Vortrag des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland anläßlich der Begegnung des Rates mit Vertretern der führenden amerikanischen jüdischen Organisationen. Evangelische Akademie Tutzing, 10.13. Mai 1993
Die zweite Studie des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) enthält so etwas wie eine kleine Positionsbestimmung und einen Ausblick auf den Weg, den wir beim Nachdenken über das Verhältnis von Christen und Juden gehen sollen. Diese Studie von 1991 knüpft an die erste von 1975 an und stellt sich in die Reihe der offiziellen Verlautbarungen der Evangelischen Kirche in Deutschland seit dem Jahre 1945. Die Erklärung der Synode der EKD in Berlin-Weißensee vom April 1950 ist der Ausgangspunkt des neuen Nachdenkens. Darin heißt es: „Wir sprechen es aus, daß wir durch Unterlassen und Schweigen vor dem Gott der Barmherzigkeit mitschuldig geworden sind an dem Frevel, der durch Menschen unseres Volkes an den Juden begangen worden ist.“ Und die gleiche Synode sagt weiter: „Wir glauben, daß Gottes Verheißung über das von ihm erwählte Volk Israel auch nach der Kreuzigung Jesu Christi in Kraft geblieben ist.“ Dieses sind wegweisende Worte. Es dauerte allerdings 25 Jahre, bis die Kirchen begannen, den vorgezeichneten Weg auch wirklich zu beschreiten. Das entscheidende Signal ist die Studie der EKD „Christen und Juden I“ von 1975. Der bedeutsamste Schritt war aber dann die Erklärung der Rheinischen Landessynode „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“ vom Januar 1980. In der neuen Studie werden elf weitere Erklärungen aufgeführt, die die Synoden einzelner Gliedkirchen der EKD in den Jahren seit 1980 erarbeitet haben.
Konsens, der sich bewähren muß
- Gemeinsam und grundlegend ist in allen diesbezüglichen Erklärungen der EKD die Absage an den Antisemitismus. Allerdings genügt es nicht, dies ein für allemal zu sagen und dann zur Tagesordnung überzugehen. Es gibt in Deutschland — wie in anderen europäischen Ländern auch — ein Meinungspotential in der Bevölkerung, das offen oder latent antisemitisch ist. Über seine Struktur, Größe und Bedeutung gibt es Untersuchungen. Mir scheint: Dies Potential ist gegenwärtig nicht unmittelbar gesellschaftlich bedrohlich. Dies könnte sich aber schnell ändern, wenn die führenden Meinungsgruppen, die politischen Gruppen, die Kirchen in ihrer erklärten Ablehnung des Antisemitismus schwankend würden. Den Kirchen kommt heute die Aufgabe zu, einer solchen Einstellung in unserer Gesellschaft energisch zu widersprechen und zu widerstehen. Hier hat sich, jedenfalls auf der Ebene der offiziellen kirchlichen Verlautbarungen, ein Positionswechsel vollzogen. Was die Kirchen sagen, ist nicht länger gegen Juden gerichtet, sondern gegen den Antisemitismus. Wieweit ist es uns auch schon gelungen, ein nicht mehr vom Antisemitismus bestimmtes Verhältnis zum Judentum in unseren Gemeinden, in der Predigt der Kirchen, im theologischen Unterricht, ja in der breiten Öffentlichkeit wirklich zu verankern? Wir arbeiten daran.
- Zu den gemeinsamen Überzeugungen, die die Kirchen der EKD verbinden, gehört auch das Eingeständnis christlicher Mitverantwortung und Schuld im Blick auf die Entwicklungen, die zum Holocaust geführt haben. Die EKD-Synode von Weißensee 1950 sah diese Mitverantwortung in „Unterlassen und Schweigen“. Wir sehen heute: Das genügt nicht. Auch das Denken und Reden der Kirche hat zu der Entfremdung von Christen und Juden, ja zur Feindseligkeit von Christen gegenüber Juden beigetragen, und dies hat den Boden bereitet für die nationalsozialistischen Untaten. Auch wenn Rassenideologien, nationale Selbstüberschätzung und der barbarische Anspruch, Herr über Leben und Tod der Menschen zu sein, gewiß nicht christlich sind: daß dies geschehen konnte, hat auch zu tun mit einer Geschichte christlicher Selbstüberhebung gegenüber den Juden.
