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Bertold Klappert

Ergänzung der Grundordnung der Evangelischen Kirche des Rheinlandes

Bei der kommenden Landessynode in diesem Jahr steht eine Ergänzung der Grundordnung der Rheinischen Landeskirche zur Diskussion. Die Ergänzung bezieht sich auf den Synodalbeschluß „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“ vom 11. Januar 1980 (vgl. Rendtorff/Henrix, Die Kirchen und das Judentum, 593-596). Sie besteht in einem Doppelsatz: „Sie (die Kirche) bezeugt die Treue Gottes, der an der Erwählung seines Volkes Israel festhält. Mit Israel hofft sie auf einen neuen Himmel und eine neue Erde.“
Zu dieser Ergänzung schreibt Bertold Klappert u. a. folgendes:

Der Rheinische Synodalbeschluß vertritt weder eine Ein-Bund-Theologie, noch ist er — angesichts der Weite der in ihm angesprochenen Themen — auf das Thema des „Neuen Bundes“ zu reduzieren. Der Rheinische Synodalbeschluß spricht in einer Breite und Weite der Themen von der gemeinsamen Bibel; er spricht christologisch vom Messias Israels, unserem auferstandenen und gekreuzigten Herrn; er redet von der Erwählung Israels und der Kirche; er bekennt die Hineinnahme der Kirche in den ungekündigten Bund Gottes mit seinem Volk Israel; er bekennt von Christus her die Bedeutung der Weisungen der Tora für Juden und Christen als Anspruch auf unser ganzes Leben; er vollzieht eine Absage an das heidenchristliche Programm der Judenmission, betont aber zugleich, daß Israel und die Kirche gemeinsame Zeugen Gottes vor der Welt und voreinander sind; er nennt als das mit den Juden Gemeinsame das Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer, den aaronitischen Segen und die gemeinsame messianische Hoffnung (Rh Sy B 4,2-8) . . .

Nach Luther vergewissern sich die Kirche und die Glaubenden der Treue Gottes in der Erwählung Gottes in Christus, denn Gott kann nicht lügen (De servo arbitrio, Genesisvorlesung). Darin stimmt auch Calvin mit Luther zu Recht überein (Institutio III, 20 ff.). Die präzisierende Ergänzung des Grundartikels I möchte aber über die Reformation hinaus mit Paulus festhalten, daß diese Erwählungstreue Gottes in Christus von der Gemeinde und den Glaubenden nicht gewiß festgehalten und in Gewißheit (certitudo) bekannt werden kann, wenn sie sich nicht fundiert weiß in der Treue des Gottes Israels, der an der zuvor geschehenen Erwählung seines Volkes Israel festhält und festhalten wird (Röm 9-11). Der Satz von der Treue Gottes verschweigt deshalb weder das „in Christus der Erwählung“, noch spricht er von „einem Sonderweg“ für Israel „außerhalb von Christus“ (130). Vielmehr will die Präzisierung des Grundartikels besagen: Wer sich zu Jesus Christus bekennt, der bekennt sich damit von Jesus Christus her zur Treue des Gottes, der an der Erwählung seines Volkes festhält. Die Kirche in ihrer Erwählungsgewißheit in Christus weiß sich in der Treue des Gottes Israels begründet, der an der Erwählung seines Volkes Israel festhält und auch in Zukunft festhalten wird (Röm 15,7 ff.) . . .

Der präzisierende Ergänzungssatz des Grundartikels I will nur das mit dem Judentum grundlegend Gemeinsame, z. B. die mit dem Judentum gemeinsame Hoffnung auf das Kommen des Reiches Gottes, in welchem Gott Einer sein wird (Sach 14,9; 1 Kor 15,28; Alenu-Gebet) betonen oder auf das mit dem rabbinischen Judentum gemeinsame Bekenntnis zur Auferweckung der Toten (Apg 28,20; 23,6; 24,15; 26,6) abheben: Denn wenn die Toten nicht auferstehen werden, ist auch Christus nicht auferstanden (1 Kor 15,13). Die Präzisierung des Grundartikels will also festhalten, daß gerade von der Hoffnung auf die messianische Wiederkunft Jesu Christi her die Glaubenden mit dem Judentum zusammen auf einen neuen Himmel und eine neue Erde hoffen, in welchen Gerechtigkeit wohnt (Dietrich Bonhoeffer).

So wie von Jesus Christus her die Gemeinsamkeit mit dem Judentum im Bekenntnis zum Schöpfer und im aaronitischen Segen nicht verneint werden kann (Rh Sy B 4,8), so kann von der erhofften Parusie Jesu Christi her auch die Gemeinsamkeit (nicht Identität!) mit dem Judentum in der messianischen Hoffnung nicht bestritten und letztere nicht — wie bei den Reformatoren — als „jüdischer Wahn“ (judaica vanitas) abgetan werden. So warten, wie Hans Walter Wolff in seiner Bibelarbeit auf der Landessynode 1980 ausgeführt hat, „Juden und Christen gleichermaßen“ auf die Erfüllung der Verheißung von Jer 31: „Sie werden mich alle erkennen.“ Wenn wir „Jesus Christus als die Hoffnung der Welt“ bekennen, so haben wir nach K. Barth „zuerst von dem Volk zu reden, das sich in seiner Hoffnung auf denselben Gegenstand gründet, der auch der Grund unserer Hoffnung ist, nämlich auf das Kommen des Messias . . . Israel ist das Volk der Hoffnung“ (Evanston 1954) . . .

