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Waltraud Herbstrith

Moses Mendelssohn

Eine der faszinierendsten Gestalten der deutsch-jüdischen Kultur ist der Schriftsteller und Philosoph Moses Mendelssohn (geboren 1729 in Dessau, gestorben 1786 in Berlin). Durch die Judenverfolgung der Nationalsozialisten sowie die Zerstörung der zahlreichen Denkmäler Mendelssohns im Berliner Raum wurde sein bahnbrechendes Reformwerk im Deutschland des 18. Jahrhunderts weitgehend vergessen. Der Jude Mendelssohn lehrte durch seine ausgezeichneten Publikationen in deutscher Sprache die preußische Gesellschaft, daß nicht nur Französisch, sondern auch Deutsch literatur- und hoffähig war. Durch seine Übersetzungen der Bibel ermutigte Mendelssohn seine unterdrückten und verfemten jüdischen Brüder und Schwestern, ihren Glauben auch in deutscher Sprache zu bekennen. Als erster jüdischer Philosoph der Neuzeit interpretierte er die jüdische Religion mit den Begriffen der Philosophie seiner Zeit.

Mendelssohn machte den Europäern und vor allem den Deutschen bewußt, daß Juden Menschen sind wie andere auch. Während den aus Frankreich geflüchteten Hugenotten vom preußischen Staat volle Hilfe zuteil wurde, geschah dies bei den Juden nicht. Ihr Makel: Sie waren keine Christen. In seinem Buch „Jerusalem“ schrieb Mendelssohn, der ein unbeirrbarer Verfechter der Toleranz zwischen verschiedenen Menschengruppen war:

Mit meinem besten Freunde, mit dem ich noch so einhellig zu denken glaubte, konnte ich mich sehr oft über Wahrheiten der Philosophie und Religion nicht vereinigen. Nach langem Streit und Wortwechsel ergab sich zuweilen, daß wir mit denselben Worten jeder andere Begriffe verbunden hatte. Nicht selten dachten wir einerlei und drückten uns nur verschiedentlich aus. Aber ebensooft glaubten wir übereinzustimmen und waren in Gedanken noch weit voneinander entfernt. 0, wer diese Erfahrung in seinem Leben gehabt hat, und noch intolerant sein, noch seinen Nächsten hassen kann, weil dieser in Religionssachen nicht denkt oder sich nicht so ausdrückt wie er, den möchte ich nie zum Freunde haben, denn er hat alle Menschen ausgezogen.

Während die Aufklärer sich von der Religion abwandten, weil diese in veralteten Formen auf die Fragen der Zeit keine Antworten wußte, sprach ein jüdischer Philosoph im Gewande des Sokrates vom unstillbaren Verlangen des Menschen nach Unsterblichkeit. Sein Buch „Phädon“ (1767) machte Mendelssohn über Nacht international berühmt. Es erschien in mehreren Auflagen und in verschiedenen Sprachen. Als Mendelssohn 1771 in die Berliner Akademie gewählt wurde, ließ dies Friedrich II. (der Große) nicht zu. Warum? Weil Mendelssohn Jude war. Trotz zahlreicher Freunde und Gesprächspartner wie Lessing, Herder, Goethe, Kant, Wieland, Nicolai, Elise Reimarus, Sophie Becker und vor allem seine Frau Fromet Gugenheim, blieb Mendelssohn bis zuletzt „Schutzjude“, das heißt, er konnte jederzeit des Landes verwiesen werden. Der „Schutz“ bezog sich nur auf ihn, nicht auf seine Familie. Aus dem In- und Ausland kamen Hilferufe unterdrückter Juden an den Menschenfreund Mendelssohn. Die jüdische Gemeinde in Berlin wählte ihn zu ihrem Schatzmeister und Repräsentanten. Auffallend sind auch die „Brautbriefe“, die Mendelssohn an seine Verlobte Fromet Gugenheim schrieb. Er war sehr auf ihre geistige Bildung bedacht, und, im vollen Gegensatz zu den Gepflogenheiten seiner Zeit, bereiteten sich Mendelssohn und seine Braut in freundschaftlichem, partnerschaftlichem Austausch auf ihre Ehe vor. Bedeutende Frauen und Männer sind aus Mendelssohns Familie hervorgegangen. Der bekannteste ist der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy.

Als Mendelssohn nach vielen Aufregungen wegen einer Hetzkampagne gegen seinen Freund Lessing am 1. Januar 1786 unerwartet starb, stand in der Vossischen Zeitung: Es ist eine tiefe Wunde, welche die jüdische Nation durch den Tod Moses des Weisen empfangen hat. Er war ihr Lehrer und Führer, ihr Ratgeber, ihr Vertreter, ihr Alles.

Auch ein Mensch wie Mendelssohn konnte nicht verhindern, daß Deutschland im 20. Jahrhundert in die schlimmste antisemitische Barbarei verfiel. Vielleicht könnten wir, nach bitteren Erfahrungen, Mendelssohn heute neu entdecken als eine Gestalt der Wegweisung, die Wissenschaft mit höchsten ethischen und spirituellen Werten verband.

Literaturhinweise

Moses Mendelssohn Ges. Schriften. Jubiläumsausgabe. Hrsg. von F. Bamberger, Altmann u. a., Berlin seit 1929 f.
Waltraud Herbstrith, Aus dem Getto nach Europa. Moses Mendelssohn, Philosoph und Aufklärer. „Christ in der Gegenwart“ Nr. 5, 42. Jg., 04.02.1990, 37, ebenso in TAD-Nachrichten, hrsg. von Daniel Krochmalnik u. a., Nr. 2, 7. Jg., München, Juli 1990. Heinz Knobloch, Herr Moses in Berlin, Arsenal 21987.


Jahrgang 2/1995 Seite 43



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