- Zu den gemeinsamen Überzeugungen gehört, daß der christliche Glaube unlösbar mit dem Judentum verbunden ist. Für uns Christen ist es aus dem Wesen unseres christlichen Glaubens heraus zwingend notwendig, uns mit jüdischem Glauben, jüdischer Überzeugung, dem Judentum selbst zu beschäftigen, denn da liegen für unseren christlichen Glauben entscheidende Wurzeln. Daß Jesus Jude war, ist neu ins Bewußtsein getreten. Was uns verbindet, ist neu wichtig geworden: der Eine Gott, die Heilige Schrift des Alten Testaments, das Volk Gottes, die Themen der Gerechtigkeit und der Liebe, der Geschichte und der Vollendung.
- Die theologische Schlüsselaussage, die einer Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden zugrunde liegt, ist die von der bleibenden Erwählung Israels. Auch hier hat Berlin-Weißensee 1950 den Weg gewiesen. Wir arbeiten weiter daran zu erkennen, was es für uns bedeutet, daß der in der Bibel bezeugte Eine Gott sein Volk Israel aus der Sklaverei befreite, ihm die Treue hält und seinen Bund mit Israel niemals aufgekündigt hat (Gemeinsame Erklärung EKD/BEKDDR von 1988). Natürlich verstehen sich auch Christen als Kinder Gottes und die Christenheit als sein Volk. Wir wollen dieses aber so glauben und sagen, daß dadurch dem jüdischen Volk sein Verhältnis zu seinem Gott nicht bestritten, daß jüdischer Glaube und jüdisches Leben nicht herabgesetzt, sondern in ihrem eigenen Recht respektiert werden.
- Schließlich liegt ein Element des Konsenses in der Einschätzung des Staates Israel, wie sie in den offiziellen Erklärungen deutlich wird. Nicht alle Erklärungen sprechen darüber! Die Rheinische Erklärung geht weit, indem sie sagt, „daß die fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheißung und auch die Errichtung des Staates Israel Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk Israel sind“. Es heißt dann in der EKD-Studie weiter: „Die übrigen Erklärungen der Synoden und Kirchenleitungen sind zurückhaltender. Sie bejahen und vertreten das Recht des Staates Israel, in gerechten und sicheren Grenzen zu existieren, stellen dies aber nicht in einen theologischen Rahmen. Sie respektieren die Leidens- und Hoffnungsgeschichten des jüdischen Volkes, für welche das Land Israel nicht zur Disposition steht.“
Neuorientierung, die Stereotypen hinter sich lassen muß
Der breiteste Teil der Studie von 1991 (Juden und Christen II) steht unter dem Titel: „Auf dem Weg zu neuen Einsichten“. Neue Einsichten beginnen, wenn man von alten Vorurteilen Abschied nimmt. Dazu haben wir Anlaß, wenn wir auf manche traditionellen Schwarz-Weiß-Vorstellungen (Stereotypen) blicken, mit denen das Verhältnis von Christen und Juden beschrieben wurde. Dazu gehört etwa die Aufteilung von Gesetz und Evangelium auf das Alte und das Neue Testament, die Konstruktion einer Ethik der Vergeltung gegenüber einer Ethik der Liebe usw. Solche Vorstellungen halten der Überprüfung an der Bibel nicht stand. Auch das Neue Testament läßt sich dafür nicht in Anspruch nehmen, wenn man es in der Breite seiner Aussagen zu Rate zieht. Wir müssen allerdings in Rechnung stellen, daß es manche polemisch zugespitzte Aussagen im Neuen Testament gibt, die sich auf das Miteinander von Christen und Juden unheilvoll ausgewirkt haben. Sie sind jedoch auf dem Hintergrund des Streits zu verstehen, der die Verselbständigung der jungen Christenheit gegenüber dem jüdischen Volk begleitete. Ein Glaube, der nicht geteilt wird, ein Verständnis, das keine Zustimmung findet, ja eine Liebe, die nicht erwidert wird — die können zu bösen Worten und Gedanken führen. Ähnliches scheint mir auch etwa der Fall zu sein bei den heute undiskutablen Äußerungen des späten Martin Luther über die Juden.
