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Paul Gerhard Schoenborn

Nachfolge – Mystik – Martyrium

Studien zu Dietrich Bonhoeffer

Mit diesem Sammelband legt P. G. Schoenborn einen Querschnitt seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit Dietrich Bonhoeffer und dessen Umfeld vor. Mit Fug und Recht darf man sagen, dass es sich hier um die systematisch verdichtete Summe einer theologischen Existenz handelt, die sich stets in der lebendigen Tradition der Bekennenden Kirche wusste, um diese für die erlebte Gegenwart zu aktualisieren. Diese Texte aus drei Jahrzehnten widerspiegeln in zeitlicher Reihenfolge Schoenborns jeweilige Einsichten in wechselnden Kontexten, eine Dokumentation von in sich abgerundeten Studien.

Zwei Schwerpunkte bilden das Herzstück dieser Sammlung von Aufsätzen und Vorträgen bei einer Fülle von Anlässen und Gelegenheiten theologischer Bildungsarbeit. Ein Schwerpunkt sind die Beziehungen zwischen Dietrich Bonhoeffer und der Befreiungstheologie in Lateinamerika. Bonhoeffers Widerstand gegen die Judenverfolgung im Dritten Reich bildet den zweiten (Anm. d. Red.: hier hervorgehobenen) großen Schwerpunkt.

Vor Kriegsausbruch hätte Bonhoeffer sich durch einen Lehrauftrag in den USA in Sicherheit bringen können, aber er entschloss sich, nach Deutschland zurückzukehren und begründete dies in einem Brief an Reinhold Niebuhr im Juni 1939:

„Ich werde kein Recht haben, an der Wiederherstellung des christlichen Lebens nach dem Kriege in Deutschland mitzuwirken, wenn ich nicht die Prüfungen dieser Zeit mit meinem Volk teile [...]“ (43).

Dass diese Solidarität dann schließlich in die Teilnahme an der Verschwörung gegen Hitler mündete, dafür waren der Hauptanlass die deutschen Verbrechen an den Juden.

Speziell während seiner Tätigkeit am Predigerseminar in Finkenwalde beschäftigte er sich im Rahmen seiner alttestamentlichen Studien mit dem Verhältnis der Christen zu Israel und kam dabei zu Einsichten, die dann später zukunftsweisend werden sollten, seinerzeit jedoch auf heftige Ablehnung stießen. So müsse die Kirche endlich zu der Erkenntnis finden,

„dass kein Staat der Welt mit diesem rätselhaften Volk fertig werden kann, weil Gott noch nicht mit ihm fertig sei. Jeder neue Versuch, die ‚Judenfrage’ zu lösen, scheitert an der heilsgeschichtlichen Bedeutung dieses Volkes“ (140).

Für Bonhoeffer ist hier der „status confessionis“ gegeben. Er erwartet, dass seine Kirche ihr Wächteramt gegenüber dem NS-Staat wahrnimmt und ihrem Bekenntnis treu bleibt, indem sie sich in politische Zusammenhänge einmischt. Nicht nur mit den Judenchristen erwartet Bonhoeffer Solidarität, sondern mit den verfolgten Juden allgemein. Dabei müsse die Kirche durch Widerstand „dem Rad in die Speichen fallen“ und nicht nur „die Opfer unter dem Rad verbinden“. Der Entschluss dazu müsse auf einem „evangelischen Konzil“ gefasst werden.

Bonhoeffer war einer der ersten, die erkannten, dass es hier um das Bekenntnis zur bleibenden Erwählung Israels durch Gott und zugleich um den Kampf für die Menschenwürde und das Leben aller Juden ging. Er missbilligte daher, dass die Bekennende Kirche sich nur um ihre eigene Existenz sorgte, anstatt für die bedrohten Juden und andere vom deutschen Staat rechtlos Gemachte und Verfolgte einzutreten. Als Jugendsekretär des „Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen“ hatte er gute Möglichkeiten, in der Ökumene zu wirken. So informierte Bonhoeffer auf der Tagung des Weltbundes im September 1933 in Sofia in Hintergrundgesprächen über die Situation der Juden in Deutschland allgemein und über den Kampf gegen den Arierparagrafen in der Kirche. Das Ergebnis war eine Resolution gegen Rassismus und Antisemitismus, besonders im Hinblick auf das Deutsche Reich:

„Im Gefühl der Bruderschaft sind wir [...] tief berührt durch die Behandlung, die Menschen jüdischer Abstammung und Verbindung in Deutschland erlitten haben [...]. Wir protestieren gegen den Beschluss der preußischen Generalsynode und anderer Synoden, die den Arierparagrafen des Staates auf die Kirche übertragen [...]. Wir halten das für eine Verleugnung der Lehre und des Evangeliums von Jesus Christus“ (152).

