„ … 9. Mai 1940; nachmittags gegen 5 Uhr lande ich als staatenloser Emigrant in Shanghai; alles wirbelt noch in meinem Kopf, noch bin ich nicht fähig zu ordnen, was alles auf mich eindringt; kann noch nicht die Angst verscheuchen, die ich in langen Jahren der KZ-Haft durchlitten habe; nicht ermessen jenes glückselige Gefühl: Du bist frei! Musik weckt mich aus meiner Versunkenheit, Kameraden, die einst mit mir in Dachau und Buchenwald in ‚Schutzhaft‘ saßen, kommen mit einem kleinen Boot und einer Musikkapelle längsseits; auf einem großen Plakat lese ich die Worte ‚Welcome in Shanghai‘.“1
So beginnen die Erinnerungen von Hugo Burkhard (1899–1971), einem der 18 000 bis 20 000 zentraleuropäischen Juden, die in der Hitlerzeit Zuflucht in Shanghai suchten.2
Als Hitler 1933 an die Macht kam, ahnten die meisten Juden in Deutschland und Österreich noch nicht, was auf sie zukommen würde. Doch das Unheil für sie kam Schritt für Schritt: Dem Reichstagsbrand, dem Verbot der Kommunistischen Partei und der Gewerkschaften folgte der Aufmarsch von SAPosten vor den Geschäften jüdischer Inhaber; auf die Verbrennung „artfremder“ Bücher und die Konfiszierung „entarteter Kunst“ folgten die ‚Nürnberger Gesetze‘; in der „Reichskristallnacht“ gingen in ganz Deutschland die Synagogen in Flammen auf. Hitler wollte Deutschland „judenfrei“ machen. Den Juden als „Reichsfeinden“ blieb im Kampf ums Leben fast nur die Möglichkeit der Flucht ins Ausland. Aber wohin?Nur wenige Länder waren bereit, sie aufzunehmen. England, Polen und Rumänien legten Quoten fest, das heißt Höchstzahlen für die jährlich erlaubten Einwanderer, oder sperrten einfach die Grenzen. Und wer in Polen oder Rumänien Aufnahme gefunden hatte, fiel kurz danach wieder in die Hände der Nationalsozialisten. Australien forderte pro Einreiseerlaubnis 200 Pfund (4000 Reichsmark).
Die USA hatten nach der Verabschiedung des Johnson Immigration Act im Jahre 1924 die Einwanderungspolitik grundlegend geändert. Auch hier galt das Quotensystem. Zudem musste der Einwanderer beweisen, dass er seinen Lebensunterhalt in den USA bestreiten konnte oder dass er Verwandte oder nahe Freunde in den USA hatte, die in der Lage und bereit waren, für ihn zu sorgen.3 Der deutsch-jüdische Emigrant Hans Heinz Hinzelmann berichtete über seine Erlebnisse im März 1938, als er – erfolglos – in Indien Zuflucht suchte:
„Mit echt menschlicher Teilnahme um mein Schicksal bemüht, riet man mir dringend: ‚Gehen Sie nach Ostasien. China ist heute das Refugium der Flüchtlinge. In China brauchen Sie kein Visum, keine Einreiseerlaubnis und keine Aufenthaltsgenehmigung.‘“4
Neben Palästina, den Vereinigten Staaten und Lateinamerika war China in en dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts das Land, das die meisten jüdischen lüchtlinge aufnahm. Ein jüdischer Emigrant schrieb, dass nur noch in China die Tür für Juden offen stand:
„We are going to Shanghai. We know that war is raging in China, that Shanghai is ravaged, that perhaps there is no place for us, but we are going anyway. Since in face of all other doors closed to us, it was the only one remaining open and our only desire was to flee Germany no matter what happened.“5
I. Shanghai – Millionenstadt am Meer und Treffpunkt der Ausländer
Die damalige politische Situation in Shanghai war noch immer bestimmt vom Ausgang des Opiumkriegs (1840–1842). Am 29. August 1842 war der Nanking-Vertrag zwischen China und England unterzeichnet worden. Es war der erste der von den Chinesen moralisch nie anerkannten und somit bekämpften „ungleichen Verträge“. Die einschneidenden Bedingungen waren: Hongkong wird an England abgetreten, Kanton, Amoy, Ningpo, Foochow und Shanghai werden dem Handel mit dem Ausland geöffnet, Fremden wird die Niederlassung gestattet.6
Shanghai in den 40er Jahren des 20. Jh. Archiv der Geschichtswerkstatt Gröpelingen e. V. |  |
Die Engländer betrachteten Shanghai als den bedeutendsten Handelsplatz in Asien und bauten ihn aus. Darauf folgten amerikanische, italienische, französische und deutsche Firmen mit ihren Niederlassungen, von denen aus sie mit ganz Ostasien Handel trieben. 1937 umringte und besetzte die japanische Armee, nachdem sie Nordchina erobert hatte, teilweise die Stadt Shanghai.
