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Peter Schäfer

Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums

Fünf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums

Der Titel des Buches lässt aufhorchen. „Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums“? Galt nicht immer das Gegenteil: „Die Geburt des Christentums aus dem Judentum“? Dass beide Religionen strukturelle und personelle Verwandtschaft aufweisen, war und ist unstrittig. Aber wie diese Verwandtschaft genauer zu bestimmen ist, darüber wird seit einiger Zeit intensiver diskutiert. War man früher geneigt, das antike Judentum als die Mutter des Christentums anzusehen, so mehren sich in letzter Zeit die Stimmen derer, die lieber von zwei Schwestern bzw. von Geschwistern sprechen, weil beide in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten näher miteinander lebten und sich mehr beeinflussten, als man lange annahm.

Durch diesen Paradigmenwechsel haben wir neu gelernt, dass der endgültige Bruch zwischen Christentum und antikem Judentum nicht schon kurz nach der Zeit Jesu im 1. Jahrhundert erfolgte, sondern deutlich später in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten bis zur nachkonstantinischen Zeit, wobei wir auch hier nicht so sehr ein exaktes Datum für die Trennung angeben und eher eine allmähliche Entwicklung beobachten können.

In dieser Epoche nahmen sich christliche und jüdische Gemeinden noch intensiv wahr. Sie beobachteten sich aufmerksam, übernahmen einiges und grenzten sich andererseits auch deutlich voneinander ab. Juden registrierten z. B. aufmerksam die Lehrentwicklung der christologischen und trinitarischen Dogmen, interessierten sich für das christliche Gemeindeleben und die liturgischen Feiern und reagierten auf die neuen politischen Privilegien der Christen im Imperium Romanum.

In dieser Zeit entwickelte sich das rabbinische Judentum, dessen Ursprünge in der Zeit kurz nach der Zerstörung Jerusalems und des Jerusalemer Tempels um 70 n. Chr. liegen. Es musste in dieser überaus schwierigen neuen Situation selbst eine neue Struktur des Judentums und vor allem Klarheit über die sich jetzt stellenden Aufgaben finden. Vor allem mussten die Rabbinen neue Wege suchen, wie Juden in einer nichtjüdischen Umwelt ohne äußere Bindung an das Land der Väter leben konnten – eine Aufgabe, die sich in ähnlicher Weise auch den Diasporajuden und den frühen Christen stellte.

Mit dieser spannenden Thematik befasst sich seit geraumer Zeit der herausragende Judaist Peter Schäfer (geb. 1943), der in Berlin und in Princeton gelehrt hat und der sowohl den deutschen Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis wie auch den US-amerikanischen Mellon Award erhalten hat – beides höchst angesehene Preise für Geisteswissenschaftler. Schäfer hat immer gefordert, dass die Judaistik sich nicht nur auf sich selbst konzentrieren dürfe, sondern auch verwandte Wissenschaftsbereiche wie die antike profane und die alte christliche Geschichte sowie die frühchristliche Literaturgeschichte einbeziehen müsse. Umgekehrt erwartete er auch die Berücksichtigung der Judaistik in diesen Wissenschaftsdisziplinen. Sein kleines, aber gewichtiges Buch enthält die fünf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums, die Schäfer 2009 in der Tria Corda-Vorlesungsreihe in Jena gehalten hat. Der Titel „Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums“ erklärt sich nur aus diesem Kontext. Damals interessierten sich die Rabbinen für die Situation der Christen, beobachteten die Entwicklung und diskutierten die dort vorherrschenden Ideen mit Zustimmung und in Ablehnung. Aber Schäfer will diesen Titel nicht exklusiv für das ganze gegenseitige Verhältnis gebrauchen. Er weiß, dass man mit gutem Recht auch eine Arbeit mit dem Titel „Die Geburt des Christentums aus dem Geist des Judentums“ schreiben könnte, da es eine gegenseitige Beeinflussung gab.

Schäfer interpretiert in fünf Vorlesungen fünf weithin unbekannte und heute auch schwer verstehbare rabbinische Texte. Der erste Text befasst sich mit der völlig ungewohnten Frage eines rabbinischen Textes, warum ein darin erwähntes Messiaskind (natürlich nicht Jesus von Nazaret) verschwand, – eine bissige Auseinandersetzung mit dem christlichen Weihnachtstext. In dem zweiten rabbinischen Text, der den heidnischen Polytheismus und die christliche Lehrentwicklung zum Trinitätsglauben beobachtet, stellt sich die Frage, ob nicht auch das Judentum, wenn schon nicht gleiche, so doch ähnliche Lehren kennt. Der dritte Text geht von den verschiedenartigen Manifestationen Gottes in der Hebräischen Bibel aus und thematisiert dabei offenkundige Widersprüche. Beim Exodus tritt Gott als Kriegsheld und junger Gott, am Sinai bei der Verkündigung des Dekalogs als ein alter Gott auf. Es folgt eine Überlegung über den „Menschensohn“- Begriff (Dan 7,9 f.), die sich für Schäfer als Auseinandersetzung mit dem Christentum in seinem Kern, dem Messiasglauben, erweist. Im vierten Kapitel geht es um den höchsten Engel mit Namen „Metatron“ und die Frage, ob dieses Wesen nicht auch den Namen JHWH tragen könne – eine Auseinandersetzung mit der christlichen Identifizierung Jesu Christi mit Gott. Schließlich weist Schäfer im fünften Text darauf hin, dass auch das Judentum einen leidenden Messias kennt, der den Namen „Efraim“ trägt.

Das Buch Schäfers ist eine Einführung in alte rabbinische Textauslegung, die natürlich meilenweit von historisch-kritischer Auslegung entfernt ist. Christliche Leser müssen bei dieser Lektüre ihre gewohnten Perspektiven zwar wechseln, können aber dabei gänzlich neue Aspekte gewinnen und rabbinischen O-Ton hören. Was hier informativ und kompakt geboten wird, ist auch für den gegenwärtigen jüdisch-christlichen Dialog von hohem Wert. Dank dafür an Peter Schäfer.

Werner Trutwin, Bonn


Jahrgang 20 / 2013 Heft 1 S. 68−70

 



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