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Gertrud Luckner
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Thoma, Clemens

Das Messiasprojekt

Theologie jüdisch-christlicher Begegnung. Pattloch Verlag, Augsburg 1994. 478 Seiten.

Nach seinen beiden Büchern „Christliche Theologie des Judentums“, 1978 und „Die theologischen Beziehungen zwischen Christentum und Judentum“, 1982 hat Clemens Thoma, der katholische Judaist von Luzern einen erneuten Versuch getan, die christlich-jüdische Beziehung zu kartographieren.

Dieses Buch wurde zwei Wochen nach der Anerkennung der PLO durch die israelische Regierung abgeschlossen und das Erscheinen fällt zusammen mit der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille, die dem Autor und (posthum) dem verstorbenen Freund, Dialogpartner und Mitdenker Jakob J. Petuchowski im März 1994 anerkannt wurden. Die Vermutung liegt also nahe, hier eine Gelegenheitsschrift zu haben, deren Erscheinen unter Druck der Umstände beschleunigt wurde.

Ein Dialog ist immer nach vorne offen und hat eine eigene Dynamik, und wir dürfen deshalb hoffen, daß uns in Zukunft neue Gesprächsprotokolle nachgeliefert werden. Dieses Buch ist ein gutes Buch für Neueinsteiger in den christlich-jüdischen Dialog. Es fordert aber den Willen des Lesers, sich für die verschiedensten Facetten des fortgehenden Gesprächs zu öffnen.

Konnte Thoma in 1978 noch fast peinlich genau und nach Paragraphen seine Gedanken vermitteln, in dieser Neuerscheinung gibt er etwa 15 große Kapitel, die wie in einem lebendigen Dialog aufeinander zurückgreifen und ineinander verkettet sind.

Der Titel, vielleicht eine Erfindung des Verlags, irritiert zuerst. Wir vermuten, nach den verschiedenen Papst- und Qumranenthüllungen hier ein Buch mit suggestiven Fragestellungen in der Hand zu haben.

Ein Projekt ist die Summe der vorbereitenden Studien für etwas, was realisiert werden sollte und deshalb jetzt auf allen Ebenen erforscht und durchdacht werden muß.

Wie ein Schweizer Tunnelbauer untersucht Thoma die verschiedenen Schichten, macht er Probebohrungen, zeichnet er Zukunftspläne, prüft er die anderen möglichen Varianten und versucht dann Distanz zu nehmen und sagt: Ja, auf diese Weise könnten wir unser Projekt, diese Theologie eines jüdisch-christlichen Dialogs anpacken.

Thoma sucht das Gespräch; nicht nur, um die Partner besser kennenzulernen, sondern auch um das eigene Christsein zu vertiefen, zu revidieren. Er sucht Öffnungen, vor allem im Judentum, das viel mehr ist als die rabbinische Ausgestaltung, die wir im organisierten Judentum kennenlernen. In dem Sinn ist der Titel richtig gewählt: Er zeigt nach vorne, er hat etwas Unfertiges, er lädt ein mitzudenken und mitzugestalten, damit dieser Dialog ein Haus der Humanität werden kann.

Deutlicher hätte Thoma vielleicht ausdrücken können, daß es ihm nicht um eine (an sich notwendige) Haltung der Toleranz geht. Er leidet hoffentlich darunter, daß die christliche Verwurzelung im Judentum oft noch ein marginales Dasein führt und in den jeweiligen Kirchenordnungen und kirchlichen Verlautbarungen vielerorts fehlt.

Fast spielend leicht, und das ist ein großes Verdienst, gelingt es Thoma z. B., Gleichnisse in seinen Gedankengang aufzunehmen. Da wird nichts bewiesen, da wird nicht der Gleichniserzähler Jesus gegen andere Gleichniserzähler ausgespielt, da werden leichtfüßig Fenster geöffnet, und plötzlich denkt man: Ist die Zeit nicht für einen neuen „Strack-Billerbeck“ reif?

Mehr als seine Kollegen der Branche dialogisiert Thoma aus jüdischen Positionen heraus. Die Gleichnisse, die Theologie der Gruppen zur Zeit Jesu, die Rabbinica und die Kabbala sind für ihn Quellen, seine Absichten deutlich zu machen. Aber nie ist das Gespräch abgeschlossen. Hier liegt nicht das einzig gültige Buch über jüdisch-christliche Beziehungen vor uns, sondern ein Buch aus einer Reihe, die bis zum Jüngsten Tag fortgesetzt wird.

