Originalausgabe: Door de mazen van het net. Pendo-Verlag, Zürich 1993. 220 S.
Bücher über jüdisches Exil und Flucht aus Deutschland und den von den Nazis besetzten Ländern haben Konjunktur. Leider. Unbesehen wird alles gedruckt, und die Verlage geizen nicht mit vielversprechenden und attraktiven Klappentexten.
Zu „Durch die Maschen des Netzes“ steht dort zum Beispiel, es handle sich um ein „document humain“, von einer „außergewöhnlichen Frau“ geschrieben. Die Frage ist nur, was man unter einem document humain und einer außergewöhnlichen Frau versteht. Außergewöhnlich ist es schon, wenn eine erwachsene junge Jüdin im besetzten Holland in den vierziger Jahren eigentlich nur über Mode, Parties, tolle Autos wie Bentley und Bugatti, Hotels mit Swimmingpool, Segeltouren auf den „bezaubernden Wassern“ und anschließenden Festen in „Frack und Abendkleid“ berichtet. Von Angst, Not, Bedrückung, Kollaborateuren und Verschickung liest man nichts. Gelber Stern? Nie gehört. Einmal wird erwähnt, daß irgendwelche deutsche Juden in Panik gerieten, und „das konnten wir gar nicht verstehen und nachfühlen“. Das Leben der dekadenten wohlhabenden Gesellschaft der dreißiger Jahre wird beschrieben im Stil der Modejournale, die die Verfasserin, wieder laut Klappentext, nach dem Krieg herausgab oder für die sie schrieb.
Die Flucht aus Holland über Belgien in die Schweiz und von da nach Spanien liest sich wie der Abenteuerausflug einer Pfadfindergruppe. Viel Small talk in Dialogform und Aufforderungen der Fluchthelfer an ihre Klienten wie „Los, Jungs“ — notabene in Frankreich — sorgen für die Leichtigkeit der Lektüre.
Natürlich findet man auf der Flucht in „hochhackigen“ Schuhen auch immer Hotels, weil man Geld „im Nähbeutel“ hat und Notunterkünfte unerträglich sind; einmal mußte man aber doch damit vorlieb nehmen, da war es aber gar nicht sauber. Hauptsorge war, was wohl die „eleganten Freundinnen“ dächten, sähen sie die Autorin in den uneleganten übereinandergezogenen Blusen.
Es wird auch kein Klischee über die Franzosen, die gern gut essen und Komplimente machen und meistens etwas kleinbürgerlich sind, die etwas sturen und bürokratischen Schweizer ausgelassen. In Spanien angekommen, natürlich zuerst in einem Hotel und dann in einer „hübschen kleinen Wohnung“ wohnend, kümmert sich die Dame um dort gestrandete Holländer und Engländer, d. h. sie organisiert Fußball- und Bridgeclubs, um ihnen den Zwangsaufenthalt nicht langweilig werden zu lassen.
Ach, warum hatte Walter Benjamin nicht auch Verbindung zu „Generälen, Konsuln und Offizieren“ mit Beziehungen und warum hatte er kein Geld im Nähbeutel, bloß Manuskripte in der Mappe und furchtbare Angst im Herzen auf der Flucht aus Frankreich.
Dieses Buch ist ein Beispiel dafür, wie die Erinnerung an das Grauen vor 50 Jahren pervertiert werden kann. ,Es ist geschwätzig, oberflächlich und sogar schädlich, denn so wie die Verfasserin die altbekannten dummen Klischees über die verschiedenen Nationen kolportiert, so vermittelt sie selber genau das Bild, das sich Antisemiten von der vorlauten, arroganten und reichen Jüdin machen.
Eva Auf der Maur
Jahrgang 2/1995 Seite 51