Geblieben waren ein „International Settlement“, in dem Engländer und Amerikaner dominierten, und eine „French Concession“, die von den Franzosen verwaltet wurde. Im Jahr 1936 waren von den fünf Millionen Einwohnern Shanghais ungefähr 60 000 Ausländer, davon 20 000 Japaner, 15 000 Russen, 9000 Engländer, 5000 Deutsche und Österreicher (vorwiegend Juden), 4000 Amerikaner und 2500 Franzosen.7
Die Ausländer unterstanden nicht der Gerichtsbarkeit der Chinesen, sondern der für sie zuständigen Konsulate. Sie besaßen ein Maß an persönlicher Freiheit, wie es sie wohl kaum an einem zweiten Platz auf der Welt gab. Selbst der Stadtrat bestand 1939 aus fünf Engländern, zwei Japanern, zwei Amerikanern und nur fünf chinesischen Stadträten.8 Shanghai hatte sich zu einer internationalen Weltstadt entwickelt, zum „Paradies der Abenteurer“. Shanghai „war nicht China“, schrieb Hans Joachim Krug in seinem Reisebericht,
„[...] das war eine amerikanische Hafenstadt. Auch das Straßenbild hatte mit chinesischen Städten kaum mehr gemein als die vor den Rikschas trabenden Kulis und die Scharen der in europäischer Kleidung wie auch in einheimischer Tracht sich durch die Straßen bewegenden Chinesen.“9
II. Ankunft und Etablierung
1. Wege nach Shanghai
Zwei Wege führten damals nach Shanghai. Die meisten Flüchtlinge fuhren mit italienischen Schiffen durch den Suezkanal oder um das Kap der Guten Hoffnung. Drei bis vier Wochen waren sie unterwegs, sofern nicht unvorhergesehene Zwischenfälle die Reise verlängerten. Der Flüchtlingsstrom erreichte in der ersten Hälfte des Jahres 1939 seinen Höhepunkt. Mit dem Kriegseintritt Italiens an der Seite des Großdeutschen Reichs am 10. Juni 1940 war dieser Weg versperrt.
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Anzeige aus dem Jüdischen Nachrichtenblatt vom 24. Mai 1940 (aus: Marbacher Magazin, 3/1995, S. 90). |
Der zweite Weg führte mit der Bahn durch Sibirien in die mittlerweile von Japan besetzte Mandschurei und von dort aus nach Süden in die Städte Harbin, Dalien, Tianjin oder Shanghai. Wenn ein japanisches Visum vorlag, stellte die UdSSR Transitvisa für die Reisenden aus. Mit dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion war auch diese Tür verschlossen.10 Trotz aller Bemühungen, sie zu begrenzen, stieg die Zahl der jüdischen Flüchtlinge im August 1938 auf rund 14 000 an.11
2. Die jüdischen Emigranten aus Russland und dem Irak
Schon lange bevor verfolgte Juden aus Deutschland und Österreich eintrafen, war Shanghai ein Zufluchtsort für jüdische Emigranten. Bereits nach der Oktoberrevolution (1918–1920) hatten russische (aschkenasische) Juden zusammen mit nichtjüdischen Flüchtlingen in Shanghai Schutz gesucht. Viele waren anfangs in der Mandschurei geblieben, wo in Harbin, Dalien und anderen Städten Nordchinas große russisch-jüdische Siedlungen entstanden. Der Einmarsch der Japaner 1933 trieb sie weiter nach Shanghai. Ende 1939 lebten dort ungefähr 4000 russische Juden.12
Irakische (sephardische) Juden waren bereits im Gefolge der britischen Expansion im 19. Jh. eingewandert und hatten durch Opiumschmuggel und Bordelle, durch Bodenspekulation und den Aufbau von Wirtschaftsmonopolen Vermögen angehäuft. Viele von ihnen besaßen britische Pässe. Namen wie Kadoorie, Sassoon, Hardoon waren auch in Europa bekannt.
Am Anfang zeigten die Einwohner Shanghais starkes Mitgefühl für die jüdischen Neuankömmlinge. Doch gleichzeitig wuchs die Konkurrenz zwischen den ansässigen und den neu angekommenen Juden. Außerdem hatten die Alteingesessenen Angst vor dem unaufhörlich wachsenden Flüchtlingsstrom. Die Folge war, dass durch ein Dekret des „Shanghai Municipal Council“ vom 21. August 1939 nur noch Flüchtlinge aufgenommen wurden, die ein Landungsgeld von 200 $ zahlen konnten13 und bereits Familienmitglieder oder zukünftige Ehepartner in Shanghai hatten oder einen Anstellungsvertrag bei einer Firma in Shanghai besaßen.14
3. Hongkou – Neue Heimat für jüdische Emigranten
Das Schicksal der in Shanghai neu eingetroffenen jüdischen Emigranten folgte einem Schema, das für viele gelten sollte. Wer etwas Geld hatte, mietete sich zuerst entweder im „International Settlement“ oder in der „French Concession“ ein. Die Mittellosen kamen gleich nach Hongkou, einem Bezirk der Stadt Shanghai, der 1937 von den Japanern besetzt und teilweise zerstört worden war. Im Januar 1940 lebten laut Statistik 1500 Emigranten im „International Settlement“, 4000 in der „French Concession“ und 11 000 in Hongkou.15 In Hongkou war das Leben viel billiger als im „International Settlement“ oder in der „French Concession“. Die Mieten lagen dort bis zu 75 % unter dem Durchschnitt von Shanghai.16 Viele durch den Krieg beschädigte Häuser waren von den Eigentümern aufgegeben worden. Außerdem kauften oder mieteten jüdische Hilfsorganisationen in Hongkou Wohnungen für jene Emigranten, die nicht selbst in der Lage waren, eine Unterkunft zu finden.
