Neuer Einblick in leicht zugänglich gemachte Texte
Seit dem Schriftrollen-Fund, den der junge Beduine Muhammad edh Dhib aus dem Stamm der Ta'amireh 1947 in einer Höhle in der Nähe des heutigen Qumran (Chirbet Q.) am Toten Meer machte, will keine Ruhe einkehren.
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Die Höhlen von Qumran. Foto: Ewald Stark aus: Klaus Berger, Psalmen aus Qumran. Quell Verlag, Stuttgart, 1994. |
Spätere, bis in die Mitte der 50er Jahre reichende, weitere Rollenfunde nebst ungezählten Fragmenten haben das geheimnisumwitterte Qumran, das inzwischen als komplette Gemeinde („Mönchs“-)Siedlung ausgegraben ist, nicht voll enträtseln können. Warum? Heute, nachdem mehr als fünfundvierzig Jahre ins Land gegangen sind, spricht man plötzlich von einem Skandal, zudem von einem, in den der Vatikan verwickelt sei. Die ehemals offiziell mit der Bergung, Sichtung und Edition der „Rollen vom Toten Meer“ betrauten Fachleute waren G. Lankester Harding (Direktor des Jordanischen Department of Antiquities, Ost-Jerusalem), Pater Roland de Vaux OP (Direktor der Ecole Biblique et Archéologique Française in Ost-Jerusalem), Pater J. T. Milik, der Mitarbeiter von Pater de Vaux, Pater Jean Starky, der mit de Vaux zwischen 1951-1956 das Plateau von Qumran ausgrub, Frank Cross (Gastprofessor an der ASOR1), John Strugnell (Oxford), besonders aber der abenteuerliche John Marco Allegro (Manchester). Diese Personen bildeten das internationale, interreligiöse Forscherteam. Pater de Vaux übernahm die Leitung des Teams und der Publikation der DJD-Bände (Discoveries in the Judean Desert). Ab 1954 gehörte der Deutsche C.-H. Hunzinger dazu, ebenso der Amerikaner P. W. Skehan, Gastprofessor an der ASOR. Sie alle sind entweder inzwischen verstorben oder haben sich, wie Pater Milik, aus dem Staub gemacht. Allegro war und blieb bis in seine letzten Lebensjahre Atheist. Man kann die Bilder der erwähnten Personen und noch einige dazu in dem vielgescholtenen Buch von M. Baigent und R. Leigh „Verschlußsache Jesus“ (1991) finden.
Ein schönes Foto von Muhammad edh Dhib bietet Millar Burrows in seinem zweibändigen Werk „Die Schriftrollen vom Toten Meer“, München 21956/57 auf der ersten Seite (s. auch M. Baigent/R. Leigh, 146). Mit den Namen M. Burrows, A. Dupont-Sommer, den Deutschen K. G. Kuhn, E. Lohse (Die Texte aus Qumran, hebräisch und deutsch, München 1964), J. Maier (Die Tempelrolle vom Toten Meer, München 1978) u. a. sind bereits Orientalisten und Judaisten genannt, Leute, die aus der Wissenschaft kommen, also über die Pioniere der „ersten Welle“ hinaus an die Erschließung und religionsgeschichtliche wie theologische Einordnung gingen. Die Aufregung, plötzlich zweitausend Jahre in die Vergangenheit zurückzukommen, Bibeltexte (besser: Textzeugen), Pescherim (s. u.) und Bibeltargume (Übersetzungen in aramäisch) zu finden, die ein gutes Jahrtausend älter waren als der Bibelkodex in Leningrad, war groß. Dabei ist diese zweite Stufe der Erforschung durch zunächst und im wesentlichen christliche Theologen und Wissenschaftler so normal wie aufregend. Was würde es für die Christenheit und ihre Bibel bedeuten? Stammen die Funde aus der unmittelbar der christlichen Ära vorangehen Epoche, sind sie also ein Beleg für deren Abstammung bzw. Entwicklung aus dem Judentum?! Gibt es nicht in Qumran und der dort gefundenen Bibliothek zentrale Vorstellungen vom Messias, vom endzeitlichen Volk Gottes, vom Kampf der Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis, vom Weltgericht usf.?
