Freiburger Rundbrief Freiburger Rundbrief
    Leseproben > Artikel ab Jg. 2001 > 1489  

Home
Leseproben
Artikel ab Jg. 2001
Rezensionen ab Jg. 2001

Inhalt Neue Folge
Archiv Neue Folge

Inhalt der Jg. vor 1993
Archiv vor 1986

Gertrud Luckner
Bestellung/Bezahlung
Links
Artikel
Mitteilungen
Rezensionen
 
XML RSS feed
 
 
Display PRINT friendly version
Yves Kugelmann / Rabbiner Jehoschua Ahrens

Christentum ist nicht Götzendienst (Interview)

Mit der Erklärung orthodoxer Rabbiner zum Christentum erreicht der christlich-jüdische Dialog einen Quantensprung. Weshalb?1    

Erstens handelt es sich um eine orthodoxe Erklärung. Bisher haben sich eher nichtorthodoxe Rabbiner im Dialog engagiert und geäußert, wie beispielsweise mit der Erklärung Dabru Emet2  , die von orthodoxer Seite kaum unterstützt wurde, aber viel Kritik erntete.

Zweitens geht diese Erklärung viel weiter als Dabru Emet, denn sie scheut nicht die theologische Komponente des Dialogs. Wir halten klar fest, dass das Christentum kein „Unfall“ und kein Zufall war, sondern von G-tt so gewünscht. Wir teilen nicht die Ansicht, dass das Christentum Avoda Sara (Götzendienst) ist, sondern dass gerade Jesus dabei geholfen hat, den Glauben an den G-tt Israels zu verbreiten und Götzendienst zu überwinden.

Drittens erkennen wir die historische Chance für eine echte Partnerschaft zwischen Christentum und Judentum auf der Basis vieler Gemeinsamkeiten, vor allem im ethisch-moralischen Bereich. Jeweils alleine können wir die Herausforderungen unserer globalisierten und säkularisierten Welt kaum bewältigen, zusammen geht es besser. Damit verkennen wir nicht die vielen und klaren Unterschiede zwischen unseren Religionen, aber in beiden Glaubensgemeinschaften hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm viel getan und in Hinblick auf den anderen zum Positiven verändert, was nun diese historisch einmalige Möglichkeit eröffnet. Ich glaube, dass beide Seiten erkannt haben, dass die Grenzen heute nicht mehr zwischen Christentum und Judentum verlaufen, sondern eher zwischen religiös und säkular, zwischen Individualismus ohne Grenzen und einem Zusammengehörigkeitsgefühl auf der Grundlage klarer Werte.

Beschränkt sich die Erklärung auf alle christlichen Konfessionen oder vor allem auf die Katholische Kirche, bzw. wo ziehen Sie Grenzen?

Bezüglich Nostra aetate geht es natürlich speziell um das Verhältnis zur Katholischen Kirche, aber die grundlegenden Kernaussagen der Erklärung gelten für das Christentum generell.

Die Erklärung versucht den Dialog auch halachisch zu legitimieren. Wie lauten hier die wichtigsten Aspekte?

Es ist in der Orthodoxie üblich, mit halachischen Quellen zu arbeiten, und das tun wir auch hier. Unsere jüdische Tradition macht einige wichtige Aussagen zum Verhältnis zum Judentum, und vieles ist grundsätzlich positiv. Auch kritische Quellen müssen nicht unbedingt ablehnend dem Dialog gegenüber sein. Rabbiner Soloveitchik beispielsweise hat sich in seinem Werk Confrontation3 , das 1964 erschienen ist, auch für den Dialog ausgesprochen, aber in einem strikten Rahmen.

So mancher orthodoxe Rabbiner bezieht sich aber gerade auf Confrontation, um seine Ablehnung des Dialogs zu begründen, weil Rabbiner Soloveitchik viele Bedenken äußerte. Dabei ist der Kontext wichtig. Ein Großteil seiner Ablehnung und seiner Befürchtungen waren durchaus berechtigt, z. B. was die Judenmission betraf. Das hat sich aber zum Glück nicht verwirklicht. Ganz im Gegenteil, die christliche Sichtweise hat sich sogar stark und unwiderruflich geändert. Ich bin mir sicher, dass daher auch Rabbiner Soloveitchik heute einen anderen Blick auf den Dialog hätte.