4. Arbeit – Ein Überblick
Das erste Problem für Neuankömmlinge in einem fremden Land ist immer die Sprache. Damit hatten die jüdischen Emigranten keine unüberwindbaren Schwierigkeiten, weil viele von ihnen und, wie der ehemalige Emigrant Alfred Walter Kneucker schrieb, auch viele Chinesen „fließend Englisch sprachen“.17 So war es möglich, dass viele Emigranten gleich anfingen, sich eine neue Existenz aufzubauen. Auch Hugo Burkhard berichtete:
„Allmählich [...] lernten [wir] auch einige Brocken Chinesisch, während viele Chinesen etwas Englisch sprachen, einige davon sogar fließend.“18
Die meisten Emigranten gehörten in ihrer Heimat zur Mittelklasse. Ihre Berufe verzeichnete Robert Barnett in seinem Buch „Economic Shanghai, Hostage to Politics“ (1941) in einer Statistik, die 3420 Menschen erfasste: 220 Ärzte, 100 Handwerker, 120 Kosmetiker, 180 Zahnärzte, 120 Krankenschwestern, 200 „agents“ (Makler), 160 „household experts“, 220 Hutmacher, 132 Ingenieure, 1100 Kaufleute, 260 Musiker, 100 Schneider, 150 Köche, 140 Metzger, 120 Kinderkrankenschwestern und 100 Taxifahrer.19 Schon nach kurzer Zeit öffneten Restaurants, Konzertsäle, Kaffeehäuser, Bars, Imbissstuben und Werkstätten aller Berufszweige ihre Pforten, bis zum 18. Februar 1943 insgesamt 307 Geschäfte:
„Darunter waren 68 Kleidergeschäfte, 50 Kaffeehäuser und Restaurants, 26 Gebrauchtwarenläden, 24 Lebensmittelgeschäfte, 19 Schneidereien, 14 Buchhandlungen, 12 Geschirrgeschäfte, 9 Apotheken, 9 Elektrogeschäfte, 5 Photoateliers, 4 Werkstätten für Gummiwaren, 12 Pelzgeschäfte, 44 Gemischtwarenhandlungen.“20
Es entstand ein neuer Lebensstil in Shanghai, besonders in Hongkou, wo die meisten Emigranten wohnten. Hongkou bekam bald den Namen „Klein- Wien“.21
5. Krankenhäuser
Ein besonderes Kapitel im Leben der jüdischen Emigranten in Shanghai waren die Krankenhäuser. Die Emigranten wurden schon an Bord im Hafen von Shanghai ermahnt:
„Esst nichts, was nicht frisch und durch und durch gekocht ist, [...] lasst Euch jedes zweite Jahr gegen Typhus, und jedes Jahr gegen Cholera impfen, [...] Gemüse, das ihr roh genießen wollt, muss vorher in warmem, abgekochtem Wasser gründlich gereinigt sein. [...] dies gilt auch für Früchte aller Art. [...] Dünnschaliges Obst sollte nur gekocht gegessen werden. [...] setzt Euch nicht der Sonne aus. [...] macht mäßig Freiübungen. [...] versucht nachmittags ein Nickerchen zu machen. [...] Alkoholische Getränke werden am besten während des Tages nicht genossen [...].“22
Die fremde Umgebung, die mangelnde Hygiene, die Hitze im Sommer und die Kälte im Winter machten den Emigranten zu schaffen:
„Der Gesundheitszustand der Emigranten war ein miserabler, und die Leute starben hinweg wie die Fliegen, und zwar ohne Unterschied des Alters. Typhus, Dysenterie, Cholera und Vitaminkrankheiten wie Beri Beri und Skorbut hielten reichliche Ernte [...]“.23
Die aus Deutschland und Österreich eingewanderten Ärzte wurden mit diesem medizinischen Chaos konfrontiert. Mit der Zeit wurden für die Emigranten drei Krankenhäuser eröffnet, die fast alle Spezialabteilungen umfassten und auch die seelisch und geistig erkrankten Emigranten behandelten. Das furchtbare Geschehen in der Heimat und die begreifliche Sorge um die Zukunft hatten viele an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben. In den Krankenhäusern fühlten sie sich erstmals wieder wie Menschen: „Hier wirst du gepflegt, hier bist du wieder Mensch, hier bekommst du keine todbringende Spritze, die dir Mörder in weißen Kitteln ins Fleisch stoßen. Nein, hier im Shanghaier Hospital sind selbstlose Helfer der leidenden Menschheit am Werk, Ärzte aus Passion und mit Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein.“24
Einige jüdische Ärzte standen mit ihren Fachkenntnissen nicht nur ihren Leidensgenossen bei; sie behandelten später auch Protagonisten der chinesischen Revolution. So hat Dr. Spanierman mehrmals Zhou Enlei, den späteren Ministerpräsidenten der Volksrepublik China, ärztlich betreut, und Dr. Rosenfeld behandelte Chen Yi, den späteren Bürgermeister Shanghais und sogar Mao Zedong, den späteren Parteichef der Volksrepublik China.25
6. Presse
Während ihres Exils entwickelten die jüdischen Emigranten ein eigenes Nachrichtennetz und Pressewesen. Bis zum Eintreffen der ersten Flüchtlinge aus Mitteleuropa gab es für die jüdische Gemeinde in Shanghai nur die englische Wochenzeitschrift Israel’s Messenger, gegründet 1904 von Nissim Elias Benjamin Ezra. 1939 erschien erstmals das Wochenblatt Shanghai Woche, herausgegeben von Wolfgang Fischer. Kurz danach folgte, erst als Wochenblatt und später als Tageszeitung, das Shanghai Jewish Chronicle (ab 1945 bis zu seiner Einstellung 1948 unter dem Namen Shanghai Echo), herausgegeben von Ossie Lewin. Eine der bedeutendsten Zeitungen war die Gelbe Post, die ursprünglich als Monatszeitschrift, seit Ende 1939 wöchentlich und seit Mitte 1940 täglich erschien. Herausgeber und Chefredakteur war Adolf Josef Storfer, ein ehemaliger Schüler von Sigmund Freud.
Die Namen weiterer neu gegründeter Zeitungen und Zeitschriften waren: Ward Road News, 8 Uhr Abendblatt, Tribüne, Laterne, Jüdisches Nachrichtenblatt, Jewish Voice, Shanghai Morgenpost, Der Querschnitt, Die Neue Zeit, Shanghai Journal, Shanghai Herald. Die wichtigsten Fachzeitschriften waren die Medizinische Monatsschrift und das Journal of the Association of Central European Doctors.26
Die Emigranten eröffneten sogar eine eigene Funkstation, gegründet am 2. März 1939 von Horst Levin und Heinz Ganther. An jedem Nachmittag wurden einstündige Programme gesendet.27
7. Hilfsorganisationen
Dank ihrer beruflichen Qualifikationen konnten sich viele jüdische Emigranten eine neue Lebensexistenz schaffen. Im Großen und Ganzen führten sie ein bescheidenes Leben. Wenige waren reich, und nur einige gehörten dem Mittelstand an. Die meisten waren auf die Hilfe verschiedener jüdischer Wohlfahrtsorganisationen angewiesen.