Zu der „ersten Welle“ gehört auch noch, daß der „Studienplatz“ relativ konzentriert war: die sog. „scrollery“ (Handschriftenraum) des Palestine Archeological Museum in Ost-Jerusalem. Dieser „Rollensaal“ war das Depot aller den Beduinen abgehandelten Funde aus den Höhlen 2-11. Hier wurde alles Material der Funde (Fragmente) aus den Jahren 1952-1956 zur Bearbeitung versammelt. Hierhin „pilgerten“ vor allem auch die amerikanischen Forscher, wie z. B. J. A. Fitzmyer (1957/58).2 Die Publikations-Arbeiten wurden von mehreren ausländischen Institutionen, u. a. dem Land Baden-Württemberg für die Universität Heidelberg und vom Vatikan (!) „gesponsert“.
Es wäre ungerecht, das Verdienst jüdischer Forscher und Gelehrter hier außer acht zu lassen. Nur für die „erste Welle“ konnten sie nicht in Frage kommen. Der Fundort lag im wesentlichen im damaligen Transjordanien. Nach dem Auslaufen des britischen Mandats 1948, 30 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, hatten die Israelis anderes zu tun, als sich um ein paar alte beschriebene Lederrollen zu kümmern. Trotzdem schalteten sie sich relativ früh ein, jedenfalls vor dem Sechs-Tage-Krieg (1967).
Nach 1967 war es für die Israelis leicht, an die Höhlen am Toten Meer heranzukommen. Dieses Gebiet und auch das Palestine Archeological Museum in Ost-Jerusalem (Rockefeller-Museum) war inzwischen israelisches Besatzungsgebiet. Zunächst ist Prof. E. L. Sukenik3 (The Dead Sea Scrolls of the Hebrew University, West-Jerusalem 1955) zu nennen. An ihn wurden die Handschrift B der Jesaja-Rolle, die Kriegsrolle und die Hymnenrolle, drei von den sieben bedeutendsten Schriftrollen, verkauft. (Die abenteuerlichen Umstände um den syrischen Schuster aus Betlehem „Kandu“ zu erfahren überlasse ich der Lektüre in den „Enthüllungsbüchern“.) Übrigens: Erzbischof Mar A. Samuel, Metropolit und Superior der St. Markus Abtei in Jerusalem, die „Anlaufstelle“ der Beduinen bzw. Rollen-Händler, sorgte vielleicht unfreiwillig für die Gelegenheit, daß — nachdem er die vier übrigen Rollen (Jesaja-Handschrift A, Sektenregel, Pescher Habakuk und Genesis-Apokryphon) über Beirut in die USA gebracht hatte — die Israelis diese am 1. Juli 1954 für angeblich 250.000 Dollar zurückkauften. Alle sieben Rollen sind heute im „Schrein des Buches“, einem Teil des Israel-Museums, ausgestellt — wie unsere Israel-Pilger ja wissen.
Der Sohn von Prof. Sukenik, Yigael Yadin (vgl. FrRu NF 2/1995, 93 ff.), hat das Verdienst, die vorhin genannten Rollen, die im Besitz des syrischen Metropoliten Samuel waren, gekauft und ins israelische Konsulat in New York gebracht zu haben.
Yadin war ein glänzender Qumran-Forscher. Herausragend ist seine Edition der „Tempelrolle“.4 Sie gehört nicht zu den genannten ehrwürdigen sieben, auf sie fiel aber gleichwohl das Interesse des deutschen Judaisten Johann Maier. Er hat uns ihren Text in einem Taschenbuch zugänglich gemacht und ihre Kommentierung sowie Einordnung in den Rahmen der Qumran-Rollenfunde unternommen (Die Tempelrolle usw., s. o. 21992).
