Ein historischer Roman
Es gibt eine ganze Reihe von Untersuchungen über die „Arisierung“ jüdischen Vermögens. Eine, die sich explizit damit befasst, ist „Enteignung der Juden. Wunder der Wirtschaft, Erbe der Deutschen“ von Wolfgang Mönninghoff (2001). Akribisch verfolgt er die Entwicklung, angefangen vom April-Boykott (1. April 1933) bis zum letzten Kapitel: „Der Führer ging – die Nazis bleiben“. Eine umfangreiche Bibliographie listet zahlreiche andere Werke zu diesem Thema auf. Es sind wissenschaftliche Studien. Der Margarete Feldmann gewidmete historische Roman über den Konfektionär Kurt Ehrenfried und seinen Kompagnon Simon Cohn führt vor Augen, wie ein jüdischer Unternehmer diese Entwicklung am eigenen Leib erfährt.
Kurt Ehrenfrieds Vater kommt aus Posen nach Berlin und beginnt mit einem bescheidenen Geschäft. Sein Sohn will höher hinaus. Zusammen mit Simon Cohn betreibt er in der Mohrenstraße 24 am Hausvogteiplatz in Berlin, dem Zentrum jüdischer Konfektionäre, ein sehr erfolgreiches Konfektionsgeschäft: Jeden Monat werden 20 000 Bekleidungsstücke hergestellt und weltweit verkauft: nach Australien, Brasilien und Kanada, in die USA, nach Holland und England.
Aber seit April 1933 wird Stimmung gegen Juden gemacht. Die Zeitungen hetzen: „Deutsche Mode ohne Juden!“ Die für die Produktion unentbehrlichen Zwischenmeister erpressen Ehrenfried, – er muss ihnen eine Gewinnbeteiligung versprechen. Nur der dritte Zwischenmeister, ein frommer Jude namens David Landauer, zieht es vor, Berlin rechtzeitig zu verlassen, und sich in England eine neue Existenz aufzubauen. Für Ehrenfried steht das – vorläufig – noch außer Frage. Er hat eine verständnisvolle Frau, zwei Kinder und ein Haus mit sieben Zimmern in der Bleibtreustraße. So etwas gibt man nicht so schnell auf. Auch Ehrenfrieds Vater Isidor ist noch ganz der alte fromme Jude aus dem Schtetl. Davon will Kurt Ehrenfried jedoch nichts wissen. Er geht nur, wenn überhaupt, an den wichtigsten Feiertagen in die Reformsynagoge in der Fasanenstraße.
Dann geht alles sehr schnell. Nach einer für die jüdischen Konfektionäre aus Berlin misslungenen Modenschau im Haus Esterel in Paris – die jüdischen Konfektionäre werden bereits ausgegrenzt – wandert Ehrenfrieds Kompagnon Cohn, der, wie beinahe zwei Drittel aller kreativen Konfektionäre, schwul ist, sogleich ins damalige Palästina aus. Ehrenfried kehrt nach Berlin zurück. Mitten im Trubel seiner eigenen Modenschau muss er den Zwangsverkaufsvertrag unterzeichnen: Nur an diesem einen Tag werden ihm noch 40 Prozent des Wertes seines Besitzes zugesichert. Ehrenfried unterschreibt. 1936 trifft er mit seiner Frau Lore und seinen Kindern Max und Sara in England ein. Kurz nach seiner Ankunft wird er als „feindlicher Ausländer“ interniert. Seine Familie lebt unterdessen von dem Verkaufserlös, der nach der Unterschrift umgehend von den zugesagten 40 % des Verkaufswertes auf 25 % reduziert wurde.
Als Ehrenfried nach 1945 wieder nach Berlin zurückkehrt, um seinen Besitz zurückzufordern, speist ihn Hermann Bartlet, der sein Unternehmen übernommen hatte – aus Kulanz, wie ihm bedeutet wird –, mit lächerlichen 9000 Mark ab. Der Hausvogteiplatz und damit Ehrenfrieds ehemalige Firma liegen – inzwischen unzugänglich – im Ostteil Berlins.
Eine traurige Geschichte aber auch ein Zeitdokument, denn Westphal streut immer wieder Daten und wichtige Ereignisse in die Erzählung ein, die sich zu einem Bild der Zeit zwischen 1933 und 1945 zusammensetzen und den Roman authentisch machen.
Miriam Magall, Berlin
Jahrgang 22 / 2015, Heft 3, S. 226−227.