Zwanzig Geschichten vom Tod. Picus-Verlag, Wien 1994. 211 Seiten.
Geschichten vom Tod. Wovon kann man denn sonst schreiben?, so fragt einer aus diesen zwanzig Geschichten. In der Tat, wovon sonst? Ivan Ivanji bestätigt das auf so sanfte und oft heitere, jedenfalls gelassene Weise, daß ihm, dem Großen Bruder des Schlafes, jeder Schrecken genommen ist, wenigstens für einen selber, da er ja zum Leben gehört wie die Geburt. Der Tod der anderen ist nicht so leicht anzunehmen, auch nicht der eines geliebten Hundes. Ivanji steht jedoch trotzdem in krassem Gegensatz zu Elias Canetti, für den der Tod das Skandalon par excellence war. Skandalon vielleicht, jedoch unausweichlich und oft — nicht immer — gut, genau wie manche Geburt nicht immer gut ist, manchmal sogar zum skandalösen Leben führt und auch unausweichlich ist. Beide, Ivan Ivanji und Canetti, sind Juden und stammen aus dem Balkan. Der eine hat den Tod hunderte von Malen in nächster Nähe erlebt unter ständiger eigener Bedrohung im KZ und in den Partisanenkämpfen, der andere hat in physischer Sicherheit darüber nachgedacht.
Ivanji erzählt aus dem KZ, leicht, ohne Sentimentalität, aber auch ganz gewiß nicht oberflächlich, bloß menschlich; schließlich war er ja selber im KZ, wo auch seine Eltern umgekommen sind, denn er hat „sich die Nasen seiner Eltern nicht genau genug ausgewählt“. Nach seiner Befreiung aus dem KZ war er bei den Partisanen und wurde Übersetzer und Diplomat unter Tito. Er kennt die Welt, oben und unten. Was er nicht kennt, ist die Verfassung des Folterers und Mörders. Er versucht, sich in einer seiner Geschichten da hineinzudenken. Aber es bleibt beim Versuch, weil es ein großer Unterschied ist, ob man stirbt oder tötet. In der Geschichte „Ein deutscher Arzt“ wird man an die Untersuchungen Tzvetan Todorovs über die Einstellung der Täter zu ihren Schreckenstaten erinnert. Sie bleibt nicht nachvollziehbar.
Die Geschichten spielen nicht nur in der Nazizeit, sondern auch heute. Gestorben und gemordet wird immer.
Die Form ist knapp, der Duktus das mündliche Erzählen, das einen nicht losläßt, bis der Erzähler zum Ende seiner Geschichte kommt und dann, das ist ja gerade der Reiz des lebendigen Erzählens, dann beginnt man, noch völlig im Bann des Gehörten/Gelesenen, nachzusinnen und zuzustimmen. Solche Erzähler gibt es in der Heimat (Jugoslawien) Ivan Ivanjis und in ganz Osteuropa viele. Doch kommt sein Kunstverstand dazu, hat er doch Germanistik und Architektur studiert und viele moderne Autoren von Borchert über Böll zu Max Frisch übersetzt. Sein Erzählstil ist beileibe nicht „abgeguckt“, sondern ein sehr eigener und es läßt sich dankbar erahnen, wieviel Feilen notwendig ist, um so einfach, packend und berührend ohne Pathos vom einmaligen, schönen und würdigen Leben, oft von der Liebe zu sprechen. Der Tod erscheint nicht als Feind und Räuber, vielmehr als ein wesentlicher Bestandteil des Lebens, eben „die andere Seite der Ewigkeit“.
Es tut gut, diese Geschichten vom Tod zu lesen in unserer Zeit, die ihn so angestrengt und bemüht aus dem Leben verdrängen möchte und nur Angst vor dem Unvermeidlichen bewirkt. Die Stunden nach der Lektüre sind von eigenartiger Heiterkeit und Gelassenheit durchwebt.
Eva Auf der Maur
Jahrgang 2/1995 Seite 131