Schließlich sei noch kurz auf die Rolle der amerikanischen Wissenschaftler eingegangen. Die „American School of Oriental Research“ in 0st-Jerusalem gehört in den ersten Rang, was ihre Bedeutung für die Erforschung der Qumran-Schriften angeht. Millar Burrows, Methodist, zeitweilig Direktor der ASOR, sonst Professor an der Yale University, edierte 1951 die „Sektenregel“ (Manual of Discipline), den Pescher Habakuk und die Handschrift A der Jesaja-Rolle A.5
J. A. Sanders, P. W. Skehan u. a. gehören in diese Riege. Bei Fitzmyer, 226, ist die Bedeutung herausgearbeitet, die dem siebenköpfigen offiziellen internationalen und interreligiösen Herausgeber-Team zufiel.
Freilich muß man bedenken: ohne die tatkräftige, auch finanzielle Hilfe, ohne wissenschaftliche Schützenhilfe von den führenden Instituten in den USA, in England (Oxford, Manchester), in Deutschland (Heidelberg, Göttingen) usw. konnte mit ein paar jungen Doktoranden die Sache nicht gut vorangehen. Die Israelis hatten die Nase vorn (Sukenik, Yadin), daneben die Amerikaner Burrows und J. A. Sanders (1961/62 Gastprofessor an der ASOR). Das internationale, interreligiöse Forscherteam mit seinen DJD-Bänden kommt in der heutigen Beurteilung nicht gut weg. Andere waren mit der Publikation der Qumran-Schriftenrollen schneller (s. u.).
Jedenfalls war nach dem Tod von Pater de Vaux 1973 sein Nachfolger an der Ecole Biblique, Pater Pierre Benoît, verantwortlich über das gesamte Material gesetzt. Die Israelis wollten sich zunächst nicht einmischen.6 Nachdem Benoît 1987 gestorben war, sollte John Strugnell (s. o.) in der Editions-Leitung nachfolgen. Jetzt machten die Israelis Druck, doch die DJD-Bände kamen immer zögerlicher heraus, zuletzt ein Band pro Jahrzehnt (Nr. 7, 1982, Nr. 8, 1990), so daß die Mitarbeiter dem katholischen Herausgeber John Strugnell einen jüdischen Adjutanten, Emmanuel Tov, Hebrew University Jerusalem, an die Seite gaben. Der Sturz Strugnells, dem man Antisemitismus vorwarf, war nicht aufzuhalten, zumal seine letzten Interviews auf eine schwere Krankheit schließen ließen. Strugnell trat im Jahr 1991 zurück, Emmanuel Tov wurde demokratisch gewählter Nachfolger. Er erweiterte den Herausgeberkreis auf vierzig Wissenschaftler.
Im Juni 1993 erfolgte endlich von autorisierter Seite eine Erstveröffentlichung des gesamten Materials aus Qumran durch das (israelische) Amt für Altertümer.7 Dies ist der vorläufige Schlußpunkt. Die Qumran-Forschung kann sich erneut an die Arbeit machen.
Für Nicht-Eingeweihte sei kurz nachgeholt, daß die Fundorte — Höhlen durchgezählt werden von 1-11 und die gefundenen Rollen jeweils mit einem Siglum dahinter bezeichnet sind:
1 Q S bedeutet, es handelt sich bei der gefundenen bzw. zitierten Rolle um die „Sekten-Regel“ (serek hajachad), die Regel der Gemeinschaft.
Fundort ist die erste Höhle. Mehrere Fragmente dieses „Manual of Discipline“ sind auch aus Höhle vier und fünf geborgen worden, entsprechend sind dann die Siglen 4 Q S etc. 5 Q 11, 5 Q 13.
