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Oliver Arnhold

„Entjudung“ – Kirche im Abgrund

In zwei voluminösen Bänden1 hat Oliver Arnhold 2010 seine Paderborner Dissertation vorgelegt, die Frucht einer rund 16-jährigen Beschäftigung mit der (Vor-)Geschichte des Eisenacher „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“, kurz auch „Entjudungsinstitut“ genannt (Anm. d. Red.: Die gleichnamige Ausstellung in Eisenach ist bis zum 31.10.2013 zu sehen). Im ersten Band schildert Arnhold den institutionsgeschichtlichen Weg der Thüringer „Deutschen Christen“ (DC) von den Anfängen im Jahr 1928 bis zur „Godesberger Erklärung“ im Jahr 1939.

In zwei Teilen zeichnet er die Prozesse nach: von den Anfängen bis zur Machtübernahme (1928–1933), vom Aufstieg zur führenden deutschchristlichen Gruppierung bis zur „Godesberger Erklärung“ als einer Reaktion auf die Krise der DC, die die staatliche Entkonfessionalisierungspolitik seit 1937 ausgelöst hatte (1933–1939). In diesen Strang integriert Arnhold mehrere biografische Skizzen: Mit Julius Leutheuser und Julius Leffler blickt er auf wichtige Initiatoren und dauerhafte Taktgeber in der Kirchenleitung. Beide bauten schon früh ein Netzwerk mit Gleichgesinnten auf, nachdem sie 1927 ihre bayerische Heimatlandeskirche verlassen hatten.

Einen weiteren biografischen Fokus richtet Arnhold auf den führenden theologischen Kopf, Walter Grundmann, seit 1936 Professor für Neues Testament und Völkische Theologie in Jena und Gründer des Eisenacher Instituts. Der gebürtige Sachse warb schon früh für die Verwirklichung einer überkonfessionellen völkischen Nationalkirche, die jedoch auch Luther als geistigen Ahnherrn beanspruchte.

Im zweiten Band schildert Arnhold die Monstrosität des 1939 in Eisenach gegründeten „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ und seine mannigfaltigen Aktivitäten. Die Thüringer DC warben mit ihrem Institut einerseits um offizielle Anerkennung durch den NS-Staat. Andererseits hofften sie mit dessen antisemitischer Ausrichtung auf Zustimmung im deutschen Protestantismus außerhalb des deutschchristlichen Lagers. Der Vernichtungskrieg im Osten und die Schoa radikalisierten die antisemitischen Bestrebungen des Instituts weiter, das weder die erhoffte Wirkung in Kirche und Staat hatte noch von der zunehmend restriktiven staatlichen Kirchenpolitik und den Kriegseinschränkungen ausgenommen war. Nach 1945 verteidigte Grundmann das Eisenacher Institut als widerständige Forschungseinrichtung, die sich unter dem wachsenden antikirchlichen und antichristlichen Druck der Nationalsozialisten als unpolitische „Akademie deutscher Frömmigkeit“ nur wissenschaftlich- geistig mit dem Judentum auseinandergesetzt habe (751 f.). Zahlreiche Biogramme im zweiten Band erleichtern die Orientierung ebenso wie eine Auflistung der Arbeitskreise und Mitarbeiter des Instituts sowie ein konzentriertes Personenregister.

Arnhold konzentriert sich in der Darstellung auf Verwerfungen zwischen den einzelnen kirchenpolitischen Parteiungen im Bereich der Thüringer Landeskirche, auf die innere Entwicklung der Thüringer DC und ihr Verhältnis zu anderen deutschchristlichen Gruppierungen. Anhand zahlreicher Primärquellen verdeutlicht er sowohl theologische und kirchenpolitische Entscheidungen als auch deren Einflüsse auf die Gestaltung des kirchlichen Lebens. Dafür hat Arnhold umfangreiche Archivalienbestände ausgewertet, die zum Teil erst nach dem Ende der DDR aufgefunden oder in den letzten Jahren zugänglich wurden. Ausführliche Zitate belegen, wie eifrig sich die Thüringer DC an die nationalsozialistische Umformung des christlichen Bekenntnisses machten. So tilgte das 1941 erschienene Gesangbuch „Großer Gott wir loben dich“ nicht nur die alttestamentlich-hebräischen Wurzeln etwa aus der ersten Strophe von Philipp Nicolais Choral: „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ (EG 147/GL 110). Hermann Ohland machte sie zur Parole für den Zweiten Weltkrieg:

„Wachet auf, ruft uns die Stunde, / sie rufet uns mit hellem Munde: / wach auf, wach auf, du deutsches Land!
Sieh die Nacht hielt dich gefangen, / dein Morgen kommt herauf mit Prangen; / der Freiheit großer Tag bricht an.
Wohlauf zum harten Gang! Steht auf! / Der Sturmgesang grüßt die Erde. / Der Feindekrieg ist unser Sieg. Dein Wort ist Sturm, Herr, und Gericht“ (691).

