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Daniel Krochmalnik / Hans Joachim Werner (Hg.)

50 Jahre Martin Buber Bibel

Beiträge des Internationalen Symposiums der Hochschule für Jüdische Studien und der Martin Buber-Gesellschaft

Am 6. Mai 1925 erhielt Martin Buber einen Brief des jungen Verlegers Lambert Schneider, der ihm mitteilte, dass er das Programm seines neu gegründeten Verlags u. a. mit einer „handlichen Bibelausgabe“ beginnen wolle und „nach einem Menschen“ suche, dem er „die Redaktion anvertrauen“ könne: „[Ich] weiß, dass, wenn Sie die Arbeit übernehmen würden, sie in den besten Händen läge“ (Martin Buber, Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, Bd. II, S. 218). Buber jedoch machte seine Entscheidung, dieses Angebot anzunehmen, abhängig von der Mitarbeit seines Freundes Franz Rosenzweig. Der bereits an Lateralsklerose erkrankte Rosenzweig entschloss sich trotz Krankheit zur Mitarbeit.

So begannen vier Jahre intensivster Zusammenarbeit, in denen beide ihre Herangehensweise und ihre Übersetzungsphilosophie reflektierten und entwickelten, und in denen eine ganze Reihe von Schriften zu dieser Übersetzungsarbeit erschienen. Es wurde Rosenzweigs letztes großes, unvollendetes Werk. Noch am Vorabend des 10. Dezember 1929, seinem Sterbetag, diktierte er einen Brief an Buber, der sich auf ihre gemeinsame Arbeit der Verdeutschung der Schrift bezog: „Und jetzt kommt sie, die Pointe aller Pointen, die der Herr mir wirklich im Schlaf verliehen hat ...“. Hier bricht das Diktat ab, und so bleiben dies die letzten Worte Rosenzweigs, unvollendet und doch bedeutsam.

Buber und Rosenzweig hatten gemeinsam zehn Bücher übersetzt. Zum Zeitpunkt von Rosenzweigs Tod arbeiteten sie an Jesaja, Kap. 53 (Jeschajahu) in dem Band Bücher der Kündung. Es war eine unglaubliche Leistung im Hinblick auf die Kürze der Zeit und in Anbetracht von Rosenzweigs Erkrankung, die progressiv seine Schreib- und Sprechfähigkeit reduzierte und ihn schließlich in Bewegungslosigkeit erstarren ließ. Nach Rosenzweigs Tod arbeitete Buber allein weiter. Er beendete das gewaltige Werk im Jahre 1961 in Jerusalem. Der letzte Band, Das Buch der Preisungen (Psalmen), erschien 1962. Zwischen 1929 und 1961 lagen Bubers Emigration und die Vernichtung des deutschen Judentums, das beide aus Überzeugung vertreten hatten.

Das 50-jährige Jubiläum der Publikation des letzten Bandes der Verdeutschung der Schrift war der Anlass zu einer Tagung am 4. und 5. November 2012, die die Martin Buber-Gesellschaft gemeinsam mit der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg organisierte, und die der vorliegende Ta gungsband 50 Jahre Martin Buber Bibel dokumentiert. Der Band vereint die 15 Tagungsbeiträge namhafter Buber-Experten aus Deutschland, Israel und apan zu Aspekten und Betrachtungsweisen dieser ungewöhnlichen Bibelübersetzung.

In der Einleitung erläutert Hans-Joachim Werner, Vorsitzender der Martin Buber-Gesellschaft, Anlass und Titel der Tagung Gastgeschenk und Grabmal – 50 Jahre „Verdeutschung der hebräischen Bibel von Martin Buber mit Franz Rosenzweig“. Der erste Teil des Tagungstitels bezieht sich auf eine Rede Gershom Scholems 1961 in Jerusalem, in der er auf das Grauen, das zwischen 1929 und 1961 die Welt für immer verändert hatte, hinweist. Der Band weist zwar keine strikt themenbezogene Gliederung auf, die Beiträge können aber dennoch drei Themenkreisen zugeordnet werden. Der erste Teil umfasst sechs Beiträge, die die Bibelübersetzung unter ganz unterschiedlichen Blickwinkeln in den historischen, vor allem in den zeitgenössischen Kontext, d. h. in die Zeit der Weimarer Republik, einbetten.

