondern unheimlich.“
Was Charlie Chaplin hier beschreibt, ist eine Art, die Gebärde zu studieren, die mit der grotesken Assoziation der Wahrheit auf der Spur ist, und gleichzeitig schon Ideen für eine Figur sammelt: Den Diktator Hynkel in der genialen Anti-Hitler-Satire „The Great Dictator“ (1940).
Chaplin schrieb in seiner Autobiografie, dass er fest entschlossen war, den Film zu machen, „denn über Hitler sollte gelacht werden“. Aber:
„Hätte ich etwas von den Schrecken der Konzentrationslager gewusst, ich hätte mich über den mörderischen Unsinn der Nazis nicht lustig machen können.“
Für dieses Projekt konnte Chaplin sich die Ähnlichkeit seiner Filmfigur des Tramps Charlie mit Hitler zunutze machen. Äußerer Anhaltspunkt war der zur Verwechslung einladende Schnurrbart, bei Chaplin falsch, bei Hitler echt. Auch zahllose Karikaturen in den Blättern der Auslandspresse – die im Buch zu sehen sind – nahmen die Barttracht zum Anlass für komische Vertauschungen und Verkehrungen.
Chaplin hatte Hitler anhand von Wochenschau-Aufnahmen und Fotos genau studiert. Sein Sohn Charlie Chaplin Junior erzählt:
„Dad studierte jede Pose des Diktators, machte sich alle Eigenheiten seines Benehmens zu eigen und war von dem Gesamteindruck gefesselt. ‚Der Kerl ist [...] der größte Schauspieler von uns allen’, pflegte er voller Bewunderung zu sagen.“
„Seine Darstellung Hitlers war eine perfekte Imitation, so perfekt, dass Deutsche, die den Film sahen, genau hinhören mussten, um sich zu vergewissern, dass es sich nicht um den typischen Tonfall Hitlers handelte, sondern um Dads Kauderwelsch.“
Dieses Pseudodeutsch samt Übersetzung ins Hochdeutsche zitiert der Titel „Liberty Shtunk! Die Freiheit wird abgeschafft!“ von Apings beeindruckender Studie. Der Diktator Hynkel (Chaplin) verkündet in einer Rede den vernichtenden Dreisatz: „Demokrazi – shtunk! Liberty – shtunk! Free spreken – shtunk!“ Eine andere Rede mit menschlicher Stimme aber beendet den Film. Der jüdische Friseur (Chaplin), der mit dem Diktator Hynkel verwechselt wurde, ergreift die Gelegenheit zu einer Rede, in der er genau die Werte der Freiheit und Menschlichkeit vertritt, die zuvor bestritten wurden. Hier verlässt Chaplin nach wenigen schüchternen Worten die Rolle und spricht als er selbst, als Humanist, zur Weltöffentlichkeit.
Der Filmautor Helmut Färber vergleicht diese Rede und die darin zum Ausdruck kommende Hoffnung mit Jean Renoirs Widerstandsfilm This Land is mine (1943). Wenn darin der Lehrer „die Erklärung der Menschenrechte liest, von Bank zu Bank gehend, und so einem jeden der Schüler einen der Artikel anvertrauend, und wenn, nachdem die Deutschen ihn abgeholt haben, seine Lehrerkollegin/Maureen O’Hara den nächstfolgenden Artikel liest – dann verbindet es diesen Filmschluss mit dem Schluss, mit der Rede des kleinen Friseurs/Chaplins in The Great Dictator, dass in beiden Filmen/ Filmschlüssen noch die gleiche Widerstandshoffnung, Widerstandszuversicht war“. Eine Hoffnung, die sich zu diesem Zeitpunkt auch der Unkenntnis des Ausmaßes der nationalsozialistischen Verbrechen verdankte.