Die sieben bedeutendsten Schriftrollen sind 1 Q Jsaa, die Handschrift A der Jesajarolle A,1 Q S,1 Q Jsab, die Hymnenrolle (1 Q H). Das Zeichen H steht für hebr. Hodajot, nhbr. Hymnen,1 Q pHab, das Zeichen „p“ steht für Pescher, ein hebr. Fachausdruck für ein Verfahren, die bibl. Schrift des Propheten Habakuk zu kommentieren bzw. zu aktualisieren, was eben in einem Pescher, MZ Pescharim, geschehen ist. Neben dem Pescher Habakuk gibt es z. B. auch den Pescher Nahum. Die Kriegsrolle, 1 Q M (M = hebr. milchama/Krieg) ; in ihr ist der endzeitliche Kampf der Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis verzeichnet, 1 QapGen, eine apokryphe Genesis-Schrift. Um halbwegs vollständig zu sein, seien noch die beiden Schriftrollen CD (Damaskus-Schrift, aus der Kairoer Geniza, daher „C“) und 11 Q Templea angeführt; die letztgenannte Rolle wurde erst gegen Ende 1977 als „Tempelrolle“ veröffentlicht von Y. Yadin. Der deutsche Judaist Johann Maier (Universität Köln) hat 1978 (21992) diese „Tempelrolle vom Toten Meer“ (UTB 829) übersetzt und erläutert. Die Damaskus-Schrift ist schon seit 1896 bekannt, als Salomon Schechter8 in einer Kairoer Geniza (Verwahrungsort von nicht mehr benutzten Schriftrollen) zahlreiche Dokumente fand, darunter auch die Damaskus-Schrift.
Zwar war das ein mehrmals abgeschriebener „Textzeuge“ (10. Jh. n. Chr.), doch fanden sich auch Textzeugen — was bei allen Schriftrollen der Fall ist — der nicht mehr vorhandenen Urschrift (Original) auch in Qumran 5 Q D (5 Q 12) und 6 Q D (6 Q 15). Eine weitgehend erhaltene Schriftrolle aus Höhle 11 bietet Teile des Psalters (11 Q Psa).
Der Messias des Himmels und der Erde
Bei dem von Fachleuten ebenfalls vielgescholtenen Buch von Robert Eisenman und Michael Wise „Jesus und die Urchristen“, Die Qumran-Rollen entschlüsselt, München 1993, ist im Klappentext verzeichnet: „Wer wissen will, was im Jahrhundert vor und nach Christi Geburt in Palästina wirklich geschah, sollte nicht die Evangelien lesen, sondern die Qumran-Rollen“ (R. Eisenman). Auf diesen Hinweis und seine Implikationen möchte ich mich hier nicht einlassen. Wohl aber hilft es, sich an den beiden zu orientieren. Dazu haben sie, trotz allem, was man gegen sie mit Recht vorbringt, die Möglichkeit gegeben. Sie verhandeln auf 25 ff. ihres Buches den Fund eines Fragments aus der Höhle 4 (4 Q 521),9 das sie — miserabel zwar, aber immerhin — auch auf einem Foto bieten, s. d. Tafel 1, Der Messias des Himmels und der Erde. Hilfreich ist nun, daß die Autoren eine Transliteration (Umschrift) in geläufige hebräische Quadratschrift vornehmen (27 ff.).
Der Text des Fragments ist in der Schriftart der „heiligen Schrift“ der Bibel, also in hebräisch gefaßt. Er könnte auch, wie häufig bei den Qumran-Funden, in aramäisch gefaßt sein.
Nun kann die Übersetzung folgen, die Eisenman und Wise auch sofort nachschieben. Soweit ich selbst mir ein rechtes Urteil über die Übersetzung bilden konnte, liegt der „Knackpunkt“ beim sprichwörtlichen Jota (hebr. jod/jud), von dem wir schon aus dem NT wissen, daß es ein wichtiges „Häkchen“ ist, vgl. Mt 5,18.