Die erste jüdische Hilfsorganisation in Shanghai war der „Hilfsfonds“, 1934 von deutschen Juden gegründet. Sein Einsatz endete mit dem Sommer 1938, als die jüdische Masseneinwanderung seine Möglichkeiten endgültig überschritt. Im gleichen Jahr gründete Paul Komor, ein Shanghaier Geschäftsmann ungarischer Abstammung, das „International Committee for Granting Relief to European Refugees“ (IC), in dem die in Shanghai lebenden Juden ungarischer, tschechischer, österreichischer, deutscher, britischer und holländischer Nationalität vertreten waren.
Die zweitwichtigste Hilfsorganisation, das „Committee for the Assistance of European Jewish Refugees in Shanghai“, setzte die Arbeit des früheren „Hilfsfonds“ fort. Sein erster Vorsitzender war der deutsche Jude Dr. Kurt Marx. Die dritte Hilfsorganisation war das „Eastern Jewish Committee“. Organisiert von russischen Juden28, kümmerte es sich vor allem um die Juden aus Russland, Polen und Litauen. Diese äußerst effizient arbeitenden Organisationen mieteten die Heime, welche den jüdischen Emigranten je nach Bedarf zur Verfügung standen.
Doch die bedeutendste Hilfe kam vom „American Joint Distribution Committee“, kurz „Joint“ genannt, der damals weltweit größten jüdischen Hilfsorganisation, gegründet 1914 von Felix M. Warburg, um „Jewish war sufferers“ in Europa zu helfen.29 Der „Joint“ trug nicht nur die Kosten für die Heime, sondern richtete auch einen „Kitchenfonds“ ein, aus dem die Mahlzeiten der Heiminsassen bezahlt werden konnten. Über die Arbeit des „Joint“ berichtete der österreichische Emigrant Jacob Lechner:
„Jeder Ankömmling aus Europa, unabhängig von Nationalität, Rasse, Weltanschauung oder Religion, der sich beim Komitee registrieren ließ, konnte ohne weiteres die Betreuung in Anspruch nehmen. Diese bestand in der Hauptsache in der Verabreichung von drei Mahlzeiten täglich. Wer sich kein privates Quartier leisten konnte, dem wurde Unterkunft in einem Heim gewährt. Alte oder leidende Personen erhielten vom Joint-Komitee das Privatquartier bezahlt. Der Joint hatte für die Emigranten ein modernes Hospital, ebenso eine moderne Apotheke errichtet.“30
Leider wurde das Geld aus Amerika nicht gut verwendet. Alfred W. Kneucker schreibt in seinem Buch „Zuflucht in Shanghai“:
„Wenn diese Gelder des American Joint vernünftig und zielsicher verwaltet und vergeben worden wären, hätten wohl alle Existenzprobleme der Emigranten gelöst werden können.“31
Die Schuld lag bei den Funktionären des Joint in Shanghai: „Diese Funktionäre waren zum Großteil russische Juden und Mitteleuropäer, die schon früher nach China gekommen waren und hier ihre Verbindungen hatten. Sie richteten einen Stab mit zahllosen Hilfskräften ein – und dachten auch später, nach dem Sieg der Amerikaner, gar nicht daran, den Spendern Rechenschaft über ihre Gelder und deren Verwendung abzulegen.“32
III. Der Ausbruch des Pazifikkriegs und die Zwangsübersiedlung ins Getto
Am 7. Dezember 1941 griffen die Japaner den amerikanischen Kriegshafen „Pearl Harbor“ auf Hawaii an. Kurz danach besetzten sie die amerikanische und die englische Niederlassung in Shanghai. Die beiden englischen und amerikanischen Flusskanonenboote, die im Hafen von Shanghai lagen, wurden aufgefordert, sich zu ergeben. Der Augenzeuge Wolf Schenke schrieb:
„Die Amerikaner nahmen den hoffnungslosen Kampf nicht auf und kapitulierten. Die englische Nussschale sank, aus allen Rohren ihrer kleinkalibrigen Geschütze feuernd, mit wehender Flagge unter den direkten Breitseiten des ‚Idzumo‘.“33
Unter den jüdischen Emigranten brach eine Panik aus, die „man sich kaum vorstellen“ kann:
„Unsere ganze Hoffnung, baldigst nach Amerika weiterwandern zu können, ist ins Wasser gefallen, denn Shanghai ist für uns alle ja nur der letzte Ausweg, ein Sprungbrett gewesen. Keine Post, keinerlei Zuschüsse für die Bedürftigen, abgeschnitten von der Welt. Angewiesen, wie schon so oft, auf Gnade und Barmherzigkeit, diesmal der japanischen Machthaber. Wie lang wird es wohl dauern? Was wird aus uns werden? Werden wir es überleben? Keiner weiß es! Wir ergeben uns wieder einmal ins Unvermeidliche und Ungewisse.“34
Mit dem Ausbruch des Pazifikkriegs brach für die Emigranten zum einen der Zustrom von Geld aus Amerika ab, zum anderen wurden viele Juden, die in britischen oder amerikanischen Geschäften oder Firmen angestellt gewesen waren, arbeitslos. Im Juli 1942 mussten zwei der drei jüdischen Krankenhäuser schließen. Zwanzig jüdische Mütter verkauften ihre Kinder an die Meistbietenden. Sieben jüdische Frauen waren registrierte Prostituierte. Noch mehr unterhielten Beziehungen mit reichen Männern, um mehr Lebensmittel zu bekommen.35