Manfred Oeming behandelt die Grundprinzipien des Übersetzens. Er untersucht, wie Buber und Rosenzweig übersetzungstechnisch vorgingen, um die Balance zwischen „Wörtlichkeit und Schönheit, zwischen Originaltreue und Zeitgemäßheit, zwischen Wurzeltreue und Attraktivität für die Leserschaft“ zu finden. Karl Günther befragt die lange jüdische Auslegungstradition bis hin zu Moses Mendelssohn, um an der Übersetzung des Priestersegens (Num 6,22–27) zu beweisen, wie tief Buber und Rosenzweig in ihrer jüdischen Tradition verwurzelt sind.

Daphna Mach kontrastiert die Verdeutschung der Schrift mit den jüdischen Bibelübersetzungen bis zum 19. Jahrhundert und ihrer zwanghaften Bindung an den Luthertext, von dem sich seither kein jüdischer Übersetzer „freizumachen vermochte“, wie Martin Buber es in seinem Nachruf auf Franz Rosenzweig formulierte:

„Luther hatte die Hebräische Bibel in das Deutsch seines Neuen Testaments übersetzt, in eine von christlicher Theologie geprägte Sprache; kein Übersetzer, auch kein jüdischer, hatte sich seither davon freizumachen vermocht. [...] Es gab nur einen indirekten Weg zur Kundgebung unserer Wahrheit: durch eine treue Übersetzung der Schrift“ (S. 68).

Adressaten der neuen Übersetzung waren, wie Rosenzweig in einem Brief an Harry Torczyner schrieb, sowohl Juden wie Christen:

„[...] die Juden, damit sie wieder zum Original zurückfinden, die Christen, damit sie hinter der ihnen verpfafften Lutherübersetzung wieder das lebendige Wort spüren“ (S. 85).

Mach untersucht auch die zeitgenössische, vor allem jüdische Rezeption der neuen Übersetzung, speziell von Harry Torczyner (Naphtali Herz Tur-Sinai), der selbst an einer Übersetzung arbeitete, und von Rabbiner Dr. Joseph Wohlgemuth vom Rabbinerseminar in Berlin.

Christian Wiese stellt in „Also werden wir missionieren“ die jüdische Auseinandersetzung mit der – vor allem protestantischen – Bibelwissenschaft in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Der Beitrag beginnt mit einem Zitat aus einem Brief Rosenzweigs an Martin Buber (29. 7. 1925):

„Ist Ihnen eigentlich klar, dass heut der von den neuen Marcioniten theoretisch erstrebte Zustand praktisch schon da ist? Unter Bibel versteht heut der Christ nur das Neue Testament, etwa mit den Psalmen, von denen er dann noch meist meint, sie gehörten nicht zum Alten Testament. Also werden wir missionieren“ (S. 121).

Gleichzeitig bemängelten jüdische Forscher wie Rabbiner Max Dienemann, „dass die Bibelforschung [...] fast ganz eine Domäne der christlichen Gelehrten geworden ist“. Andreas Losch stellt zwei bisher unveröffentlichte Typoskripte Bubers ins Zentrum seiner Überlegungen und beweist, dass Buber sich mit der jüdischen Übersetzungstradition des Gottesnamens mehr beschäftigt hatte, als bisher angenommen.

