Jüdischer Widerstand und deutsche „Vergangenheitsbewältigung“. Edition ID-Archiv. Berlin-Amsterdam 1994. 140 Seiten.
„Endlich!“, möchte man sagen und „besser spät als nie“. Ingrid Strobl hat es unternommen, ziemlich allein auf weiter Flur, ein Thema aufzugreifen, das überall geflissentlich umgangen wird: Der Antisemitismus der Linken. Vielleicht, weil es unglaublich scheint, daß die Linken, die sich gewöhnlich überschlagen, wenn es darum geht, Unterdrückten, Benachteiligten, „Heimatlosen“ zu ihrem Recht zu verhelfen, kein Wort über Israel verlieren. Seltsamerweise existiert auch keine linke Literatur — mit Ausnahme der jüdischen — über den jüdischen Widerstand während der Naziherrschaft, und noch heute werden Prozesse gegen Nazitäter von der Linken kaum beachtet.
Zum „normalen“ bürgerlichen Antisemitismus, den die Linken von ihren Vätern geerbt haben, kommt zusätzlich, daß nun die Juden nicht mehr die Gedemütigten, sondern daß sie „Zionisten“ geworden sind, die die Palästinenser aus ihrem angestammten Land vertrieben und auch noch siegreiche Kriege geführt haben. Es ist so viel leichter und hilft den eigenen Frust nach dem Zusammenbruch des Sozialismus abzubauen, sich der „Befreiung der kolonisierten“ Palästinenser anzunehmen. Dazu kommt, daß es auch vermögende Juden gibt, und die passen schon gar nicht ins Credo der Linken, ganz egal, was die erduldet haben oder noch erdulden. Bei den Palästinensern ist das schon anders, wenn die vermögend oder gar reich sind, dann ist das ihr gutes Recht.
Ein anderer Aufsatz befaßt sich mit dem Widerstand jüdischer Frauen während des Krieges. Der war viel größer als angenommen, aber weniger spektakulär, dafür aufreibender und gefährlicher. Frauen machten Kurierdienste, transportierten versteckte Waffen, retteten Kinder. Manche hatten auch Führungspositionen. Ganz allgemein leugnete die kommunistische Partei den jüdischen Widerstand in Frankreich, denn der entsprach nicht dem patriotisch-nationalistischen Image, das sich die Résistance gab und noch immer gibt.
Zum immer noch existierenden Antisemitismus gehört auch das Kapitel des „Anderle von Rinn“ in Tirol, das eine abscheuliche antisemitische Legende über einen „jüdischen“ Kindermord vor fast 400 Jahren benützt, um einen Wallfahrtsort zu perpetuieren, obwohl dies der zuständige Bischof verbot. Doch das „Volk“ hält unbeirrt daran fest, weil es so schön in das Vorurteilsbild vom „Juden“ paßt.
Weitere Themen sind der Film „Beruf Neonazi“, der dem Dargestellten eine ideale Plattform bietet, seine Ansichten über die Unmöglichkeit der Massenvernichtung in Auschwitz kundzutun und via Videoband großartiges Propagandamaterial für die Neonazis und ihren Antisemitismus abgibt.
Dann folgt eine Betrachtung über das Mitleid mit den verurteilten Nazitätern, deren lange Haft als unmenschlich angesehen wird. Diese Mitleidvollen und Menschlichen vergleichen wie zum Hohn die Taten der Schergen mit dem, was Israelis vielleicht Palästinensern angetan haben. Es ist nun ganz sicher unstatthaft, diese Taten gegeneinander auszuspielen, vor allem, weil geflissentlich übersehen wird, daß kein Jude oder Israeli Kinder an die Wand geschmissen oder Menschen en masse vergast hat.
Die Ausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz wird kritisch betrachtet und Fragen über die deutsche Vergangenheit werden gestellt.
Nicht vergessen hat Strobl auch die tendenziöse Darstellung der Vergewaltigung deutscher Frauen durch sowjetische Soldaten nach dem Ende des Krieges, ohne auch nur von ferne daran zu erinnern, was deutsche Soldaten in Rußland den Frauen antaten und zu welchen „Diensten“ die Jüdinnen in den Lagern gezwungen wurden. Bezeichnend ist, daß dieser Film von linken Frauen gemacht wurde.
Das schmale Buch ist knapp und randvoll mit heißen Themen, die fast überall beiseite geschoben werden. Es ist ein Beispiel von Zivilcourage und Einstehen für eine Erkenntnis, auch wenn sie nicht von der Mehrheit geteilt wird.
Eva Auf der Maur
Jahrgang 2/1995 Seite 62