Festschrift presented to Karl E. Grözinger on the Occasion of his 70th Birthday
Die Ehre einer Festschrift wird in der Regel nur solchen Hochschullehrern zuteil, die im Kollegenkreis beliebt sind und zahlreiche Studierende ausgebildet und gefördert haben. Dass dem renommierten Judaisten Karl Erich Grözinger nun schon eine zweite Festschrift überreicht worden ist, beweist, dass er zu dieser kleinen Gruppe hervorragender Wissenschaftler zählt. Den ersten Sammelband hat Manfred Voigts 2002 zum 60. Geburtstag des Jubilars herausgegeben (vgl. die Rezension von Wolfgang Klaghofer in FrRu NF 10 [2003] 152–154).
Im Vorwort der Festschrift zum 70. Geburtstag würdigt Nathanael Riemer das umfangreiche Werk von Grözinger, der in Frankfurt am Main, in Lund (Schweden) und in Potsdam Judaistik gelehrt hat. Wie vielseitig Grözingers Interessen sind, zeigt die 16 Seiten lange Liste seiner Veröffentlichungen; das Schriftenverzeichnis muss inzwischen bereits ergänzt werden. Der Titel der neuen Festschrift bringt den Inhalt der Beiträge auf einen gemeinsamen Nenner: Aspekte jüdischer Lebenswelten und jüdischen Denkens. Der englische Titel deutet an, dass ein Großteil der Essays (14 von 33) in dieser Sprache abgefasst sind. Um alle Texte zu verstehen, sollte der Leser – neben Deutsch und Englisch – auch Hebräisch, Jiddisch und Griechisch lesen können.
Die Grözinger-Festschriften erinnern in gewisser Weise an internationale Tagungen für Jüdische Studien. Da reden Fachleute in verschiedenen Sprachen über viele Themen, und der Besucher muss aus dem Angebot wählen. Manche Vorträge erweisen sich als hervorragend, andere sind weniger beeindruckend. Am Ende zieht der Kongressbesucher (meist) die Bilanz: die investierte Zeit hat sich gelohnt. So ähnlich wird es jedem ergehen, der diese Grözinger-Festschrift in die Hand nimmt. Bei der Fülle des behandelten Materials wird nach der Lektüre gewiss niemand sagen: Ich habe nichts Neues und nur wenig Interessantes erfahren. Im Gegenteil, jeder Leser wird für neu erworbenes Wissen und für etliche Anregungen dankbar sein.
Ein lehrreiches und schön aufgemachtes Buch verdient Lob. Aber auch kritische Bemerkungen sind erlaubt. Den Beitrag von Mordechay Lewy „Why most Orthodox Jews do not dialogue with Christians and why should they join the dialogue?“ darf der Rezensent in einer Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung hervorheben und kritisch hinterfragen.
Lewy, Botschafter des Staates Israel im Vatikan, fragt: „Why is mainstream Orthodox Judaism in Israel and elsewhere not ready to be engaged?“ (377) Hinter dieser Formulierung steckt eine Behauptung, die m. E. fragwürdig ist. Der britische Chief Rabbi Lord Jonathan Sacks gehört der Orthodoxie an. Seine originellen Beiträge zum christlich-jüdischen Gespräch werden häufig von christlicher Seite gepriesen. In Efrat, Israel, hat der orthodoxe Rabbiner Shlomo Riskin 2008 ein „Center for Jewish-Christian Understanding and Cooperation (CJCUC)“ aufgebaut; über die Projekte des CJCUC kann man sich im Internet informieren. Auch in Amerika beteiligen sich orthodoxe Denker am christlich-jüdischen Dialog; erwähnt sei hier nur der auch in Deutschland bekannte Philosoph Michael Wyschogrod.
Auch über die Feststellung Lewys, dass Juden nur einmal im Jahr, an Jom Kippur, Gott um Vergebung bitten, „Only on Yom Kippur do Jews seek absolution from God and ask forgiveness from fellow men“ (378), habe ich gestaunt. Juden sprechen an jedem Wochentag drei Mal im Achtzehngebet:
„Verzeihe uns, unser Vater, dass wir gesündigt haben, vergib uns, unser König, dass wir gefrevelt haben, denn Du bist es, der verzeiht und vergibt. Gelobt seiest Du, Ewiger, Gnadenvoller, der immer wieder verzeiht.“
Zweifellos hat Lewy nur die besten Absichten gehabt, nämlich die Beziehungen zwischen Juden und Christen zu verbessern, aber er hätte seine Thesen mit mehr Umsicht formulieren und orthodoxe Mitstreiter beim Namen nennen sollen.
Yizhak Ahren, Jerusalem
Jahrgang 21 / 2014 Heft 3 S. 225−227.