Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und dem Heiligen Stuhl ruft wieder öffentlich und politisch die Frage nach der Bedeutung des Landes Israel für Christen ins Bewußtsein. Im Lauf der langen Entzweiungsgeschichte zwischen Juden und Christen bildete sich bei Christen die Vorstellung heraus, das Land Israel gehöre zu den vielen Themen des Alten und damit vergangenen Bundes, der mit dem Neuen Bund abgelöst worden sei. Erst die zaghafte Neubesinnung der Kirche auf die Bedeutung des Judentums für ihr eigenes Grundverständnis machte wieder deutlich, daß es in der Frage des Landes Israel, das Abraham und seiner Nachkommenschaft auf ewig zugesagt wurde, zwischen Juden und Christen unaufgearbeitete und theologisch nicht klar bedachte Probleme gibt.
Hier setzte eine vielbeachtete Tagung an, die von der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen und dem Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken gemeinsam im August-Pieper-Haus in Aachen durchgeführt wurde. Sie hatte sich das Thema gesetzt: „Land und Staat Israel — eine bleibende Herausforderung christlicher Solidarität“. Ausgezeichnete Fachleute, Theologen und Judaisten, Juden aus Israel und der Diaspora, Politiker der PLO und aus Deutschland sowie ein sehr aufgeschlossenes Publikum fanden sich zu einem spannenden und hochkarätigen Symposion zusammen, in dem das wichtige Thema in vielen Facetten diskutiert wurde. Daß am Ende manches strittig blieb, war zu erwarten. Es ist aber bei den Teilnehmern eine neue Sensibilität für diese Frage wach geworden.
Den Auftakt machte Prof. Erich Zenger (Münster), der in einem faszinierenden Referat zeigte, welch große Bedeutung die Landtexte für die Bibel und damit auch für das heutige Judentum haben, wenn Abraham das Land „auf ewig“ verheißen wird und das Land auch bei den Propheten Israels im Horizont der Gottesoffenbarung steht. Durch diese von Gott nicht widerrufenen Verheißungstexte sind Christen angehalten, sich für ein Leben der Juden im Land Israel einzusetzen.
Daß die Zuordnung von Gott, Volk und Land Israel auch im Neuen Testament nicht geleugnet wird, zeigten die sorgsamen Ausführungen von Prof. Fiedler (Freiburg). Er kritisierte vor allem die seit den Kirchenvätern vertretene These, wegen der Kreuzigung Jesu, die die Juden pauschal zu verantworten hätten, sei ihr Anspruch auf das Land Israel verloren gegangen.
Der jüdische Philosoph und Rabbiner Emil Fackenheim (Jerusalem) zeigte in einer bewegenden Rede, wie für die Juden in den Zeiten der Verfolgúng, als sie das Land Israel nicht bewohnen konnten, vor allem die Heiligung des Lebens ausschlaggebend geworden ist. Dieser Gedanke bewegte viele Juden gerade auch in der furchtbaren Situation des Holocaust. Am Rand ging Fackenheim auch auf den Grundlagenvertrag zwischen dem Staat Israel und dem Vatikan ein. Er meinte, daß dieser Vertrag sehr spät komme und für Israel auch darin enttäuschend sei, daß der Sitz der kirchlichen Vertretung nicht in Jerusalem sei.
Ähnlich wie Fackenheim beeindruckte auch der Judaist S. Lauer (Basel) durch die zugleich wissenschaftliche und biographische Färbung seines Vortrags, in dem er die Bedeutung der jüdischen Diaspora für das Judentum und für sich persönlich deutlich machte.
Prof. Breuning (Bonn) konzentrierte das Thema auf Jerusalem und stellte sich dabei der Frage, wieweit Jerusalem für Juden und Christen als „Wirklichkeit“ und als Metapher („Himmlisches Jerusalem“) bedeutsam sei. In einem freundlich geführten christlich-jüdischen Streitgespräch, das Edna Brocke (Leiterin „Alte Synagoge“ Essen) und Prof. Kienzler (Augsburg) miteinander führten, wies Frau Brocke entschieden auf die Grenzen hin, die Juden und Christen in dieser Thematik trennen, mußte sich aber auch fragen lassen, ob diese Grenzen, die sie im Handeln des Gottes Israel mit seinem Volk Israel sieht, durch ein neues Handeln Gottes für alle Völker grundsätzlich erweitert werden könnten.
Die politisch aktuelle Seite des Themas wurde auf der Tagung in doppelter Richtung entfaltet. Klaus Schütz, ehemaliger deutscher Botschafter in Israel, forderte eindringlich eine besondere Solidarität der deutschen Politik mit Israel. Auf dem Abschlußpodium standen die neuen Vereinbarungen zwischen dem Staat Israel und der PLO, vertreten durch M. Nazzal (Bonn), auf dem Prüfstand. Hoffnungen auf ein gutes Gelingen wurden bekundet, aber die Ängste aller Beteiligten schienen zu überwiegen. Zu sehr schmerzen noch die Wunden aus Vergangenheit und Gegenwart. Daß die Tagung zu einem offenen und ertragreichen Forum und sogar zu einem Zeichen der Hoffnung im Miteinander von Juden und Christen, Deutschen und Israelis, Israelis und Palästinensern wurde, ist nicht zuletzt der kompetenten Moderation von Frau Verena Lenzen zu danken.
Jahrgang 2/1995 Seite 68