Am 18. Februar 1943 erschien in Shanghaier Tageszeitungen eine Proklamation der kaiserlich japanischen Regierung, wonach alle nach 1937 in Shanghai eingewanderten Flüchtlinge in ein speziell abgegrenztes Gebiet im Bezirk Hongkou übersiedeln mussten. Endtermin für die Übersiedlung war der 1. Mai 1943. Das Wort „Jude“ wurde nicht gebraucht, stattdessen die Bezeichnung „stateless refugee“. Anstelle des Wortes „Getto“ wurde der neutrale Begriff „designated area“ benutzt.36
Alle jüdischen Emigranten, es sei denn, dass sie im „International Settlement“ und in der „French Concession“ oder bereits in Hongkou, aber außerhalb des „Gettos“, wohnten, hatten ihre Wohnungen an die japanischen Behörden zu übergeben oder gegen eine Wohnung im Getto zu tauschen. Kein jüdischer Emigrant, der nach 1937 eingewandert war, durfte außerhalb des Gettos ein Geschäft betreiben. Er konnte im eigenen Geschäft als Angestellter weiterarbeiten, sofern er die Bewilligung der Japaner bekam, täglich für einige Stunden das Getto zu verlassen.37 „Doch das schrecklichste von allen Gefühlen war wiederum das Bewusstsein, dass wir wieder Freiwild geworden waren“, schrieb Hugo Burkhard.38 Zu den Ursachen und Hintergründen der von den Japanern veranlassten Umsiedlung in ein Getto äußerte Kneucker mehrere Vermutungen:
„Hatte nun der deutsche Generalkonsul hier oder der deutsche Geschäftsträger in Tokio die Japaner, denen die Juden sonst eigentlich egal waren, unter Druck gesetzt und sie zu diesen Maßnahmen gezwungen? War der Erlass eine örtliche Maßnahme oder kam er von oben? Oder hatten die Intrigen der russischen Juden, Korruption und Bestechung gegriffen und nun zur Ausschaltung der Konkurrenz geführt?“39
Allem Anschein nach war die erste Vermutung zutreffend. Im September 1942 trafen sich drei hochrangige Nationalsozialisten in Shanghai: Josef Albert Meisinger, genannt der „Schlächter von Warschau“ („Executioner of Warsaw“), seit April 1941 Leiter der Gestapo (Polizei-Attaché) für den gesamten Fernen Osten40 , der Journalist und Nazi-Propagandist Jesco von Puttkamer (seit Oktober 1941 Leiter der deutschen Informationsstelle Shanghai)41 und der Arzt (Pathologe) Robert Neumann, der vor seiner Ankunft in Shanghai (im Dezember 1940)
„für einige Monate aktiv an Menschenversuchen und ‚Gefangenenselektionen in den Konzentrationslagern Buchenwald und Auschwitz beteiligt‘ gewesen war“.42
Die Vermutung liegt nahe, dass sie an der Errichtung des Gettos mitgewirkt haben. Dadurch würde die Aussage des damaligen japanischen Offiziers und Dolmetschers Takashima Taiji konkretisiert, dass das Shanghaier Getto unter dem Druck von Nazis entstanden war.43 Der ehemalige Konsul des deutschen Konsulats in Tientsin, einer Hafenstadt in Nordchina, bestätigte, dass die Internierung der Emigranten aus Zentraleuropa und insbesondere der Juden aus Deutschland und Österreich auf Anweisung der damaligen deutschen Regierung erfolgt war.44
Als oberste Behörde für die Emigranten im Getto fungierte das von den Japanern eingesetzte und geleitete Shanghai Office for the Affairs of Stateless Refugees. Diesem unterstellt war die Shanghai Ashkenazi Cooperation and Relief Association (SACRA), eine Verbindungsstelle zu den Emigranten im Getto. Sie war zunächst für die Wohnprobleme zuständig, entwickelte sich dann zur allgemeinen Zentralstelle für die Angelegenheiten der Emigranten. Für die Emigranten wurden im Getto fünf Heime eingerichtet, benannt nach den Straßen, in denen sie sich befanden: Ward Road Heim, Wayside Heim, East Seward Heim, Alock Heim und Chauffong Heim.45 Eine konkrete Vorstellung von den Lebensbedingungen im Getto gibt der folgende Bericht:
„In einem Heim waren zwischen 300 und 600 Menschen untergebracht, und oft wurden sogar Ehepaare getrennt. Für die Verrichtung der Notdurft standen in einigen Heimen nur Kübel zur Verfügung, und die Betten standen so nahe beisammen, dass man nur vom Fußende aus hineinklettern konnte. Nirgendwo war Gelegenheit, die Kleider aufzuhängen. Dreimal am Tag stellten sich die Heimbewohner in ihren Kleidern aus besseren Tagen und mit einem Blechnapf in der Hand an, um ein recht monotones Essen verabreicht zu bekommen.“46
Im Getto gab es keinen Garten, keinen Baum, keinen Strauch. Die Grenzen bildeten auch nicht Mauern oder Stacheldraht, sondern Tafeln mit dem Hinweis: „Stateless refugees are prohibited to pass here without permission“. Als Wachen dienten die jüdische Hilfspolizei und Emigranten.47 Alle Emigranten erhielten neue Personalausweise. Die Sondergenehmigungen zum Verlassen des Bezirks trugen den Vermerk „Dürfen passieren“. Im Getto gab es nur wenige Arbeitsmöglichkeiten, so mussten viele außerhalb des Gettos ihr Brot verdienen. Die nichtjüdischen Emigranten durften sich innerhalb der Stadtgrenze frei bewegen, die Juden durften nur mit Genehmigung der japanischen Behörde in Ausübung ihres Berufs das Getto bis zum Abend verlassen. Aber es war nicht leicht, eine Genehmigung von dem zuständigen japanischen Polizeibeamten zu bekommen:
