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Boschki, Reinhold

Der Schrei

Gott und Mensch im Werk von Elie Wiesel. Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1994. 260 Seiten.

Mit Recht weist Reinhold Boschki darauf hin, daß das Werk Elie Wiesels im deutschen Sprachraum noch nicht gebührend dargelegt und verarbeitet wurde. Ihm ist nun mit seinem Buch „Der Schrei“ eine solche Darstellung in wahrlich exzellenter Weise gelungen. Und Elie Wiesel selbst zollt der Arbeit Boschkis Respekt, wenn er am Beginn dieses Buches anstelle eines Vorwortes schreibt: „Ich habe dank Ihnen, dank Ihres Engagements für die Verfolgten und Benachteiligten und vor allem dank Ihrer Leidenschaft für die würdigste Sache der Welt, die der Erinnerung, Vertrauen in die deutsche Jugend.“ Boschki hat es tatsächlich in faszinierender Weise geschafft, die Romane und Dramen, die Essays und die biblisch-chassidischen Schriften Wiesels darzustellen, zu deuten und in den Gesamtzusammenhang von Reden und Schreiben nach der Schoa zu stellen. Boschki geht es dabei nicht allein um eine Würdigung des Wieselschen Werkes, ihm geht es auch und zuerst um die Frage: „Auf welche Weise ist es möglich, verantwortet über die Massenvernichtung der Juden und anderer Gruppen von Menschen im Nationalsozialismus zu sprechen, ohne die Opfer zu verzwecken und ohne sie totzuschweigen?“ In dieser „Sprachsuche angesichts von Auschwitz“ entdeckt er Elie Wiesel als zentralen Wegweiser, denn: „Wie kaum ein anderer hat sich Elie Wiesel der Erinnerung an die Massenvernichtung verschrieben; wie kein anderer stellt er die Frage nach Gott und an Gott ebenso wie die Frage nach dem Menschen angesichts von Auschwitz. Sein Gesamtwerk ist ein Dokument des Eingedenkens. Es birgt den Schrei der Opfer, den unsäglichen Schrei, der keinen Adressaten hat und doch bei Wiesel immer als Schrei zum Menschen und als Schrei zu Gott verstanden wird. Sein Zeugnis als der in Sprache, in Literatur, zum Ausdruck gebrachte Schrei wird für christliche Theologie Anstoß zur eigenen Sprachsuche. Die Rede von Gott und vom Menschen, so Elie Wiesel, kann nicht so bleiben, wie sie vorher war.“ Die letzten Seiten sind daher auch ganz gezielt den Konsequenzen für das Christentum und der christlichen Theologie, die sich nach der Analyse der Texte Elie Wiesels ergeben, gewidmet. Die bisherigen Versuche der Erneuerung einer christlichen Theologie nach Auschwitz und die Initiativen eines verstärkten jüdisch-christlichen Dialogs werden dabei gewürdigt, unter anderem auch die Arbeit von Gertrud Luckner und dem „Freiburger Rundbrief“. Weitere Konsequenzen, weitere Schritte müssen jedoch folgen. „Der christlich-jüdische Dialog“, schreibt Boschki, „ist keine randständige Spielerei einer Kirche, die mit den verschiedenen Kulturen und Religionen in dieser Welt zusammenleben will und muß. Er ist eindringliche Notwendigkeit für Christen, die nach Auschwitz ihre eigene Tradition befragen und nach Gründen für das Geschehen suchen. Gegenseitige Kenntnis und Achtung, wie es das Zweite Vatikanum fordert, sind erst der Anfang (von dem selbst heute noch viele Christen weit entfernt sind). Dialog, Freundschaft und gemeinsame Arbeit gegen die Feinde der Menschlichkeit sind der Weg zum Ziel Gottes.“ Die Analyse und Vertiefung in das Werk Elie Wiesels ist dafür äußerst hilfreich. Es ist Boschki zu danken, daß er mit seinem Buch „Der Schrei“ diese Analyse und Vertiefung geleistet hat. Es ist zu hoffen, daß er — wie in so manchen seiner Anmerkungen angekündigt — sehr bald weitere Bücher zum Verständnis Elie Wiesels und seiner Texte veröffentlichen wird.

Herbert Winklehner


Jahrgang 2/1995 Seite 125


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