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Andreas Renz

Die katholische Kirche und der interreligiöse Dialog

50 Jahre „Nostra aetate“ – Vorgeschichte, Kommentar, Rezeption

Andreas Renz, Leiter des Fachbereichs „Dialog der Religionen“ im Erzbischöflichen Ordinariat München und Lehrbeauftragter an der Universität München, hat mit diesem Buch eine bemerkenswerte Darstellung des interreligiösen Dialogprozesses der katholischen Kirche vorgelegt, in dessen Zentrum die Erklärung „Nosta aetate“ („In unserer Zeit“; Abk.: NA) steht, die das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) nach außerordentlich langen und strittigen Debatten am 8. Dezember 1965, also vor fast einem halben Jahrhundert, verabschiedete. Renz befasst sich nicht – wie viele andere Publikationen – nur mit den Beziehungen zum Judentum, sondern auch zu den anderen Weltreligionen, so zum Islam, Hinduismus und Buddhismus.

NA ist relativ kurz, kann aber heute im Vergleich mit den anderen Konzilstexten auf die wohl erfolgreichste Wirkungsgeschichte zurückblicken. Sie hätte nicht entstehen können, wenn das Konzil nicht ganz grundsätzlich die Bedeutung des Dialogs als Wesensmerkmal der Kirche neu entdeckt hätte. Kirche führt Dialog und ist – mehr noch – selber Dialog. Der Dialog sollte nach den Vorstellungen des Konzils mehrere Dimensionen haben.

Er ist zunächst einmal ein innerkirchlicher Prozess, der zwischen Laien und Priestern, zwischen Lehramt und der wissenschaftlichen Theologie, zwischen reformfreudigen und reformskeptischen Christen geführt wird. Heute sehen wir, dass dieser Dialog, der damals neu begonnen und ständig auch weiter entwickelt wurde, immer noch erhebliche Defizite aufweist. Sodann soll der Dialogprozess auch ad extra, d. h. nach außen geführt werden, zunächst in der Ökumene mit den anderen christlichen Kirchen, dann besonders auch mit dem Judentum, mit dem die Kirche – wie mit keiner anderen Religion – geistlich verbunden ist, aber auch mit allen anderen Religionen. Selbst alle nicht religiös, aber human eingestellten Menschen und alle Ungläubigen sollten in den Dialog einbezogen werden.

Renz grenzt seine Ausführungen auf den interreligiösen Dialog ein, berücksichtigt hier also nicht den innerkirchlichen und den ökumenischen Dialog und auch nicht das Gespräch mit den Nichtreligiösen. Aber auch mit dieser Grenzziehung bleibt für ihn viel zu tun, zumal er historisch weit ausgreift und auch auf die Wirkungsgeschichte von NA bis in die jüngste Zeit eingeht.

Er beginnt die Vorgeschichte mit der Bibel, indem er ausführt, wie unterschiedlich das Alte Testament die damals bekannten Religionen aus der Umwelt Israels beschreibt und beurteilt, und wie das Neue Testament vor allem zu den Juden steht. Bei den Kirchenvätern setzt sich eine fast einheitliche Ablehnung des Judentums durch. Die mittelalterlichen Theologen führen nicht nur diese antijüdische Einstellung fort, sondern müssen sich außerdem mit dem neu aufkommenden Islam befassen, der weithin als eine gefährliche Häresie verurteilt wird. Die juden- und islamfeindlichen Tendenzen der Kirche bleiben bis in das 19. und 20. Jahrhundert stark, werden aber in den Jahren vor dem Konzil allmählich von einigen Theologen und theologischen Kreisen kritisiert und für revisionsbedürftig erklärt. So muss das Konzil sich zwar mit einer gewichtigen fehlgelaufenen Tradition befassen, kann aber auch an neue reformerische theologische Konzepte anknüpfen und diese weiterentwickeln.