„Wenn er in guter Laune war – was sehr selten der Fall gewesen ist –, gab er die Pässe ohne jegliche Bemerkung oder Schikane aus. Meistens jedoch hatte er irgendetwas zu beanstanden oder einen Vorwand, die Wartenden anzubrüllen. Wir mussten einzeln in sein Zimmer kommen, nachdem wir stundenlang vor der Tür in nervöser Stimmung gewartet und tagelang vorher kein Auge zugetan hatten. Es handelte sich ja um unseren Broterwerb, um den Erhalt der Familien, um unser tägliches Brot. Manchmal schlug er um sich wie ein Besessener, drosselte die Leute, stieß sie mit Füßen – und zwar ohne Unterschied des Alters – oder schüttete auch oft Kübel kalten Wassers über ihren Kopf.“48
Bisweilen wurden Antragsteller von der Polizei ins Gefängnis geworfen, „womit sie fast sicher sein konnten, mit Flecktyphus infiziert zu werden, was so gut wie ein Todesurteil war“.49 Andere, die bei den Japanern Anträge auf Aufenthaltserlaubnis außerhalb des Gettos gestellt hatten und deshalb zum Endtermin, dem 1. Mai 1943, noch nicht ins Getto gezogen waren, wurden ebenfalls inhaftiert. „Sie glaubten, dass keine Antwort eine stillschweigende oder später folgende Bewilligung bedeutete. Ein für sie tödlicher Irrtum!“, schrieb Alfred W. Kneucker.50
IV. Antisemitismus, Japaner und Chinesen
Die Japaner zeigten wenig Hang zum Antisemitismus. Als die Nazis den Druck auf die japanische Regierung erhöhten, die Juden in Shanghai zu eliminieren, reagierte Japan nur mit der Errichtung des Gettos. Die Einzelheiten sind jedoch noch nicht völlig geklärt. Einer der japanischen Gesprächspartner beim (bereits erwähnten) Besuch der drei Nazibeamten im September 1942 in Shanghai, Vizekonsul Mitsugi Shibata, verriet den Inhalt des Gesprächs an die jüdische Gemeinde in Shanghai. Diese kontaktierte den Chef der japanischen Militärpolizei. Daraufhin wurden alle Juden, die von diesem Gespräch wussten, verhaftet, einige gefoltert, und Mitsugi Shibata wurde entlassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich jüdische Emigranten bei ihm bedankt.51
Burkhard berichtet von einem weiteren Ereignis, das David Kranzler in seinem umfassenden Buch „Japanese, Nazis and Jews“ aber nicht erwähnt: Ende 1944 wurden die jüdischen Emigranten von den Japanern aufgefordert, auf Formularen ihren Gesundheitszustand zu definieren: ob gesund, kränklich, schwächlich oder gänzlich arbeitsunfähig. Dazu Kranzler:
„Durch einen guten chinesischen Freund, [...] erfuhr ich: Man bereitete bereits unsere Vergasung vor! Die Gesunden sollten zum Straßenbau verwendet, die Kranken und Schwächlichen jedoch vergast werden; die diesbezüglichen Pläne und Dokumente der Behörden wurden später, nach Beendigung des Kriegs, vorgefunden.“52
Ob das wirklich wahr ist, bedarf weiterer Untersuchung. Tatsache ist, dass die Japaner den Plan der Deutschen nicht in die Tat umsetzten. Das Verhältnis der jüdischen Emigranten zur japanischen Zivilbevölkerung in Shanghai war im Allgemeinen friedlich und fast problemlos. Japanische Frauen kauften in den Geschäften der Emigranten, und die japanischen Kinder verhielten sich gegenüber den Emigranten höflich. „Nicht selten konnte ich in der Straßenbahn beobachten, dass Schuljungen oder Mädchen ihren Platz unseren älteren Flüchtlingen anboten“, schreibt Hugo Burkhard.53
Das Wort „Antisemitismus“ war für die einfachen Chinesen kein Begriff. Sie wussten vielleicht nicht, oder es kümmerte sie nicht, dass der von England gegenüber China erklärte Opiumkrieg vor allem die Folge des Opiumschmuggels durch Juden war. Die chinesische Bevölkerung, „die für unser Schicksal von Anfang an Verständnis hatte, ließ uns auch in dieser schweren Zeit nicht im Stich und unterstützte uns in der menschlichsten Weise, da sie ja erbitterte Feinde der Japaner waren“, erinnert sich Hugo Burkhard.54
Aber es gab auch Ausnahmen: junge Leute, von der antisemitistischen Propaganda beeinflusst, die Juden mit Schmährufen und Steinwürfen belästigten. Der echte Antisemitismus kam von den deutschen Konsularbehörden in Shanghai, die die jüdischen Emigranten scharf im Auge behielten. Im Sommer 1936 zwang das deutsche Konsulat die in Shanghai lebenden Deutschen, die Anhänger Hitlers waren, alle geschäftlichen oder privaten Kontakte mit den Emigranten abzubrechen. Spitzel sorgten dafür, dass Verstöße dem Konsulat gemeldet wurden.