Die Übersetzung von Eisenman/Wise bietet „Himmel und Erde werden seinem Messias gehorchen . . .“
Dies ist zunächst „textgemäß“. Da steht Messias, hebr. Gesalbter. Das Suffix ist eindeutig singularisch, sofern ich das Foto auf Tafel 1 bei Eisenman/Wise beiziehe — und das ist nun einmal das „Original“ für eine Übersetzung. Die Übersetzung muß freilich auch, worauf H. Stegemann10 aufmerksam macht in seinem Buch (z. St.) 50, die zweite Fügung im Parallelismus (membrorum) oder auch das zweite „Glied“ einer „Fuge“ berücksichtigen. Sinngemäß ist in der ersten Fügung das gleiche gesagt, wie in der zweiten Fügung, bzw. kann es aufgefüllt werden (synthetischer Parallelismus). Das zweite Glied hat aber „und alles, was darinnen ist (sc. im Himmel und auf der Erde), darf niemals von den Geboten der Heiligen abweichen“. So jedenfalls übersetzt H. Stegemann. Eisenman/Wise schneiden den zweiten Parallelismus-Teil auseinander und übersetzen: „Er (= der Messias) wird sich nicht abwenden von den Geboten der Heiligen.“
Für diese Zäsur und die Verdrehung der Aussage hat Stegemann nur die Beurteilung „Textverdrehung“, „philologisch unverantwortlich“ übrig (a. a. 0., 50).
Stegemann versetzt uns in die Lage, die Begriffe „Gottes Gesalbte“ (Plural!) mit „Gebote der Heiligen“ in Beziehung zu setzen, so daß die Gesalbten (Plural!) „nichts anderes als die biblischen Propheten“ seien (wie, gemäß Stegemann, diese biblischen Propheten mehrfach in den Qumran-Schriften bezeichnet werden).
Die Gebote sind gemäß Stegemann die fünf Bücher des Mose, die Tora. „In einer Doppelaussage . . . werden in diesem Text die beiden Teile des damaligen biblischen Kanons, die Tora und die Prophetenbücher, als Orientierungsgrundlage für den Gehorsam Gott gegenüber genannt“ (50).
Was lernen wir daraus?
Eisenman und Wise suchten und fanden einen Messias. Die unbestreitbare Tatsache, daß im Foto/Urtext Gesalbter im Singular steht, kann auch Stegemann nicht leugnen. Doch verbucht er m. E. zwei Pluspunkte. Messias ist nicht schon immer jene Heilsgestalt, die, je näher man in die frühjüdische Epoche herankommt, durch einen Hoheitstitel qualifiziert ist. Ob ich Messias, näherhin „sein Gesalbter“ lese, hängt wesentlich vom Alter und der entwickelten Terminologie ab, die ich auf dem Fragment (!) finde. Es ist nur ein Fetzen . . . (Fragment). Wer ordnet es richtig ein?!
Stegemann hat die philologisch bessere Leseweise und stützt die Gesalbte(n)-Terminologie mit vergleichbaren Termini der übrigen Qumran-Funde ab (s. bei K. Berger, etwa 101 CD 5, 21-6,1 „die Gebote Gottes, die er durch Mose und durch die heiligen Gesalbten gegeben hatte“) vgl. auch M. Krupp11 (s. u., Qumran-Texte, a. a. 0., 83). Wir möchten ihm vielleicht lieber folgen, obwohl er einen Plural lesen muß, wo im Schriftbild ein Singular steht. Bei Klaus Berger (99 u. 101) sehe ich, daß er auch den Singular liest und somit an der Übersetzung festhält „Himmel und Erde werden seinem Messias gehorchen . . .“
Bei Berger ist übrigens dieses Fragment 4 Q 521 (Frgm. 1, Kol 2) zu den Belegstellen gerechnet, die einen Messias als Heilsgestalt, also i. S. eines Hoheitstitels in Qumran belegen.
Wie zerstritten die Wissenschaftler sind, zeigt eine „Lesefrucht“, die hier zuletzt angeführt werden soll.
