Untersuchungen zu seiner homiletischen und liturgischen Gestaltung in der evangelischen Tradition
Jedes Jahr am zehnten Sonntag nach Trinitatis gedenkt die evangelische Kirche der Zerstörung des Jerusalemer Tempels. Die verschiedenen Namen – Jerusalemsonntag, Judensonntag, Israelsonntag – zeigen sein besonderes Thema an. Irene Mildenberger hat die homiletische und liturgische Gestaltung des Israelsonntags in der evangelischen Tradition in einer wissenschaftlichen Arbeit untersucht. Schon im Vorwort verweist sie auf eine im Jahr 2002 publizierte Studie von Evelina Volkmann zur Geschichte des Israelsonntags und referiert deren Ergebnisse. Ihre eigenen Analysen hat Mildenberger im Schlusskapitel zusammengefasst.
Die Geschichte des „Israelsonntags“ erweist sich als hoch interessant, und wie die Zerstörung Jerusalems zu verschiedenen Zeiten in der Kirche gesehen wurde ist sehr aufschlussreich. Nicht selten hat man die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 als Verwerfung Israels gedeutet. Erst nach der Schoa wurden manche Aussagen christlicher Theologen über das Judentum als problematisch erkannt:
„Der wichtigste Schritt des Umdenkens ist die theologisch begründete Anerkennung der bleibenden Erwählung Israels. Damit kann die Kirche nicht mehr an ihrem alten Selbstverständnis, sie habe das Volk Israel als Gottes Volk abgelöst, also an der sogenannten Substitutionstheorie, festhalten. Sie muss statt dessen nach einer neuen Verhältnisbestimmung von Israel und Kirche fragen“ (309).
Die Diskussion um die Gestaltung des Israelsonntags sucht nach Wegen, um antijüdische Vorur- teile in christlichen Gemeinden abzubauen. Unterschiedliche Gesichtspunkte sind ins Gespräch gebracht worden. Mildenberger ist der Ansicht:
„Grundsätzlich ist es bedenklich, sich bei der Diskussion um Israel im christlichen Gottesdienst auf den sogenannten Israelsonntag oder andere kirchlich verordnete Tage zu beschränken. Hierbei besteht die Gefahr, das Thema ‚Christen und Juden’ an einzelnen Tagen ‚abzuhandeln’ und für den Rest der Zeit zu verdrängen, statt es durch das ganze Jahr hindurch immer wieder anzusprechen, wenn es Predigttext, Lesungen oder die konkrete Situation nahelegen“ (324).
Yizhak Ahren, Köln / Jerusalem
Jahrgang 20 / 2013 Heft 1 S. 64 f.