V. Der amerikanische Luftangriff, die Befreiung und Heimkehr
Mit der Invasion der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 und nach der Kapitulation des Großdeutschen Reichs wuchs unter den Emigranten die Hoffnung auf Befreiung. Erst dann erfuhr man von Hitlers „Endlösung“ der „Judenfrage“ in Europa. Doch vor der Befreiung mussten die Emigranten noch Schlimmeres erleben. Am 17. Juli 1945 bombardierten amerikanische Flugzeuge die japanische Radiostation in Hongkou. Der Luftangriff auf die Japaner forderte unter Chinesen und Emigranten viele Opfer: 250 Tote und 500 Verwundete, darunter 31 tote und 250 verwundete Emigranten.55 Am 6. und 9. August wurden auf Hiroshima und Nagasaki Atombomben abgeworfen, am 8. August erklärte die UdSSR Japan den Krieg. Einige Tage später kapitulierte Japan. Als die Nachricht davon das Getto erreichte, waren die Emigranten außer sich vor Freude:
„Der Krieg ist aus! Dann erst wussten wir, dass es Tatsache war! Was sich in den Straßen und Gassen Honkews abspielte, glich einem einzig- und eigenartigem Sommernachtsball! Die Menschen umarmten und küssten sich, sie schrien wie besessen und tanzten [...] auf der Straße! Nur tanzen, tanzen und wiederum tanzen.“56
„Tanz mal Jude!“, so überschrieb Hugo Burkhard seine Erinnerungen. Die Besatzung durch die Japaner endete am 22. August 1945. Am 3. September war das Getto endgültig aufgelöst. Die Amerikaner verkündeten mit Flugblättern die Befreiung der Emigranten. Bald danach war die Stadt Shanghai voll von amerikanischen Soldaten.
Unmittelbar nach Beendigung des Kriegs begann die Hilfsaktion Joint sich um die jüdischen Emigranten zu kümmern. Nach einer Aufzeichnung der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) waren im März 1946 in Shanghai 15 511 Emigranten gemeldet: 7380 deutsche Emigranten, 4298 österreichische, 1265 polnische, 639 italienische, 298 tschechische, 291 aus anderen Staaten und 1340 staatenlose.57 14 000 der amtlich Registrierten waren Juden. Ihre genaue Zahl ist aber nicht bekannt, weil viele nicht polizeilich gemeldet waren.
Trotz aller bitteren Erfahrungen wollten nun viele in ihre frühere Heimat zurückkehren. Andere wollten nach Amerika, Südafrika, Palästina, Australien oder Afrika. Die irakischen Juden mit britischem Pass zogen Hongkong als Wohnort vor. Die russischen Juden wollten in Shanghai bleiben, wurden jedoch durch den Bürgerkrieg in China nach 1945 davon wieder abgeschreckt. Nach der Gründung des Staates Israel gingen viele nach Israel. Bis 1950 hatten die meisten Juden Shanghai verlassen.
VI. Schlusswort
Die Geschichte des Shanghaier Gettos ist Teil der Geschichte des Antisemitismus in Europa. Das Schicksal der Juden in Shanghai unterscheidet sich jedoch grundlegend von dem Schicksal der Juden in Hitlers Konzentrationslagern. Dort litten sie entsetzliche körperliche und seelische Qualen, bevor sie wie Ungeziefer vernichtet wurden. Shanghai dagegen bedeutete für die meisten Juden Rettung und somit eine Zeit, an die sie sich später gern erinnerten. Solche guten Erinnerungen bewogen viele ehemalige Shanghai-Emigranten in Österreich, miteinander im Kontakt zu bleiben:
„Man traf sich [in Wien] im Café ‚Altes Rathaus‘ in der Wipplingerstraße, das einem alten Shanghaier, nämlich dem ehemaligen Besitzer des [Café- Restaurants] ‚Fiaker‘ [in der Avenue Joffre in der Französischen Konzession], Hans Jabloner gehörte. Ab 1952/53 gab es sogar einen ins Vereinsregister eingetragenen Shanghai-Klub [...]. Später verebbte die Vereinstätigkeit wegen Überalterung der Mitglieder, doch soll sich heute noch ein [...] Shanghai-Klub in Tel Aviv befinden.“58
Auch in Amerika organisierten sich frühere Shanghaier Emigranten. 1980 fand die erste „Reunion“ ehemaliger Schicksalsgenossen in San Francisco statt. Seitdem wird das Honkew Chronicle als Newsletter verschickt.59 Die Erinnerung an die Emigration der Juden nach Shanghai setzt sich fort bis in die Gegenwart. Ein Beispiel dafür ist Ursula Krechels historischer Roman Shanghai fern von wo (2008), der neben mehreren anderen Auszeichnungen den „Deutschen Kritiker-Preis“ und den „Joseph-Breitbach-Preis“ erhielt.
* Prof. Dr. Wei Maoping (geb. 1954) lehrt Deutsche Literaturwissenschaft an der Shanghai International Studies University. Er hat an der Universität Heidelberg Germanistik, Anglistik und Geschichte studiert und wurde dort mit einer Arbeit über „Günter Eich und China“ promoviert. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die deutsch-chinesischen Literaturbeziehungen; auch als Übersetzer deutscher Dichtung und philosophischer Werke ins Chinesische hat er sich einen Namen gemacht.
- Hugo Burkhard, Tanz mal Jude! Von Dachau bis Shanghai. Meine Erlebnisse in den Konzentrationslagern Dachau – Buchenwald – Getto Shanghai 1933–1948, Nürnberg 1967, S. 7.
- Die Zahl jüdischer Emigranten in Shanghai im Zweiten Weltkrieg wird von Herman Dicker auf 20 000 geschätzt (in: Wanderers and Settlers in the Far East. A Century of Jewish life in China and Japan, New York 1962, S. 75), von David Kranzler auf 18 000 (in: Japanese, Nazis and Jews. The Jewish Refugee Community of Shanghai 1938–1945, New York 1976, S. 19); Johannes F. Evelein (Hg.), Exiles Traveling. Exploring Displacement Crossing Bounderies in German Exile Arts and Writings 1933–1945, Amsterdam / New York/NY 2009, S. 58, Anm. 26: „[...] in Shanghai lebten rund 18 000 Juden, hinzu kamen rund 20 000 Flüchtlinge während des Zweiten Weltkrieges.”
- David Kranzler (Anm. 2), S. 30.
- Hans Heinz Hinzelmann, O China – Land auf alten Wegen. Wahrhaftige Entdeckungen auf einer west-östlichen Lebensfahrt, Braunschweig 1948, S. 7.