Bei Michael Krupp „Qumran-Texte“ finde ich, daß er zu einer „Gesalbten“-Stelle in der Damaskus-Schrift II, 12 in einer Fußnote (!) 83 A 158 bemerkt, „Gemeint sind die Propheten. Im Text steht der Singular. Der Unterschied zwischen Singular und Plural liegt in der Wahl der hebräischen Buchstaben Waw und Jud, die in Qumran meist nicht zu unterscheiden sind. Wahrscheinlich stand in der Originalhandschrift ein Jud (Plural), von den Abschreibern im achten oder neunten Jahrhundert (nach Christi Geburt. A. R.) als Waw (Singular) gelesen, weil das Wort Gesalbter, meschiach (maschiach A. R.) von ihnen als Messias, den die Abschreiber sich nur als Singular vorstellen konnten, verstanden wurde.“ Die Rede ist bei Krupp zwar von der Damaskus-Schrift (CD), das Phänomen ist aber analog zu den Übersetzungsproblemen von 4 Q 521. Weil sie es sich nicht anders vorstellen konnten . . .
Gewiß, bei der CD handelt es sich um Kopisten des achten oder neunten Jahrhunderts; im ausgehenden Altertum und Frühmittelalter war auch im Judentum die singularische Verwendung von Maschiach allgemeingültig. Schon seit, wie ich meine, Bar Kochba (erste Hälfte des 2. Jh. n. Chr.).
Neue ermöglichte Zugänge
Dem interessierten Laien ist unter den gegebenen Umständen das Taschenbuch von M. Krupp der in dieser Hinsicht bestmögliche Zugang bzw. die Übersetzungshilfe. Ein Taschenbuch kann keine Faksimile-Ausgabe sein. Trotzdem sind die sorgfältigen Einleitungen zu den Qumran-Schriften, ihre Texte, soweit sie bei Krupp erfaßt sind, hilfreich. Krupp bietet folgende teilweise von ihm neu übersetzte Qumran-Grund- und Hauptschriften: Gemeinderegel, Die Gemeinderegel am Ende der Tage (1 QSa), Kriegsrolle (Auszug), Tempelrolle (Auszug), Psalmenrolle (11 QPsa), daraus Ps 151 (apokryph). Hymnenrolle (Auszug), Widmung an König Jonatan (4 Q 448), Genesisapokryphon (1 QapGen), Habakuk-Kommentar (Auszug).
Im zweiten Teil seiner Textsammlung zieht Krupp eine thematische Verhandlung vor. Unter der Überschrift „Der Messias und die Endzeit“ wertet er die beiden Anhänge zur Gemeinderegel 1 QSa und 1 QSb aus: Das Mahl des Messias 1 QSa II 11-22 (er wird erst noch geboren!): Brot und Wein sind gesegnete Speise für den Rat der Gemeinde.
Nach den Segenssprüchen (aus der zweiten Gemeinderegel) über die Gläubigen, den Hohenpriester und die Priester folgt zum Schluß der Spruch über den nesi‘ha'eda, den Fürsten der Gemeinde, der — nach Meinung von Krupp — wohl mit dem Messias identisch ist (107).
„Messias-Texte“ sind auch 4 Qpatr und Testimonia, eine Zusammenstelung von Bibelstellen (4 Q test, 4 Q 175). Krupp kann sich den Hinweis leisten zu sagen, daß die in den Testimonia verhandelten Stellen „keine primäre Rolle (spielen) für die Beweisführung der Messianität Jesu im neuen Testament“ (110).
Eine aramäische Daniel-Apokalypse (4 Q 246) und die von mir verhandelte messianische Apokalypse (4 Q 521 s. oben) schließen sich an. Krupp übersetzt, im Gegensatz zu H. Stegemann: „Himmel und Erde gehorchen seinem Messias (. . .) was in ihnen ist. Er weicht nicht von den geboten der Heiligen. Strengt euch an, ihr, die ihr den Herrn sucht, ihn zu verehren“ (Abschnitt). In der Anm. 259 (115) erklärt Krupp über diesen Messias: „Hier ist an eine metaphysische Messiasgestalt gedacht, ähnlich wie die im Danielbuch und im Neuen Testament.“ Das Messias-Kapitel bei Krupp schließt mit 4 Q 285 (serek ha milchama), einem Fragnent über den tötenden oder getöteten (!) Fürst der Gemeinde.