Röm 9-11 wird im Rheinischen Synodalbeschluß in Aufnahme von biblisch-exegetischen Entdeckungen während der Zeit des Kirchenkampfes (Rh Sy B 2,2) als Test für ein richtiges Verständnis der Rechtfertigung der Gottlosen verstanden. Die recht verstandene Rechtfertigung der Gottlosen (iustificatio impii) beseitigt nicht die Erwählung Israels, vielmehr ist sie in dieser begründet. Es geht also um die Verankerung der paulinisch-reformatorischen Rechtfertigungslehre in der Lehre von der bleibenden Treue Gottes gegenüber seinem Volk Israel (Georg Eichholz). Die Rechtfertigung der Gottlosen, die Gott sola gratia annimmt, gründet in der Erwählung des Volkes Israel, dem Gott treu bleibt. Reformatorische Heilsgewißheit gibt es nicht ohne die Treue Gottes zur Israelerwählung (B. Klappert: Erwählung und Rechtfertigung, in: H. Kremers [Hg.], Die Juden und Martin Luther, 1985, 368 ff.). Die Erwählungsgewißheit der Christinnen und Christen (Röm 8,29 f.) und die Unverbrüchlichkeit der Erwählung des jüdischen Volkes (Röm 11,1; 11,29) gehören für Paulus zusammen . . .

Barth und Bonhoeffer haben seit 1933 gefragt, inwiefern von Jesus Christus, dem Juden, als dem einen Wort Gottes her die Verfolgungsgeschichte des Judentums und der Judenchristen während der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft ein deutliches und bedrängendes Zeichen der Zeit für die Kirche sei, das die geschichtstheologisch interessierte, deutsch-christlich orientierte Zeitgenossenschaft nicht zu sehen in der Lage war. Entsprechend hat Barth nach der Schoa 1962 gesagt: Die Antwort an Friedrich den Großen auf dessen Frage nach einem Zeichen für die Existenz Gottes: „Majestät, die Juden“, sei richtig, müsse aber darüber hinaus nach Auschwitz heute lauten: „Majestät, der Staat Israel“. Entsprechend stand auch die Bejahung des Antirassismusprogramm-Sonderfonds (PCR) des Weltrates der Kirchen vor der theologischen Frage nach möglichen Zeichen der Befreiungsgeschichte Gottes heute. Zwischen der verhängnisvollen Geschichtstheologie damals, vertreten durch die Theologen Althaus, Elert u. a. und der Frage nach dem Zeichen der Verheißungstreue Gottes gegenüber seinem erwählten Volk Israel bis heute hat Barth mit Barmen Art. I genau unterschieden und muß auch mit dem Rheinischen Synodalbeschluß heute theologisch genau unterschieden werden (vgl. B. Klappert, „Zeichen der Treue Gottes“, in: Umkehr und Erneuerung. Erläuterungen zum Synodalbeschluß der Rheinischen Landessynode 1980, 73 ff.) . . .

Mit Israel — nicht aber mit den Muslimen — hat die Kirche als gemeinsame Grundlage die Tora, die Propheten und die Schriften (Lk 24,27), anhand derer sich der auferweckte Christus seinen Jüngern und Jüngerinnen auslegt (Rh Sy B 4,2). Darüber hinaus empfängt die Kirche nicht nur das Jude-Sein Jesu von dem Judentum, sondern sie teilt auch mit dem Judenturn die der Erde treubleibende tätige Hoffnung (Dietrich Bonhoeffer 1932) auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnen werde (Jes 65,17; Offb 21,2). Die wurzelhafte Verbundenheit der Kirche mit Israel (Röm 11,17) macht damit den Dialog der Kirche mit dem Judentum zur Voraussetzung und zum Fundament des heute in der Tat nötigen Dialogs mit den Muslimen (Karl Barth 1967). Deshalb kann eine Verwischung des Unterschiedes dieses zweifachen, heute nötigen Dialogs nicht in Frage kommen . . .

Deshalb hat die Lutherische Europäische Kommission „Kirche und Judentum“ (LEKKJ) auf ihrer letzten Tagung in Driebergen, Niederlande, am 8. Mai 1990 in ihrer Erklärung zur Begegnung zwischen lutherischen Christen und Juden folgendes gesagt: „Weil Jesus aus dem jüdischen Volk kommt und sich von ihm nicht losgesagt hat und weil das Alte Testament die Bibel Jesu und der Urkirche war, sind Christen durch ihr Bekenntnis zu Jesus Christus in ein einzigartiges Verhältnis zu Juden und ihrem Glauben gebracht, das sich vom Verhältnis zu anderen Religionen unterscheidet“ (in: Kirche und Israel 2/1990, 177).

Die Erklärungen der lutherischen Ökumene zur Erneuerung des Verhältnisses der Christen zu den Juden bis 1994 sind längst über die vom Verfasser verteidigte Position der zweiten Hälfte des 16. und des 17. Jahrhunderts, des Streites also zwischen reformierten und lutherischen Theologen über die Föderaltheologie hinausgegangen . . .

Die EKD-Studie II der Evangelischen Kirche in Deutschland vom Jahre 1991 hat sich inzwischen die Erkenntnisse des Rheinischen Synodalbekenntnisses im wesentlichen zu eigen gemacht. Des Verfassers Verweis am Schluß auf Martin Luthers Satz: „Sogar Concilien können irren“ (137) ist deshalb fahrlässig, weil seit dem Barmen-Gedenken von 1984 immer wieder die Schuld der fehlenden These VII in der Barmer Theologischen Erklärung (E. Bethge), das Schweigen von Barmen 1934 zur Schuld und Mitverantwortung der Kirche gegenüber der Judenpolitik und Judenvernichtung des Dritten Reiches bekannt worden ist. Der Rheinische Synodalbeschluß holte im Jahre 1980 — von Barmen Art. I her — die schmerzlich vermißte These von Barmen VII lediglich nach — 45 Jahre später, vielleicht doch noch nicht zu spät!


Jahrgang 2/1995 Seite 119



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