„The Great Dictator“ wurde in jeder Hinsicht ein großer Erfolg, auch kommerziell, außer im nationalsozialistischen Deutschland und seinem Einflussbereich, wo der Film nicht zu sehen und nichts über ihn zu lesen war. Chaplins Filme waren schon seit Jahren verboten, aber die Hetzpropaganda war auch zurückgefahren worden, um überhaupt kein Interesse zu wecken. Und so lautete im Fall dieses besonders gefürchteten Films, der den Führerkult satirisch angriff, die Anweisung an die Presse: „Über Charlie Chaplins ‚Der Diktator’ bitten wir nichts zu veröffentlichen, auch nicht in Form einer Polemik.“
Diese „Bitte“ war eine der zahlreichen Anweisungen an die gleichgeschaltete Presse. So hatte es seit der Machtergreifung 1933 keine freie Berichterstattung mehr gegeben. Norbert Aping zeigt, wie die Lenkung und Zensur der Presse im Einzelnen funktionierte. Chaplin war für die Nationalsozialisten schon vor „The Great Dictator“ ein erklärter Feind. Der Künstler wurde vor 1933 in den parteieigenen Presseorganen diffamiert.
Konsequent wurde Chaplin im Hetzblatt Stürmer oder im Völkischen Beobachter immer als Jude bezeichnet, der er nicht war – was er aber auch nie öffentlich dementierte. Doch dabei blieb es nicht. Die Zuschreibung kam immer in schändlichen Kombinationen daher, wie „Filmjüdlein“, „jüdischer Filmaugust“; – von einer Berichterstattung oder Filmkritik konnte schon damals keine Rede sein. Und lange vor Bekanntwerden des Diktator- Projekts war Chaplin politisch mit seinem Antikriegsfilm „Shoulder Arms“ (1918) in die Schusslinie geraten.
Selbst ein so gründlicher Forscher wie Aping kann aber auch die Frage nicht beantworten, ob Hitler sich in Chaplins Diktator Hynkel wieder erkennen konnte. Es gibt keine neuen Erkenntnisse, glaubwürdige Zeugen oder Belege dafür, dass er den Film „The Great Dictator“ sah. In den Listen der für Hitler privat ausgeliehenen Filme taucht Chaplins Film zwar auf. Es gibt aber keine Zeugen der Aufführung. Bei Filmen, die Hitler gemeinsam mit anderen sah, sind seine Reaktionen überliefert, da Joseph Goebbels darüber in seinen Tagebüchern schrieb.
Unheimlich ist es allerdings, dass Hitler – wenn man Albert Speers Erinnerung glauben darf – 1937 Benito Mussolini nach dessen Staatsbesuch in Deutschland nachahmte. Er zeigte dabei „das vorgereckte Kinn, die charakteristisch in die Hüfte gestemmte Rechte, den gespreizten Stand. Dazu rief er, unter dem beflissenen Gelächter der Umstehenden, einzelne italienische oder italienisch klingende Wörter wie ‚Giovinezza’, ‚Patria’, ‚Victoria’, ‚Makkaroni’, ‚Belleza’, ‚Belcanto’ und ,Basta’.“ Hitler nahm damit die Figur des Benzino Napaloni (alias Mussolini) in „The Great Dictator“ vorweg. Und er verfertigte dabei spontan ein Pseudoitalienisch, das dem falschen Deutsch entspricht, das Chaplin ihm später ins Drehbuch schrieb. Es ist erschreckend, wie nah sich dabei Satire und Vorbild kommen, wenn eine Figur des Films in die andere schlüpft, weil das Spielbare erkannt wird – aber ohne Erkenntnisse über die eigene Rolle.
Solche Momente blitzartiger Einsicht beschert uns das Buch immer wieder, über die vielen Entdeckungen des Autors hinaus. Norbert Aping hat einen Künstler und seine Feinde so intensiv in den Blick genommen, dass die Größe des Angefeindeten und die Erbärmlichkeit seiner Widersacher eindeutig bewiesen werden.
Bettina Klix, Berlin
Jahrgang 19 / 2012 Heft 4 Seite 298−300