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Rabbiner Dr. Max Dienemann

Judentum und Christentum

Rabbiner Max Dienemann (1875–1939) gehört zu den bedeutenden liberalen Rabbinern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (vgl. FrRu NF 21 [2014] 263). Er war aber auch für die jüdische Orthodoxie offen. Zusammen mit Leo Baeck leitete Dienemann den Allgemeinen Rabbinerverein Deutschland, in dem liberale und orthodoxe Rabbiner ihre Interessen vertraten. Auch dem Zionismus stand er nahe. 1935 ordinierte er mutig Regina Jonas zur ersten Rabbinerin in der Geschichte des Judentums (ebd. 174), ein für das Judentum bedeutender und richtungweisender Schritt. Bereits im Dezember 1933 wurde Rabbiner Dienemann im Konzentrationslager Osthofen interniert („in Schutzhaft genommen“), kam aber wieder frei. 1938 wurde er kurz nach dem furchtbaren Novemberpogrom erneut verhaftet. Nach seiner Freilassung aus dem KZ Buchenwald entschloss er sich, mit seiner Familie nach Palästina zu emigrieren, wo er bald darauf 1939 starb.

In der Einleitung seiner kleinen Schrift „Judentum und Christentum“ beschreibt Dienemann die Basis für den Dialog zwischen Juden und Christen:

„Von Unterschieden zwischen Judentum und Christentum soll auf den folgenden Blättern die Rede sein. [...] Es sei uns fern, eine Kritik des Christentums zu geben, Glaubenssätzen nahe zu treten, in denen Millionen Menschen Beseligung und innere Ruhe finden. Worauf es uns ankommt, ist einzig und allein zu zeigen, welche Lehren dem Judentum eigentümlich sind, was die Juden von alters her von dem Eintritt in das Christentum abhielt und auch in Zukunft abhalten muss.“

Diese unpolemische Zielsetzung hat eine doppelte Sinnrichtung. Sie soll dem zeitgenössischen Judentum eine klarere Vorstellung von der christlichen Umwelt und von der Andersartigkeit des Judentums geben, und sie soll die Juden befähigen, im Gespräch mit Christen zu zeigen, warum Juden den christlichen Glauben nicht annehmen können und dürfen.

Seine kurzen, aber prägnanten Darlegungen beginnt Dienemann mit einer theologischen Differenz, die für ihn grundlegenden Charakter hat. Für die Juden ist der Mensch von Geburt an sündenlos und kann und muss von sich selbst aus verantwortungsvoll sittlich handeln, während das Christentum die Erbsünde lehrt und glaubt, für sittliches Handeln der Gnade Gottes zu bedürfen.

Ebenso fundamental ist der Unterschied in der Auffassung von Erlösung. Während für das Judentum Erlösung im Zusammenbruch von Tyrannei und Gewaltherrschaft, im Enden von Ungerechtigkeit und Leid sowie in der endgültigen Befreiung Israels bzw. im tikkun ha-olam, der Wiederherstellung der Welt, liegt, glauben Christen an Erlösung als Befreiung von der Last der Sünde. Vergebung erhält der gläubige Jude allein durch Gott, Christen dagegen finden Vergebung durch das Erlösungswerk Christi.

Ähnlich weist Dienemann auf wesentliche Unterschiede im Messias-Verständnis, in der Bewertung des jüdischen Gesetzes, im Verständnis von Gerechtigkeit und Liebe und in der Funktion von Synagoge und Kirche hin. Hinter all diesen Unterschieden steht auch immer der christliche Glaube an die Person und das Heilswerk Jesu Christi, des Mensch gewordenen Sohnes Gottes, der von den Juden abgelehnt wird. Dieser christliche Glaube und auch seine jüdische Ablehnung wirken sich, wie Dienemann darlegt, elementar in fast allen Lehren beider Religionen aus.

Das erstmals 1914 erschienene Buch reflektiert die zeitbedingten Auffassungen und entspricht daher auch nicht dem Stand der heutigen Diskussion, zumal seit NOSTRA AETATE und dem langjährigen christlich-jüdischen Gespräch die von Dienemann aufgezeigten Unterschiede neu reflektiert und bewertet worden sind. Er thematisierte auch nicht die wichtigen Bereiche, in denen Juden und Christen Übereinstimmung finden. Dennoch ist seine Schrift ein lebendiges Zeugnis für die Geschichte des christlich-jüdischen Verhältnisses in einer Zeit, als der Dialog vielfach von jüdischen Denkern initiiert wurde. Dem Herausgeber sei Dank, dass er diese gut verständliche Schrift erneut zugänglich gemacht hat.

Werner Trutwin, Bonn


Jahrgang 22 / 201, Heft , S. 139−141.


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