In der Anerkennung des Christentums als Religion anerkennen Sie auch Jesus als theologische und nicht mehr nur historische Figur. Wie überwinden Sie hier offensichtliche Konflikte?

Ich sehe hier keine offensichtlichen Konflikte. Wir können nach 2000 Jahren Christentum, einer weltweiten Verbreitung des Monotheismus, d. h. dem Glauben an den G-tt Israels und unseren Heiligen Schriften nicht sagen, dass das purer Zufall war. Ich denke, G-tt muss sich hier etwas gedacht haben. Salopp ausgedrückt würde ich sagen, dass wir Juden wohl noch nicht so weit waren, die Tora in der ganzen Welt zu verbreiten, so wie wir das eigentlich hätten tun sollen. Vielleicht brauchte es Jesus, um – wenigstens in einem ersten Schritt – den Götzendienst zu überwinden.

Ist eine solche Erklärung auch zwischen Rabbinern und dem Islam denkbar?

Grundsätzlich auf jeden Fall. Gerade in Theologie und Glaubenspraxis haben Juden und Muslime viel gemeinsam – mehr als Judentum und Christentum. Aber, obwohl sich keine zwei anderen Religionen so nah sind wie das Judentum und der Islam, gibt es ironischerweise keine zwei anderen Religionen, die weiter auseinander sind. Das hat aber gesellschaftliche, kulturelle und politische Gründe, keine religiösen. Trotzdem müssten wir vor einer Erklärung erst einmal genau diese gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Probleme thematisieren und angehen.

Was war Ihre Motivation für die Erklärung?

Zunächst einmal ist diese Erklärung eine Art Responsa zu 50 Jahren Nostra aetate und der damit einhergegangenen fundamentalen Verbesserung der Beziehung zwischen Christen und Juden. Wir wollten aber auch eine klare Antwort zu den anti-christlichen Taten in Israel geben, nämlich dass solche Taten keinerlei Grundlage im Judentum haben. Außerdem wollten wir als orthodoxe Rabbiner im Dialog einen Schritt weiter gehen.

Was glauben Sie wird sich nun real ändern mit der Unterzeichnung der Erklärung, und wie bindend ist diese?

Wir glauben, dass wir an einem Wendepunkt in der Beziehung zwischen Judentum und Christentum sind. Die Erklärung ist also nur ein erster Schritt, und wir freuen uns auf die Konkretisierung der Partnerschaft in zukünftigen Schritten. Wir sind uns bewusst, dass dies für viele unserer Kollegen ein neues Konzept ist, aber wir laden alle Rabbiner ein, diesen historischen Prozess mitzugestalten. Die Erklärung schließt also keine Diskussion ab, sondern eröffnet gerade eine solche Diskussion innerhalb des Judentums, speziell innerhalb der Orthodoxie.

Welche Rabbiner fehlen Ihnen persönlich bei den Unterzeichnern?

Ich freue mich, dass bei den Erstunterzeichnern bereits Rabbiner aus allen Strömungen innerhalb der Orthodoxie vertreten sind. Mir fehlt kein konkreter Rabbiner. Wir würden uns natürlich wünschen, dass möglichst viele Rabbiner zu dem Verständnis der Erklärung kommen und sie unterstützen.


 

  1. Eine Kurzversion dieses Interviews erschien in: Tachles, Das Jüdische Wochenmagazin, Nr. 50 / 15. Jg., 11. Dezember 2015, S. 15. Die Fragen stellte der Journalist und Publizist Yves Kugelmann, Basel.
  2. Dabru Emet – Redet Wahrheit (Sach 8,16), in: FrRu NF 8 (2001) 114–117.
  3. Vgl. Jutta Koslowski, Was bringt uns die Begegnung? Über die Motive jüdischer Gesprächspartner im christlich-jüdischen Dialog, in: FrRu NF 21 (2014) 263–271, hier 263; Christian M. Rutishauser, Joseph Dov Soloveitchik. Einführung in sein Denken; Rezension von Aharon Shear-Yashuv in: FrRu NF 13 (2006) 307–310.

Jahrgang 23 / 2016 Heft 2, S. 92−94


top