Drei der vier Beiträge des zweiten Teils behandeln die Frage Mündlichkeit versus Schriftlichkeit in der Buber-Rosenzweig-Übersetzung. Martin Leiner und Silvia Richter sind sich einig, dass für beide Übersetzer die Oralität das leitende Prinzip der Bibelübertragung war. Leiner arbeitet vier Ebenen heraus, auf denen sich die Oralität im Text manifestiert. Richter konzentriert sich auf die tragende Rolle der Stimme in der Übersetzung. Die versartige Anordnung des Textes ist eines der wesentlichen Charakteristika dieser Übersetzung. Hana Liss dagegen betont die Dominanz der Schriftlichkeit, der Schriftauslegung in der jüdischen Tradition, und kommt zu dem Schluss, dass die Buber- Rosenzweig-Übersetzung aus der jüdischen Tradition heraustritt. Im vierten Beitrag sucht Roland Gruschka die verdeckten Spuren der „taitschen“ Cheder-Bibelübersetzungen, die durch Bubers frühen Kontakt zum Schtetl-Judentum unbewusst in die Übersetzung eingeflossen sein könnten.

Der dritte Teil befasst sich mit der Wirkung der Buber-Rosenzweig-Übersetzung in den USA, in Frankreich und Israel. Ran Ha Cohen behandelt ihre Bedeutung für die Bibelübersetzungen von Everett Fox, der die Buber-Rosenzweig- Übersetzung in den USA bekannt gemacht hatte, und ihren Einfluss auf die in den USA entstandene junge jüdische Erneuerungsbewegung.

Daniel Krochmalnik bettet in einem hoch differenzierten philologischen Beitrag die Buber-Rosenzweig-Übersetzung ein in den Renouveau juif und gibt einen Einblick in französische Bibelübersetzungen. Auch die Beiträge der drei japanischen Forscher tragen (in englischer Sprache) Neues zur Buberforschung bei. Funio Ono untersucht die Morphologie der Stimme in Bubers Hermeneutik und bindet seine Betrachtung ein in zeitgenössische Diskussionen in Deutschland. Toshihiro Horikawa interessiert das Verhältnis der Mündlichkeit zur Prophetie, d. h. wie Gottes Wille durch die Propheten vermittelt wird. Er fokussiert seine Überlegungen auf Bubers Konzept der biblischen Sprache als Anrede an ein DU. Kataro Hiraoka erläutert abschließend Martin Bubers Verständnis von Theokratie und seine Rezeption im israelischen Kontext.

50 Jahre Martin Buber Bibel ist ein äußerst lesenswertes Buch, das nicht nur Bibelforscher, sondern alle an der Schrift Interessierten bereichert. Die Beiträge verdeutlichen, wie reich an Bezügen, Implikationen und Traditionen diese epochale Übersetzung ist. Bedauerlicherweise wurde die Internationale Rosenzweig- Gesellschaft nicht zu dieser Tagung eingeladen. Vielleicht hätten ihre Forscher zur Verdeutschung der Schrift noch weitere interessante Aspekte beigetragen. Als Manko erscheint mir, dass die drei Beiträge aus Japan nichts über die Rezeption der Buber-Rosenzweig-Übersetzung in Japan mitteilen, und auch nicht, ob es überhaupt eine japanische Übersetzung gibt.

Gershom Scholem beendete 1961 eine Rede in Jerusalem mit den an Buber gerichteten Worten: „Was die Deutschen mit Ihrer Übersetzung machen werden, wer möchte sich vermessen es zu sagen.“ Wurde die Buber-Rosenzweig-Übersetzung generell enthusiastisch aufgenommen oder doch nur in Deutschland, und hier vor allem von protestantischen Christen? Spielt sie in der jüdischen Rezeption überhaupt eine Rolle? Hat sie ihre anti-marcionistische Intention erfüllt? Trotz all dieser Fragen ist es ein Buch, das nicht nur Spezialisten, sondern durchaus einem größeren Publikum empfohlen werden kann.

Eva Schulz-Jander, Kassel


Jahrgang 22  / 2015, Heft 3, S. 215−218


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