Die fünf Bücher des Mose. Ein Lesebuch für die Familie mit Bildern der Kunst
Internet, Smartphone, Videoclips, youtube, facebook, Google & Co. sind heutzutage allgegenwärtig; ohne sie scheint nichts mehr zu gehen. Auch mit Blick auf die Religionen führt kaum noch ein Weg an den neuen Medien vorbei. Wie aber können wir angesichts dieser rasanten elektronischen Entwicklungen heute beispielsweise Kindern überhaupt noch biblische Inhalte ganz ohne Kommunikationstechnologie spannend, farbenfroh, inhaltsreich und vor allem nachhaltig und zeitgemäß vermitteln?
Die gute Nachricht: Es ist möglich, denn es gibt seit etwa einem Jahr einen ansprechenden, mit viel Liebe zum Detail gestalteten Bildband mit dem Titel Reise durch das Alte Testament. Die fünf Bücher des Mose. Ein Lesebuch für die Familie mit Bildern der Kunst, von Suzanne Lier, Jahrgang 1958, Katholikin, fünffache Mutter, späte Theologiestudentin und Inhaberin des Verlags Bibel und Kunst mit Sitz in Bad Honnef.
Es ist eine Freude, den qualitativ hochstehenden, doch für seine Gestaltung recht wohlfeilen Bildband, der sich in erster Linie an Angehörige der christlichen Kirchen richtet, in Händen zu halten und darin zu blättern. Beides, die sorgfältig-akkurate Ausführung sowie die innovative Gestaltung überzeugen gleich zu Beginn.
Das „Plädoyer für eine neue Wertschätzung des Alten Testaments“ (S. 14) lässt bereits beim ersten Anblättern neugierig auf mehr werden. Auf ihrer Verlagshomepage lässt uns die Autorin denn auch wissen:
„Mit dem vorliegenden Lesebuch erfülle ich mir einen Traum, den ich habe, seitdem unsere Kinder klein waren und ich ihnen abends Bibelgeschichten vorlas. Nämlich eine Kinderbibel für sie zu haben, die die biblischen Texte in einer klar verständlichen Sprache ohne Ausschmückung erzählt und auf jeder Doppelseite ein Bild der Kunst zeigt. Meine Beobachtung war, dass Kinder nicht mehr zuhören, wenn sie nicht gleichzeitig ein Bild vor Augen haben, und dass die Qualität des Bildes entscheidenden Einfluss darauf hatte, mit welchen Gefühlen die Geschichte besetzt wurde.
Dieses Buch aber gab es nicht, und so habe ich mich an die Arbeit gemacht, als die Zeit reif war. Dabei habe ich mir selbst viele Fragen gestellt und versucht, sie durch eingehende Lektüre vieler Bücher und den Besuch von Vorlesungen an der Universität Bonn zu beantworten. Das Ergebnis dieser Fragen habe ich dann umgemünzt in kleine Kommentare unter dem biblischen Text für die Erwachsenen und Bildhinweisen für die Kinder.“
Auch in diesem Falle ist es, wie so oft, erst der Mangel, der dazu führt, dass etwas Neues geschaffen wird; mit dem vorliegenden Band ist ein glücklicher Wurf gelungen, der all diejenigen erfreuen wird, die noch immer wacker den Weg hin zum Bücherregal antreten in der Hoffnung, dort auch ohne Rückgriff auf Mobiltelefon oder PC fündig zu werden.