- Zitiert nach David Kranzler (Anm. 2), S. 161.
- Vgl. Ewald Krüger, Die Beziehungen Chinas zu den Völkern des Westens von den Anfängen bis zur Zeit der „Ungleichen Verträge“, in: Ostasiatische Rundschau, 19. Jg., 1. Januar 1938, S. 224.
- Herman Dicker (Anm. 2), S. 64.
- Vgl. Otto Richter, Der chinesisch-japanische Konflikt, in: Ostasiatische Rundschau, 20. Jg., 16. Mai 1939, S. 10.
- Hans Joachim Krug, Wanderungen und Wandlungen in China, Berlin 1941, S. 247.
- Vgl. David Kranzler (Anm. 2), S. 88.
- Ebd., S. 90.
- Ebd., S. 59.
- Diese „landing permits“ ließen sich fälschen, bzw. das Geld wurde geborgt und gleich wieder zurückgegeben.
- Vgl. David Kranzler (Anm. 2), S. 151 f.; Siegfried Englert, „Sechs dürfen unter einem Gebetsschal beten“ – Zur Geschichte der Juden in Shanghai 1937–1945, in: Siegfried Englert / Folker Reichert (Hg.), Shanghai – Stadt über dem Meer, Heidelberg 1985 (21996), S. 114.
- Vgl. Herman Dicker (Anm. 2), S. 101.
- Gerd Kaminski / Else Unterrieder, Die Österreichischen Emigranten in China, in: Von Österreichern und Chinesen,Wien 1980, S. 786.
- Alfred W. Kneucker, Zuflucht in Shanghai. Aus den Erlebnissen eines österreichischen Arztes in der Emigration 1938–1945. Bearb. und hg. von Felix Gamillscheg, Wien 1984, S. 48.
- Hugo Burkhard (Anm. 1), S. 147.
- Zitiert nach Herman Dicker (Anm. 2), S. 99.
- Vgl. David Kranzler (Anm. 2), S. 605; s. auch unten (Anm. 58).
- Vgl. Gerd Kaminski / Else Unterrieder (Anm. 16), S. 786.
- Hugo Burkhard (Anm. 1), S. 7.
- Ebd., S. 10; diesen subjektiven Eindrücken eines Zeitzeugen stehen deutlich geringere objektive Zahlen bei David Kranzler (Anm. 2), S. 249, gegenüber.
- Ebd., S. 11.
- Vgl. Gerd Kaminski / Else Unterrieder (Anm. 16), S. 782.
- Vgl. David Kranzler (Anm. 2), S. 364–367; s. auch: Lieselotte Maas, Handbuch der deutschen Exilpresse 1933–1945, 2 Bde., München / Wien 1976–1978.
- Vgl. David Kranzler (Anm. 2), S. 371.
- Vgl. Herman Dicker (Anm. 2), S. 102; David Kranzler (Anm. 2), S. 91.
- Herman Dicker (Anm. 2), S. 102; David Kranzler (Anm. 2), S. 91.
- Jacob Lechner, Emigranten in Shanghai, in: Arbeiterzeitung vom 18. Juni 1977, S. 10. Zitiert nach Gerd Kaminski / Else Unterrieder (Anm. 16), S. 779.
- Alfred W. Kneucker (Anm. 17), S.166.
- Ebd., S. 167.
- Wolf Schenke, China im Sturm, Hamburg 1949, S. 271.
- Hugo Burkhard (Anm. 1), S. 152.
- Vgl. Herman Dicker (Anm. 2), S. 110 f.
- Alfred W. Kneucker (Anm. 17), S. 101.
- Ebd.
- Hugo Burkhard (Anm. 1), S. 154.
- Alfred W. Kneucker (Anm. 17), S. 100.
- S. die Kurzbiographie in: Christian Taaks, Federführung für die Nation ohne Vorbehalt? Deutsche Medien in China während der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 2009, S. 553 f.
- Ebd., S. 565.
- Ebd., S. 560 f. Ausführlich zu Neumann: Astrid Freyeisen, Shanghai und die Politik des Dritten Reiches, Würzburg 2000, S. 231–244.
- Vgl. Herman Dicker (Anm. 2), S. 115.
- Ebd.
- Vgl. Hugo Burkhard (Anm. 2), S. 154.
- Gerd Kaminski / Else Unterrieder (Anm. 16), S. 779.
- Vgl. Alfred W. Kneucker (Anm. 17), S. 108.
- Hugo Burkhard (Anm. 1), S. 156.
- Alfred W. Kneucker (Anm. 17), S. 109.
- Ebd., S. 258.
- Vgl. Herman Dicker (Anm. 2), S. 116 f.; Alfred W. Kneucker (Anm. 17), S. 478 f. (Anm. d. Red.: Laut Recherchen der Geschichtswerkstatt Gröpelingen existierte in Shanghai eine nationalsozialistisch geprägte deutsche Gemeinde, die vor allem aus Vertretern von Siemens, AEG, IG-Farben, Bayer-Leverkusen und ihren Familien bestand.)
- Hugo Burkhard (Anm. 1), S. 169.
- Ebd.
- Ebd., S. 168.
- Vgl. David Kranzler (Anm. 3), S. 552.
- Hugo Burkhard (Anm. 1), S. 177.
- Ebd., S. 181.
- Gerd Kaminski / Else Unterrieder (Anm. 16), S. 809; s. auch die Diplomarbeit von Michael Andreas Frischler, „Little Vienna“ in Shanghai, Wien 2009 (mit Abb. zahlreicher Dokumente im Anhang), vgl. http://othes.univie.ac.at/6904/.
- Vgl. Kurt R. Fischer, Zeitgeschichtliche Bemerkungen eines Zeugen, in: Alfred W.Kneucker (Anm. 17), S. 257.
Jahrgang 23 / 2016, Heft 1, S. 2−19