Zu den Fragen, die sich mit einer Neuorientierung der theologischen Arbeit stellen, gehört auch die nach einer nicht antijüdischen Christologie. Die Studie spricht das zwar nur kurz an und läßt Raum für gründlichere weitere Arbeit. Aber in der Tat: Wie läßt sich die christliche Verherrlichung Jesu Christi davor bewahren, mit einer Verurteilung des Judentums einherzugehen?
Die Studie weist in einem besonderen Abschnitt darauf hin, daß auch die Kirchengeschichte einer kritischen Durchsicht bedarf, um einer vorurteilsfreien Darstellung des Judentums näherzukommen.
Mit Erörterungen zu den Begriffen Messias und Volk Gottes kommt die Studie zu ihren Kernaussagen.
Ohne Zweifel ist der Christustitel abgeleitet vom jüdischen Messiasbegriff. Aber er unterscheidet sich doch auch davon. Dieses betrifft entscheidend die Rede vom gekreuzigten und auferweckten Christus, es betrifft die universale, ja kosmische Ausweitung der Rolle des Christus, es betrifft seine Bezeichnung als Kyrios, es betrifft die Vorstellung von der göttlichen Geburt des Christus, es betrifft schließlich die Bezeichnung der Christusanhänger als „Leib Christi“. Ich hebe dies hervor, weil man Theologen, die sich im christlich-jüdischen Gespräch engagieren, nicht selten den Vorwurf macht, sie seien geneigt, das Unterscheidende, das Trennende, das für den christlichen Glauben Typische zu verschweigen. Ich bin überzeugt davon, daß eine solche Reduktion der eigenen Glaubensüberzeugungen auf das weniger Anstößige zu nichts führt. Wenn ein Dialog fruchtbar sein soll, muß jede Seite zu ihren Überzeugungen stehen, auch da, wo sie auseinander gehen. Wir haben uns unsere Unterschiede, unsere gegeneinanderstehenden Überzeugungen nicht gesucht und sie nicht erfunden. Dabei ist ja auch deutlich — die Studie stellt es dar — daß es im Neuen Testament unterschiedliche Modelle für das Verhältnis von Christen und Juden, von Kirche und Judentum gibt. Es ist nicht zu leugnen, daß sich bei Lukas und noch eindeutiger bei Johannes die Vorstellung der christologisch begründeten Abgrenzung, also die der Substitution des Judentums durch die Kirche andeutet. Von hier aus — unter Mißachtung anderer neutestamentlicher Linien — haben alle gedacht, die in der Dogmengeschichte für deren antisemitischen Einschlag verantwortlich sind.
Es gibt aber im Unterschied dazu im Epheserbrief das Modell einer christologischen Verklammerung von Juden und Heiden im Sinne einer Zusammenführung beider in der einen Kirche. Das ist zwar nicht mehr das Modell des Ersatzes, wohl aber das Modell einer kirchlichen Vereinnahmung.
Bei Paulus begegnet uns in Röm 9-11 ein Modell, das die Zuordnung von Christen und Juden im Sinne der endzeitlichen Rettung beider versteht und dies dem Handeln Gottes am Ende der Zeit überläßt. Ohne Zweifel ist dies die neutestamentliche Linie, die dem Judentum das größte Maß an Respekt und Freiheit läßt, es weder ersetzt noch vereinnahmt, dabei zugleich die eigene christliche Überzeugung nicht zur Disposition stellt und die Frage des Heils offen hält als eine Frage, die Gott am Ende allein lösen wird.
