Die Neunte Joseph- Carlebach-Konferenz. Wege Joseph Carlebachs.
Seit 1991 wird die Joseph-Carlebach-Konferenz in Zweijahresabständen – alternierend an der Bar Ilan Universität in Ramat Gan und an der Universität Hamburg – organisiert. Initiatorin ist Miriam Gillis-Carlebach, eine Tochter von Rabbiner Joseph Carlebach, die das 1992 gegründete Joseph-Carlebach- Institut an der Bar Ilan Universität leitet, die vierbändige Gesamtausgabe der Schriften ihres Vaters herausgegeben und eine Studie über seine Erziehungslehre veröffentlicht hat (vgl. Miriam Gillis-Carlebach, ‚Tastet meine Messiase nicht an‘, das sind die Schulkinder; Rez. von Clemens Thoma in: FrRu NF 14 [2007] 214–216).
Joseph Zwi Carlebach, ab 1925 orthodoxer Oberrabbiner von Hamburg und Altona, weigerte sich in der NS-Zeit, seine Gemeinde zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Das Ehepaar Carlebach wurde am 6. Dezember 1941 mit den drei jüngeren Töchtern Ruth, Noemi und Sara in das KZ Jungfernhof in der Nähe von Riga deportiert und nach der Auflösung des Lagers am 26. März 1942 im Wald von Bikernieki ermordet (vgl. FrRu NF 22 [2015] 129). Den fünf älteren Kindern gelang die Flucht. Auch ihrer Mutter Lotte Carlebach-Preuss hat Miriam Gillis-Carlebach ein eigenes Buch gewidmet: Jedes Kind ist mein Einziges: Lotte Carlebach-Preuss, Antlitz einer Mutter und Rabbiner-Frau (Hamburg 1992).
Barbara Vogel, Professorin für Neuere Geschichte an der Universität Hamburg und Anfang der neunziger Jahre deren Vizepräsidentin, beschrieb selbstkritisch den nicht immer sehr sensiblen Umgang ihrer Universität mit dem Erbe Joseph Carlebachs in der Vergangenheit sowie die Aktivitäten des Joseph-Carlebach-Arbeitskreises. 1994 wurde Miriam Gillis-Carlebach für ihr Engagement zur Ehrensenatorin der Universität ernannt.
Arno Herzig (Universität Hamburg) untersucht in seinem Beitrag die Herkunft von Miriam Gillis-Carlebachs verstorbenem Ehemann Moshe Ernst Gillis. Sechs Beiträge der Konferenz behandeln spezielle Aspekte des Lebens und Wirkens Joseph Carlebachs, darunter seine Lehrtätigkeit am Lehrerseminar in Jerusalem (1905–1907) und seine natur- und bibelwissenschaft lichen Studien. Gabriel H. Cohn (Bar Ilan Universität) befasst sich mit Carlebach als Bibelexeget. Zu nennen sind hier insbesondere zwei Schriften Carlebachs: Die drei großen Propheten Jesajas, Jirmija und Jecheskel; eine Studie (1932) und Das gesetzestreue Judentum (1936).
Carlebach war Lehrer aus Leidenschaft. 1921 übernahm er die Leitung der Talmud Tora Schule in Hamburg. Mit der Deportation wurde der „Lehrer aus Passion zum Lehrer in der Passion“ (Wolfgang Grünberg / Frank Laubert, Universität Hamburg). Die Gestapo hatte ihm angeboten, in Hamburg zurückzubleiben, aber Carlebach „hat sich entschlossen, bei dem Transport zu bleiben, um die vielen Menschen nicht zu enttäuschen, die mit ihm fahren wollten“. Die Deportation der Hamburger Juden nach Riga-Jungfernhof am 6. Dezember 1941 behandelt Beate Meyer (Universität Hamburg) in dem Beitrag: „Alles, was ich erinnere, war furchtbar.“
Miriam Gillis-Carlebach porträtiert den ungewöhnlichen Lebensweg ihres Bruders Julius Jizchak Carlebach, der vier Jahre als Rabbiner in Nairobi arbeitete, mit der Studie „Karl Marx and the Radical Critique of Judaism“ promovierte und nach seiner Emeritierung (als Professor für Soziologie an der Universität Sussex) als Rektor der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg wirkte. Mit den Erinnerungen an Salo Carlebach, den Sohn von Joseph Carlebachs Bruder Moses, der sich 1942 aus Westerbork freiwillig mit jüdischen Waisenkindern nach Auschwitz meldete (Emanuel Cohn nennt ihn den Korczak von Westerbork), und an Shlomo Carlebach, den Erneuerer der liturgischen jüdischen Musik in New York, werden zwei weitere Mitglieder dieser begabten und berühmten deutschen Rabbinerfamilie vorgestellt.
Besonders interessant ist der sehr persönliche und informative Aufsatz des israelischen Journalisten und Medienwissenschaftlers Amos Nevo Blobstein über Esriel Carlebach. Der 1956 verstorbene Gründer der israelischen Tageszeitung „Maariv“, Esriel Carlebach, war der Sohn von Ephraim Carlebach, der als Rabbiner in Leipzig wirkte. Er lernte in Jeschiwot in Litauen und Palästina, schrieb für zahlreiche deutsche, jiddische und hebräische Zeitschriften und redigierte das Hamburger „Israelitische Familienblatt“. In den dreißiger Jahren gab er sich als Nationalsozialist aus und warnte in einer Artikelserie in der jiddischen Zeitung „Haynt“ unter dem Pseudonym Levi Gotthelf die polnischen Juden vor der nationalsozialistischen Gefahr.
Evelyn Adunka, Wien
Jahrgang 22 / 2015 Heft 3, S. 210−211.