Dass der christliche Glaube für jede und jeden zugänglich sein kann, steht unter theologisch Versierten außer Frage, doch heutzutage weiß eine große Zahl christlicher Menschen kaum mehr mit ihren religiösen Wurzeln etwas anzufangen. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund dieser, nennen wir sie ruhig Kirchen- oder Gotteskrise, ist der vorliegende Band entstanden: Er soll das über weite Teile in Vergessenheit geratene ‚Erste Testament’ wieder ins Bewusstsein der Christinnen und Christen holen. Dass dies unter Einbeziehung der Kinder geschieht, ist didaktisch vorbildlich; ihr erstes von zwei Vorworten richtet Autorin und Herausgeberin Suzanne Lier denn auch an die Kinder (7), wenngleich ihr Buch nicht in erster Linie als „Kinderbibel“ im herkömmlichen Sinne zu lesen ist:
„Und damit Deine Eltern und Großeltern auch mal Lust bekommen, im Ersten Testament zu lesen, habe ich für sie Einleitungen und Exkurse geschrieben und Kommentare, die unter dem Bibeltext stehen. Für dich gibt es fast immer Erklärungen zu den Bildern. Manchmal sage ich aber auch nichts dazu, wie hier beim ersten Bild. Denn mir ist ganz wichtig, dass du nie aufhörst neugierig zu sein und Fragen zu stellen! Viel Freude beim Lesen, Schauen und Entdecken [...]!“
Im Grunde sind Ausrichtung, Konzeption und Zielgruppen mit diesen kurzen Worten bereits klar umschrieben – so soll es auch Eltern und Großeltern gern gestattet sein, sich mit diesem Bildband auf die Reise ins (vielfach unbekannte) Erste Testament zu begeben. Der sich durch den gesamten, übrigens zeitgleich auch in englischer Sprache erschienenen, Band ziehende bunte Bilderreigen, der die biblischen Texte buchstäblich untermalen soll, damit sie langfristig im Gedächtnis haften bleiben, entstammt einem Zeitraum von fast tausend Jahren (vom 12. bis zum 20. Jahrhundert). Die Bilder, sorgfältig ausgewählt, bieten einen direkten Bezug zum jeweiligen Bibeltext, der seinerseits gekürzt in gut verständliches, hie und da vielleicht nicht immer ganz geschliffenes Deutsch übertragen wurde. Ein Beispiel mag die gelungene kindgerechte Adaption der Josefsgeschichte verdeutlichen (217):
„Da stecken die Brüder Josefs aber so richtig im Schlamassel! Du siehst, wie niedergeschlagen sie sind. Hier geht es um Leben oder Tod. Ihnen wird klar, dass sie einen großen Fehler gemacht haben, als sie Josef in den Brunnen warfen. Sie bereuen ihn, aber was nützt das noch? Sie ahnen noch nicht im Entferntesten, dass Josef vor ihnen steht. Sie denken ja, er sei tot. Der kleine Junge könnte Menasse sein, Josefs ältester Sohn. Eine jüdische Legende erzählt, dass er Dolmetscher für Josef war.“
Passend hierzu wurde ein venezianisches Mosaik aus der Vorhalle des Markusdoms gewählt mit dem Titel ‚Josef prüft seine Brüder’.
In ihrem „er(n)ste[n] Wort an die Erwachsenen“ (8) erläutert Suzanne Lier die Zielsetzung ihres bebilderten Buches unter anderem auch im Bewusstsein um die jüdischen Wurzeln christlicher Tradition:
„Das Neue wurzelt im Alten, es ist eine mögliche Fortführung des Alten, die gleichberechtigt neben anderen steht, wie etwa neben der rabbinischen Auslegungstradition im Judentum.“
Die Autorin stellt ihr Werk auf diese Weise ganz in den Dienst eines diachronen religiösen Verständnisses des Christentums mit Worten, deren Deutlichkeit so manche Gläubige auch heute noch überraschen mögen:
„Jesus war Jude, das Alte Testament war seine Bibel […]. Wenn uns Christen das Alte Testament unbekannt ist, muss uns auch Christus fremd bleiben“ (15).
Mit Spannung darf nun – just auch in eben diesem Sinne – auf die weitere ‚Reise’, sprich die geplanten Folgebände zum Ersten Testament (für das Zweite Testament ist ebenfalls ein Band geplant), gewartet werden.
Yvonne Domhardt, Zürich/Freiburg i. Br.
Jahrgang 22 / 2015 Heft 1 S. 51−53