Die Studie wendet sich dann dem Begriff „Volk Gottes“ zu. Sie fragt: „Wie und in welchem Sinn können die an Jesus Glaubenden als Glieder des Volkes Gottes gelten, und zwar gerade dann, wenn sie dem geschichtlichen Israel nicht angehören oder wenn sie die für dieses Volk konstitutiven Lebensformen hinter sich gelassen haben?“ Und später auch umgekehrt: „Inwieweit kann jene große Mehrheit des jüdischen Volkes, die sich dem Glauben an Jesus nicht eröffnet hat, auch weiter als Volk Gottes gelten?“
Von dieser Fragestellung waren die neutestamentlichen Zeugen bewegt. Für die erste Frage wurde das sogenannte „Apostelkonzil“ (Apg 15, Gal 2,1-10) ausschlaggebend: Die Taufe gilt als der entscheidende Akt der Eingliederung in das Gottesvolk der Endzeit.
Die gegenläufige zweite Frage führt wiederum auf Paulus hin, der die bleibende Stellung Israels im Heilsplan Gottes betont und auf ein zukünftiges Rettungshandeln Gottes an seinem Volk setzt: „Und so wird ganz Israel gerettet werden“ (Röm 11,26). Für die späteren neutestamentlichen Schriften kann man sagen, die Frage nach dem „Volk Gottes“ wird allmählich undifferenziert behandelt, schließlich, zum Beispiel im Hebräerbrief, löst sie sich fast ganz vom Blick auf Israel und wird zu einer Bezeichnung, die ausschließlich das Selbstverständnis der Christen im Blick hat.
Ungelöstes neu bedenken!
Offenbar hat die Entwicklung hin zur Heidenkirche die Frage nach Israel als dem Volk Gottes theologisch ungelöst liegengelassen. Wenn da nicht Paulus wäre mit seiner tief durchdachten Darlegung von Röm 9-11, die für uns der Ausgangspunkt der theologischen Neubesinnung sein muß. Ich zitiere noch einmal: „Paulus ist vor allem darin wegweisend, daß er die für christliche Theologie unaufgebbare Einsicht der heilsentscheidenden Bedeutung der Geschichte Jesu mit dem zentralen biblischen Motiv der Geschichts und Verheißungstreue Gottes zusammendenkt. Er hält die Unumstößlichkeit des göttlichen Erwählungshandelns an Israel, seinem Volk, fest“ (Seite 54).
Die Studie schließt mit einem Abschnitt: „Christen und Juden heute“. Es wird noch einmal die Frage des Landes Israel aufgegriffen. Die Kernsätze lauten hier: „Wenn Christen für das Lebensrecht des jüdischen Volkes im Lande der Väter eintreten, respektieren sie, daß die Verbindung von Volk und Land für das Judentum unabdingbar ist. Insofern der Staat Israel dafür eine unentbehrliche Sicherheitsfunktion hat, bejahen Christen diesen Staat.“
Diese Sätze haben bei der Bewertung der Studie II von jüdischer Seite natürlich eine große Rolle gespielt. Die Kirchen akzeptieren das Judentum als ihren älteren Bruder, um eine Wendung des Papstes zu gebrauchen. Wenn dies nicht blasse Theorie und ein bloßes Lippenbekenntnis bleiben soll, ist der Staat Israel in seiner Sicherheitsfunktion völlig unentbehrlich. Damit ist nicht gesagt, daß alle seine Handlungen und politischen Entscheidungen gegen Tadel geschützt seien.
Unter der Überschrift „Formen der Begegnung von Christen und Juden“ wird dann die dornige Frage aufgegriffen, die in unserer Kirche meist unter dem Titel „Dialog oder Mission?“ behandelt wird. Die Studie sagt: Von vornherein abzulehnen ist es, wenn Christen bei Begegnungen mit Juden in irgendeiner Weise nötigen wollen, Zwang ausüben oder Notlagen ausnutzen. Ein solches Verhalten wird in letzter Zeit als „Proselytismus“ bezeichnet und im Blick auf das Miteinander aller Religionen mit Recht abgelehnt. Erst recht sollte dies selbstverständlich sein für das Verhältnis von Christen und Juden. Ein Blick auf die Geschichte christlichen Verhaltens gegenüber Juden lehrt allerdings, daß es keineswegs immer selbstverständlich war.