Theologisch machte Bonhoeffer Ernst mit der Erkenntnis, dass „das Heil von den Juden kommt: Juda ist die Wurzel, Jesus die Frucht, beide untrennbar eins, auch in der Ewigkeit. Den Juden gehört das Heil auch wieder zuletzt. Aus Verborgenheit und Niedrigkeit ruft Gott seinen Messias“ (159). Und inkarnationstheologisch ergibt sich für Bonhoeffer die absolut verbindliche Konsequenz:

„Um der Menschwerdung des Sohnes Gottes willen ist der Gottesdienst vom Bruderdienst – das heißt das Evangelium von der Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit – nicht mehr zu lösen. Die Akzeptanz der Juden als Geschwister dürfe sich nicht auf die Zulassung zu den Ämtern und Diensten beschränken, sondern müsse auf das gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben ausgedehnt werden“ (161).

So rufen den Christen nicht erst die eigenen Erfahrungen, sondern die Erfahrungen am Leibe der Brüder, um derentwillen Christus gelitten hat, zur Tat und zum Mitleiden:

„Eine Verstoßung der Juden aus dem Abendland muss die Verstoßung Christi nach sich ziehen, denn Jesus war Jude“ (170).

In seiner Ethik formuliert Bonhoeffer für die Zeit nach Kriegsende vorausschauend ein Schuldbekenntnis in einer Schärfe, zu der sich die Verantwortlichen dann später bei weitem nicht durchringen konnten und das deshalb bis heute als Kriterium für die Bußfertigkeit der Institution Kirche gelten kann:

„Die Kirche bekennt, die willkürliche Anwendung brutaler Gewalt, das leibliche und seelische Leiden unzähliger Unschuldiger, Unterdrückung, Hass, Mord gesehen zu haben, ohne ihre Stimme für sie zu erheben, ohne Wege gefunden zu haben, ihnen zu Hilfe zu eilen.

Sie ist schuldig geworden am Leben der schwächsten und wehrlosesten Brüder Jesu Christi [...].

Die Kirche bekennt, schuldig geworden zu sein an den Unzähligen, deren Leben durch Verleumdung, Denunzieren, Ehrabschneidung vernichtet worden ist [...]. Die Kirche bekennt, begehrt zu haben nach Sicherheit, Ruhe, Friede, Besitz, Ehre, auf die sie keinen Anspruch hatte [...]“ (171).

Im Sinne dieser Bußfertigkeit möchte Bonhoeffer mitarbeiten am Neuaufbau einer Kirche, die keine Machtansprüche mehr stellt und Gott „mitten im Leben jenseitig“ erfährt. Im Glauben Israels, das Gottes Weisungen (die Tora) tatkräftig verwirklicht und von den Propheten immer wieder dorthin zurückgerufen wurde, sieht er das eher verwirklicht als in einer bürgerlichen christlichen Religiosität, die sich mit einer billigen Gnadenbotschaft den Blick auf die Erfordernisse der Realität vernebelt.

Stattdessen musste er hilflos miterleben, wie das europäische Judentum den kollektiven Weg des leidenden Gottesknechtes (Jesaja 53) geht; ja, er selbst wird mit seinen Freunden hineingerissen in den Holocaust (das verbrannte Ganzopfer) und erleidet das Schicksal der Juden als der Geschwister Jesu. Weitere Beiträge zu grundsätzlichen Aspekten einer Theologie des Martyriums, dargestellt u. a. am Beispiel des Dänen Kaj Munk (vgl. FrRu NF 6[1999]250–258) sowie zum Verhältnis von Mystik und Politik, runden diesen Sammelband ab. Ein Buch, das mit seinen interessanten Perspektiven auf Bonhoeffer und dessen Umfeld sowie auf seine Wirkungsgeschichte einen wichtigen Beitrag zur theologischen Zeitgeschichte darstellt!

Wieland Zademach, Unkel


Jahrgang 20 / 2013, Heft 2, Seite 132–134.

 



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