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Langer, Michael

Zwischen Vorurteil und Aggression

Zum Judenbild in der deutschsprachigen katholischen Volksbildung des 19. Jahrhunderts. Herder, Freiburg 1994. 587 Seiten.

Im Juni 1994 trat das Abkommen zwischen dem Staat Israel und dem Heiligen Stuhl in Kraft und wurde durch Austausch eines israelischen Botschafters und eines päpstlichen Nuntius bekräftigt.

Die ungeheure Wende um 180 Grad wird uns bewußt, wenn wir in dem Buch von Michael Langer die antijüdischen Zitate aus katholischen Predigten und volkstümlichen Schriften (Kalender und Zeitschriften) auf uns wirken lassen. Welch eine Drachensaat von Antijudaismus und Antisemitismus ist hier gesammelt, die so furchtbar in den Jahren des Holocaust 1933 bis 1945 aufging und Millionen unschuldiger Opfer forderte.

Michael Langer, Jahrgang 1960, Dr. phil., Dr. theol. habil., derzeit Oberassistent an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg, widmet seine Habilitationsschrift den „Freunden und Weggefährten aus Oberaudorf, Graz und Jerusalem“. Die Jerusalemer Freunde, zu welchen der Schreiber dieser Zeilen und seine Frau gehören, haben Langer einen neuen Weg zu Israel und dem Judentum eröffnen können, im Sinne des berühmten Konzilsbeschlusses „Nostra aetate“, der gemeinsame biblische und theologische Studien und das brüderliche Gespräch mit dem Judentum statuiert.

Ein immer wiederkehrender Topos ist die Zerstörung Jerusalems als Strafe für die Verwerfung Jesu durch das jüdische Volk. Unstet und flüchtig wie Kain, muß dieses Volk durch alle Zeiten der Geschichte wandern, wobei der Ahasver-Mythos teils als Realität, teils als Symbollegende figuriert.

Die Juden werden in ihre Stadt Jerusalem nicht mehr zurückkehren bis an das Ende der Tage, den Christen ein warnendes Beispiel. Vergegenwärtigt man sich dieses Urteil, oder Vorurteil im Licht der heutigen Wirklichkeit des Staates Israel und seiner Hauptstadt Jerusalem, die größer und schöner ist als jemals, so wird das Fehlurteil der Kirche sichtbar. Michael Langer hat eine Unmenge von Material durchgearbeitet, Äußerungen des blinden Hasses, und nur ganz vereinzelte Stimmen zur Verteidigung der Juden. Sein besonderes Augenmerk wendet er den immer wiederkehrenden Beschuldigungen der Juden zu, welchen Ritualmord und Hostienfrevel zur Last gelegt wurden. Da diese Beschuldigungen völlig haltlos und absurd sind, oft und oft widerlegt wurden, verzichtet Langer weitgehend auf sachliche Richtigstellungen, läßt die verleumderischen für sich selbst sprechen, ohne immer zu bedenken, daß nicht alle Leser heute so aufgeklärt sind wie er selbst.

Die katholische Talmudpolemik des vergangenen Jahrhunderts erreicht im Lebenswerk des Prager Alttestamentlers und Domherrn August Rohling (1839-1931) ihren ideologischen Höhepunkt. Der Rabbiner J. S. Bloch (1859-1923), der auch Abgeordneter im Österreichischen Reichstag war, überführte Rohling der haltlosen Fälschung von Zitaten aus dem Talmud und dem Kodex Schulchan Aruch. Rohling mußte seine Behauptungen zurückziehen, wurde seines akademischen Amtes enthoben, hörte aber nicht auf, weiter gegen Juden und Judentum zu hetzen und beschuldigte später das Gericht der Bestechung durch die Juden.

Rohling griff die Argumentationen eines protestantischen Orientalisten, Johann Andreas Eisenmenger (1654-1704), auf, dessen zweibändiges Werk „Entdecktes Judentum“, erstmals erschienen 1700, das Arsenal für die Verunglimpfung des Judentums bildete und weiter bildet. Julius Streicher hat in seinem antisemitischen Hetzblatt „Der Stürmer“ immer wieder auf Eisenmenger zurückgegriffen, und bis heute wirkt diese Giftküche nach. Vor mir liegt ein umfangreicher Brief einer deutschen Frau vom Mai 1994, in welchem wiederum die Polemik Rohling – Eisenmenger durch gefälschte und entstellte Zitate auflebt. Wer hätte das gedacht?

Der bereits traditionelle Antijudaismus der Kirche, der sich auf bestimmte Stellen im NT, insbesondere aber auf die Kirchenväter stützte, erhielt im 19. Jahrhundert durch die Emanzipation der Juden im Deutschen Reich (1871) neuen Auftrieb. Antisemitische Theologen wollten nachweisen, daß eine Gleichberechtigung der Juden unbegründet sei, da die Juden ihrerseits die Christen nicht als gleichberechtigte Mitbürger ansehen könnten, gemäß ihren talmudischen Vorurteilen.

Während sich die Theologen mit dem Reformjudentum auseinandersetzten, ebenfalls in ablehnender Weise, bleibt merkwürdigerweise der Zionismus eigentlich unbeachtet. Der Grund ist wahrscheinlich ein theologischer, der den Willen des jüdischen Volkes zur Rückkehr in seine historische Heimat nicht wahrhaben wollte. Was nicht in eine dogmatisch verhärtete Konzeption paßte, wurde einfach übersehen.

Eine rühmliche Ausnahme bildet der Würzburger Priester, Schriftsteller und Politiker Friedrich Frank (1832-1904), der in Streitschriften und wissenschaftlich fundierten Arbeiten der jüdischen Religion große Wertschätzung entgegenbringt, den Juden seiner Zeit ein hohes Maß an Sympathie zollt und sie gegen zahlreiche der antisemitischen Anschuldigungen in Schutz nimmt. Er wurde grundlos verdächtigt, selbst jüdischer Abstammung zu sein.

Aber auch Frank zeigt kein Verständnis für den Zionismus, sondern meint, daß sich die Juden, bei voller Gleichberechtigung in Deutschland voll heimisch fühlen sollten und keine Sehnsucht nach Jerusalem mehr verspüren.

Nicht nur literarische Dokumente als solche zieht Langer heran, sondern auch weit verbreitete Bräuche katholischer Volksfrömmigkeit, wie Wallfahrten zu Orten angeblicher Ritualmorde, die sich bis in unser Jahrhundert hinein fortgesetzt haben; auch noch nach dem Kriege (1945).

Langers Habilitationsschrift bildet eine vielschichtig belegte Dokumentation einer Seite der Vorgeschichte der „Endlösung“ der Judenfrage im Dritten Reich und zeigt dem Leser, daß der Holocaust keineswegs ein Blitz aus heiterem Himmel war, sondern die letzte furchtbarste Konsequenz aus einer verhängnisvollen Tradition.

Möchte dieses umfangreiche Werk vor allem in den Händen der Multiplikatoren, Priester und Katecheten segensreich wirken.

Die Beschlüsse des Zweiten Vatikanum vor drei Jahrzehnten und die diversen Ausführungsbestimmungen und Ergänzungen deutscher und anderer Bischöfe sind noch längst nicht im Kirchenvolk wirklich durchgedrungen. Prediger und Erzieher müssen dazu noch lange Zeit Hilfe bieten, und diesem Ziel dient das vorliegende Buch.

Schalom Ben-Chorin


Jahrgang 2/1995 Seite 53



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