Spannend liest sich sodann die ganze wechselhafte Entwicklung von NA während der drei ersten Konzilssessionen und die endgültige Verabschiedung in der vierten Sitzung (22. Oktober 1965) kurz vor dem Konzilsende. Der Text wurde schließlich mit einer überwältigenden Mehrheit (2221 Ja- gegen 88 Nein-Stimmen) angenommen, aber nur um den Preis empfindlicher Kompromisse, die vor allem den traditionalistischen Bedenkenträgern im Vatikan zugestanden werden mussten, aber auch politischen Überlegungen und Rücksichten Raum gaben, aus Angst, die arabischen Regierungen im Nahen Osten würden in NA eine Aufwertung Israels sehen und ihren Ärger darüber an den dort lebenden Christen auslassen.

Die weitere Entwicklung von NA gleicht der eines Senfkorns, das anfangs klein ist, sich aber bald zu einem stattlichen Gewächs entwickelt. In der Tat haben alle nachkonziliaren Päpste die Anregungen von NA aufgenommen und die Beziehungen zum Judentum, zum Islam und zu anderen Weltreligionen schrittweise weiter entwickelt. Auch Papst Franziskus reiht sich in diese Reihe der dialogfreudigen Päpste ein und pflegt lebendige Beziehungen vor allem zu Juden, aber auch zu Muslimen und anderen Religionen.

Renz ist hier eine ausgezeichnete Arbeit über einen wichtigen Reformprozess der Kirche nicht nur gegenüber dem Judentum, sondern auch gegenüber dem Islam und den anderen Religionen gelungen. Dieser Dialog-Prozess erneuert und erweitert das Selbstverständnis der Kirche, hat aber auch jenseits der Kirche eine große Bedeutung für die Weltpolitik und den Weltfrieden.

Aber Renz weiß auch ganz genau, dass letztlich die Entwicklung noch lange nicht so weit fortgeschritten ist, dass man allseits zufrieden sein könnte. Vor allem sind an der kirchlichen Basis die Fortschritte im Dialogprozess noch lange nicht überall bekannt und erst recht nicht bejaht. Immer noch stößt man weithin auf eine undifferenzierte Juden- und Islamfeindschaft, die aus Vorurteilen und Unkenntnis kommt. Da ist – anders als in manchen anderen Bereichen – das Lehramt weiter als das Kirchenvolk.

Um die weitere kirchliche Entwicklung im Sinn von NA zu fördern, beschreibt Renz zum Schluss, welche Desiderate und welche Zukunftsaufgaben für die Kirche bestehen. In einer Art Zusammenfassung heißt es:

„Christen und Angehörige anderer Religionen, ja alle Menschen guten Willens können und sollen gleichberechtigte Partner werden, die sich in der pluralen Gesellschaft füreinander und miteinander für andere einsetzen. So können sie gemeinsam Mitarbeiter am Reich Gottes werden und zur Heilung der Welt beitragen.“

Die Wahrheit der Religionen bewährt sich also an konkreten Orten, insbesondere am Reich-Gottes-Dienst füreinander.

„Der interreligiöse Dialog ist kein Allheilmittel, aber er kann zu notwendigen Lernprozessen und Perspektivenänderungen befähigen. Die neue Haltung des Konzils, die in NA deutlich wird, ist nicht Abgrenzung und Überlegenheit, sondern Zuwendung und Dienst am Nächsten: so verstanden und umgesetzt kann NA tatsächlich zum Kompass des kirchlich- glaubenden Handelns im 21. Jahrhundert werden.“

Das Buch sollte in der Handbibliothek aller Priester und Seelsorger, aller Pastoralreferenten und -referentinnen, Religionslehrer und -lehrerinnen stehen, zugleich aber auch von interessierten Laien intensiv studiert werden. Für diese informative und theologisch wichtige Arbeit sei Andreas Renz gedankt.

Werner Trutwin, Bonn


Jahrgang 21 / 2014 Heft 3 S. 213−205.

 



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