Eindrücklich zeigen Arnholds Beispiele, wie die Thüringer im Bemühen um Anschlussfähigkeit an den Nationalsozialismus den christlichen Glauben entkernten und umformten. So sah ein Gottesdienstentwurf folgenden Taufsegen vor:

„So empfange du Kind aus deutschem Geblüt die heilige Taufe. Dein Sinnen und Denken, dein Ahnen und Suchen, dein Glauben und Wirken, dein Leben und Sterben sei geweiht zum Dienst unter dem Willen Gottes. Geboren nach dem Willen Gottes, unseres Schöpfers und Vaters, in deine Sippe und in dein Volk, verschworen dem Krist [sic!], unserem Helfer und Bruder im Glauben, der uns das Heil bringt, sei und bleibe ein Kind Gottes. So bist du mit uns verbunden durch die Kraft des Glaubens und der Liebe in der Gemeinschaft der Deutschen. Deutschland ist unsere Aufgabe. Christus ist unsere Kraft. Gott ist unser Ziel“ (205).

Vor dem Hintergrund der bleibenden Aktualität des Antisemitismus bildet dessen Erforschung für Arnhold den zentralen hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis der Thüringer DC (S. ix–xiii). Angesichts der Herkunft von Leutheuser, Leffler sowie des Jenaer Praktischen Theologen Wolf(gang) Meyer-Erlach hätte sich ein intensiverer Blick nach Bayern angeboten, zumal mit Björn Mensings Studie „Pfarrer und Nationalsozialismus“ seit 1998 Ergebnisse zur Anfälligkeit bayerischer Geistlicher für den Nationalsozialismus vorliegen. Die in der dortigen Landeskirche tätigen Pfarrer waren nach Mensing in den 1920er und frühen 1930er Jahren nicht automatisch weniger nationalistisch oder antisemitisch als Leffler, Leutheuser oder Meyer-Erlach.

Während sich die Verbliebenen am Kanon des lutherischen Bekenntnisses orientierten, favorisierten die Thüringer DC schon früh eine überkonfessionelle Nationalkirche. Die unterschiedlichen Einstellungen zur Verbindlichkeit von Schrift und Bekenntnis hielten andererseits bekenntnistreue nationalsozialistisch eingestellte Geistliche davon ab, Bibel, Jesus, Organisation oder Lebensformen der Kirche radikal zu „arisieren“. War für die Thüringer der letztgültige Wert die an der NS-Volksgemeinschaft ausgerichtete Nationalkirche, ordneten die Anhänger bekenntniskirchlicher Gruppierungen das universale Evangelium allen völkisch-rassischen Kategorien vor – trotz ihrer meist ebenfalls tiefgreifenden antisemitischen Ressentiments. Die Konzentration auf Thüringen führt dazu, dass bei Arnhold etwas unklar bleibt, wie die fehlende Bindung der Thüringer DC an den traditionellen Kanon der Bibel entscheidend zur Radikalisierung ihrer antisemitischen Vorstellungen beitrug. Diese Bruchlinien werden exemplarisch in den Diskussionen von 1939 um die „Godesberger Erklärung“ deutlich (436–453).

Insgesamt gelingt Oliver Arnhold eine facettenreiche Gesamtdarstellung der Thüringer Deutschen Christen. Die Fülle an Quellen ermöglicht ein präzises Bild der Aktivitäten und institutionellen Entwicklung der Thüringer DC und erweitert die Kenntnisse über ihre Stellung innerhalb der verschiedenen deutschchristlichen Strömungen erheblich. Den Niederschlag des Antisemitismus, der in der „Entjudungsarbeit“ des Eisenacher Instituts gipfelte, detailliert und breit nachgezeichnet zu haben, ist ein weiteres Verdienst Arnholds. Das engagierte, geduldig recherchierte und gut lesbare Werk Arnholds bereichert den Blick auf eine wichtige kirchenpolitische Gruppierung in der Zeit des Nationalsozialismus und gibt eine Reihe von Impulsen für die
Forschung.

Axel Töllner, Nürnberg


  1. Band 1: Die Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen 1928–1939;
    Band 2: Das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ 1939–1945.

 


Jahrgang 20 /2013 Heft 4, S. 292–295.


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