Mit ihm sollten wir Christen uns immer tiefer in den Dialog hineinwagen, falsche Bilder abbrechen, Standpunkte revidieren, konkrete Schritte wagen, neue Wege suchen. Und das alles, wie es in diesem Buch mit Bezug auf Rosenzweig gesagt wird, daß der fortschreitende Dialog, immer wieder Rücksicht nehmend auf Vergangenes, vorwärts strebt und neue Dimensionen bekommt. Manchmal hat man beim Lesen dieses Buches das Gefühl, Thoma bekommt es plötzlich mit der Angst zu tun. Er lotet die Breite und Tiefe des jüdisch-christlichen Gesprächs aus, aber an gewissen Punkten zieht er sich zurück.

Er zögert in der Diskussion über die Namen, die man jetzt den beiden Bibelteilen geben sollte. Er scheint konservativ zu sein, als die Frage nach Antijudaismen im NT angesprochen wird. Vor allem wird es unseres Erachtens bemerkbar, als er über den Holocaust sprechen muß. Er beschreibt die verschiedenen jüdischen und christlichen Gedanken über die Schoa, und er tut es gut. Tief sind die verschiedenen Denkansätze aus jüdischen Kreisen. Thoma spürt die Tiefe der Fragen. Man spürt es auch in den vorangehenden Kapiteln, denn dieses Buch ist nicht ein historisches Resümee, sondern die Schatten und Lichtblicke aller Zeiten werden in einem lebendigen Dialog sichtbar.

Aber warum diese Verbalisierung der Sinnfrage des Holocaust. Warum haben christliche und jüdische Autoren nicht den Mut, nach den Ausführungen dieser Gedanken über den Holocaust eine total schwarze Seite abzudrucken und die Hoffnung auszusprechen, daß nach dem Schweigen ein Lichtlein kommen wird. Wir sollten vielleicht lernen zu schweigen und auf ein Wort des ganz anderen zu hoffen. Hiob spricht uns mehr an, als er schweigend in der Asche sitzt, als in seinen Rechtfertigungen gegenüber seinen Freunden.

Das Messiasprojekt. Ein gutes, ein empfehlenswertes Buch, auch wenn niemand es unkritisch lesen kann. Ein Buch auch, das auffordert, den eigenen Glauben kritisch zu hinterfragen. Ich möchte drei Beispiele erwähnen:

Im Register fehlt das Stichwort Altes Testament.

Aber ein dialogisches Umgehen mit den verschiedenen jüdischen Traditionen verlangt doch christlicherseits eine Neueinstellung gegenüber dem sogenannten AT. Es geht mir jetzt nicht um die Namensgebung. Es geht mir um die Bedeutung, die Wirkung dieses Bibelteiles.

Mit Recht spricht Thoma von „Messiassen“ und „Judaismen“. Gerade auch hier braucht jeder christliche Theologe den Impuls unserer jüdischen Gesprächspartner. Niemand Sollte meinen, die Probleme seien schon gelöst. Thoma kann uns auch hier einführen.

Ein Druckfehler führte mich zum nachstehenden Gedanken. Als Todesjahr von Kafka wird 1942 angegeben. Was wäre, wenn Kafka bis 1942 gelebt und geschrieben hätte?

Dialogfähig sind wir, wenn wir die Bereitschaft haben, uns korrigieren und führen zu lassen. Das neueste Buch von Thoma ist eine Aufforderung zum Dialog. Auch wenn Kafka noch bis 1942 geschrieben hätte, wäre er vermutlich noch in diesem Raum ohne Fenster. Kafka wäre gestorben unter den Händen oder unter dem Druck der Nazis. Aber weil wir dialogisch leben wollen, müssen wir bereit werden, uns in das Haus der Begegnung zwischen Juden und Christen hineinzubewegen, damit wir gemeinsam für uns und die ganze Humanität einen Weg des Lebens finden.

Nico Sonnevelt


Jahrgang 2/1995 Seite 64

Wenn wir uns nicht selbst feiern wollen, müssen wir etwas sagen, was die Menschen sensibilisieren und motivieren kann.

Clemens Thoma bei der Verleihung der Bube-Rosenzweig-Medaille 1994. 

 



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