Allerdings kann eine Begegnung von Christen und Juden auch nicht fruthtbar sein, wenn beide Seiten dabei nicht Zeugnis von ihrem Glauben geben, sei es in Worten, sei es in der Praxis des Umgangs miteinander. Ein solches „Zeugnisgeben“ gegenüber anderen gehört für Christen zu den wesentlichen Lebensäußerungen ihres Glaubens — es steckt schon etwas Missionarisches im Christentum, auch da, wo von Mission als einer organisierten Veranstaltung der Glaubensausbreitung gar nicht die Rede ist. Solche organisierte, auf Bekehrung zielende „Mission“ gegenüber Juden findet im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland nirgends statt. Wohl aber gibt es das Glaubensgespräch auch mit Juden. Und dabei ist für beide Partner, wenn sie die Begegnung im Glauben ernst nehmen, sowohl das Risiko wie die Chance gegeben, von dem Zeugnis des anderen überzeugt zu werden oder aber den anderen zu überzeugen. Dies kann jedoch nicht das Ziel einer solchen Begegnung sein. Der Schlüsselgedanke in diesem Zusammenhang ist: Mission ist im Grunde nur Missio Dei, das heißt, nicht wir veranstalten sie, sondern Gott entscheidet über die Wirkung des Glaubenszeugnisses an uns wie an anderen; wir sollen da nichts selbst bewirken wollen.
Erneutes im Prozeß der Bewährung
Wichtige Felder, auf denen sich ein erneutes christlich-jüdisches Verhältnis zu bewähren hat, sind die christliche Predigt und der christliche Unterricht. Die Überschrift der letzten Abschnitte heißt: „Predigen bzw. Unterrichten in Israels Gegenwart“. Das will sagen, die christliche Predigt hat so zu sprechen, daß jederzeit Juden anwesend sein und zuhören könnten, ohne sich in ihren Überzeugungen mißverstanden, mißdeutet oder gar herabgesetzt zu fühlen. Wir bedürfen immer noch eines Maßes besonderer Aufmerksamkeit, um auch ungewollte Vorurteile zu entdecken und zu vermeiden, die sich einstellen. Aber die Sensibilität in diesem Bereich wächst. Dies gilt auch für den christlichen Unterricht und manifestiert sich insbesondere an den Lehrbüchern für den Religionsunterricht. Wir sind dankbar dafür, daß Fachleute der Gesamthochschule Duisburg im Rahmen eines Forschungsschwerpunktes die evangelischen Religionsbücher durchgesehen und uns darauf aufmerksam gemacht haben, wo das Judentum unangemessen dargestellt wird. Dies hat Früchte getragen. Sie werden im christlichen Unterricht kaum noch erleben, daß etwa Pharisäer schlicht als Heuchler dargestellt werden.
Im Blick auf den akademischen Unterricht, der für evangelische Theologen das Erlernen der hebräischen Sprache einschließt, wird in dieser Studie vorgeschlagen, auf das Aussprechen des Tetragramms, des Gottesnamens, im hebräischen Text zu verzichten und statt dessen „Der Herr“ zu lesen. Die deutschen Bibelübersetzungen, voran die Martin Luthers, tun das ohnehin von jeher.
Am 19. August 1933, also bereits nach Hitlers Machtergreifung, schrieb der unbeugsame protestantische Theologe Ernst Lohmeyer in einem Brief an Martin Buber u. a.: „Ich hoffe, daß Sie mit mir darin übereinstimmen werden, daß der christliche Glaube nur so lange christlich ist, als er den jüdischen in seinem Herzen trägt; ich weiß nicht, ob Sie auch der Umkehrung beistimmen werden, daß auch der jüdische Glaube nur so lange jüdisch ist, als er den christlichen zu hegen vermag.“ Martin Buber, Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten. II, 1918-1938. Heidelberg 1973, 499 f. Abgedruckt in Wolfgang Otto (Hg.), Freiheit in der Gebundenheit. Zur Erinnerung an den Theologen Ernst Lohmeyer. Göttingen 1990, 15-17. |
Jahrgang 2/1995 Seite 19