Jaß wir hier „Sprengstoff“ für Enthüllungsliteratur (Eisenman) haben, brauche ich wohl nicht mehr eigens zu sagen.
So verweist denn auch Krupp (116) auf Eisenman, Jesus und die Urchristen (30 ff.).
Der zweite thematische Block bei Krupp beinhaltet „Das Gesetz von Qumran“ (119-131). Die Belegbeispiele kommen aus Fragmenten der Höhle 4, der Gemeinderegel 1 QSa und CD (Damaskus-Schrift). Ein kurzer Abschnitt „Weitere Geheimnisse der Schriftrollen“, 1 Q 27 „Buch der Geheimnisse“), der Sonnenkalender von Qumran und die Frage, ob ein griechischer Markustext in Qumran aufgefunden wurde, beschließt zusammen mit einem Nachwort (Epilog) das verdienstvolle Buch von M. Krupp.
Aus dem Epilog seien drei Sätze zitiert:
„Das Christentum ist also in den Qumranschriften nicht im Blick. Die christliche Wahrheit ist nicht angegriffen. Qumran hat aber eine ganz andere Bedeutung für das Christentum“ (143).
- ASOR = American School of Oriental Research, Ost-Jerusalem.
- Joseph A. Fitzmyer, Qumran: Die Antwort. Verlag Kath. Bibelwerk, Stuttgart 1993.
- Sukenik ist abgebildet in M. Baigent/R. Leigh, Verschlußsache, a. a. O. 146.
- Yadin hat die „Tempelrolle“, die seit 1960 bekannt war, 1967 im Haus eines Antiquitätenhändlers in Betlehem beschlagnahmt; gegen eine Bezahlung von über 100.000 Dollar ging die Rolle dann in israelischen Besitz über.
- Erzbischof Samuel hatte die ASOR (Amerikaner) seine Rollen fotografieren lassen.
- Die Huntington-Bibliothek im kalifornischen San Marino durfte 1980 für den Fall einer (Kriegs-)Katastrophe und der Zerstörung der Originale mit Erlaubnis der israelischen Behörden einen Film herstellen; weitere Kopien gingen an das Bibel-Manuskript-Zentrum im kalifornischen Claremont, an das Qumran-Zentrum in Oxford und an das Hebrew Union College in Cincinnati. Alle erhielten die Filme „nur zur Aufbewahrung, nicht zur Nutzung“. Im Namen der Wissenschaftsfreiheit öffnete die Huntington-Bibliothek am 22. Sept. 1991 allen interessierten Forschern den Weg zu den Fotografien; das israelische Department of Antiquities gab am 27. Okt. 1991 seinen Verzicht auf Gegenmaßnahmen bekannt. Am 19. Nov. 1991 kam eine zweibändige Faksimile-Ausgabe heraus. Als Herausgeber zeichneten R. Eisenman/J. Robinson.
- E. Tov, The Dead Sea Scrolls on Microfiche, A Comprehensive Facsimile Edition of the Texts from the Judean Desert. Leiden 1993.
- Sein Bild findet sich bei M. Baigent/R. Leigh, a. a. O. hinter 144.
- Vgl. K. Berger, Qumran und Jesus, Wahrheit unter Verschluß? Stuttgart 1993, 99 ff. (61994).
- H. Stegemann, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus. Freiburg 1993.
- M. Krupp, Qumran-Texte, Zum Streit um Jesus und das Urchristentum. Gütersloh 1993.
Weitere verwendete Literatur:
J. Betz/R. Riesner, Jesus, Qumran und der Vatikan, Klarstellungen. Gießen/Freiburg 1993 (41993).
F. G. Martínez, The Dead Sea Scrolls Translated. The Qumran Texts in English. Leiden 1994.
Jahrgang 2/1995 Seite 108
Der Herr segne dich mit allem Guten, er bewahre dich vor allem Bösen, er erleuchte dein Herz mit der Einsicht, die zum Leben führt, er begnade dich mit ewiger Erkenntnis und erhebe sein huldvolles Angesicht für dich zum ewigen Frieden. Segenstext aus Qumran |