R. Piper Verlag, München 1994. 286 Seiten.
Der christlich-jüdische Dialog erfordert auf beiden Seiten eine fundierte Kenntnis der Glaubensweisen, dabei ist es nicht genug, nur die Evangelien als Quelle des Christentums zu kennen, sondern auch die Entwicklung des Judentums nach Abschluß des Kanons der Hebräischen Bibel. Hans Küng, dem wir ein bedeutendes Buch über das Judentum verdanken, hat nun in seinem Sammelband „Große christliche Denker“ die Linie von Paulus bis in die jüngste Vergangenheit, Karl Barth, gezogen. Er hat damit eine Handreichung für den Dialog erstellt, die eine Lücke füllt. Küng, dem die Missio canonica von seiner katholischen Kirche entzogen wurde, lehrt heute am Institut für Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen, unterstützt von zahlreichen Mitarbeitern. In dem nun vorliegenden Buch kann man deutlich den Bruch im Christentum erkennen, das seine jüdischen Wurzeln mehr und mehr zugunsten der griechischen Wurzel vergessen hat. Küng eröffnet die Reihe großer christlicher Denker mit einer knappen Darstellung seiner eigenen Konzeption unter der Frage: Was ist Theologie? und gibt darin eine ökumenische Antwort, die über die einzelnen Konfessionen hinaus auf das Wesen des Christentums hinweist.
Das erste Kapitel ist Paulus gewidmet, der den Durchbruch des Christentums zur Weltreligion öffnete, während Jesus selbst eigentlich nur eine Erweckung lebendigen Glaubens an das nahe bevorstehende Reich Gottes in Israel anstrebte.
Küng sieht Paulus als die meist umstrittene Figur zwischen Christen und Juden. Er nimmt dabei auch auf jüdische Darstellungen, wie mein Paulus-Buch, Bezug und versucht, beiden Teilen gerecht zu werden. Während Paulus sich noch der jüdischen Wurzel voll bewußt war, geht dieses Wurzelbewußtsein bereits im 3. Jahrhundert bei Origines verloren, und anstelle dessen tritt die große Synthese aus antikem, hellenistischem Geist und christlichem Glauben. Die dem Judentum fremde dogmatische Vorstellung einer göttlichen Trinität im 4. Jahrhundert kündigt sich schon bei Origines an, der in seiner eigenen Kirche umstritten blieb. Die volle Übereinstimmung von Theologie und Kirche setzt erst bei Aurelius Augustinus ein, der der eigentliche Vater des westlich-lateinischen Christentums wurde.
Wir sehen also den Schritt vom Judentum über das griechische Denken zur lateinischen Theologie, die jahrhundertelang für den Westen dominierend blieb, und im scholastischen Mittelalter mit Thomas von Aquin ihren vornehmsten Repräsentanten fand.
Mit großer Objektivität, ja eigentlich voller Sympathie, schildert der Katholik Küng Gestalt und Werk des Reformators Martin Luther, der mit seiner Rückkehr zum Evangelium den großen Paradigmenwechsel in der Kirche darstellt.
Der Begriff Paradigma wird bei Küng im Sinne des jeweils herrschenden Zeitgeistes gebraucht. Er verschweigt dabei nicht Luthers Versagen in der sozialen Frage gegenüber den Bauern, aber auch gegenüber den Juden, die für den Reformator eine enttäuschte Hoffnung darstellten.
Luthers Leben kommt etwas zu kurz, so daß z. B. seine Ehe mit der ehemaligen Nonne Katharina von Bora keine Erwähnung findet. Einen gewaltigen Schritt stellt es dar, daß auf das Zeitalter der Reformation mit ihrer starken biblischen Rückbeziehung nun die Gestalt von Friedrich Schleiermacher folgt, dem herausragenden Theologen des 19. Jahrhunderts, der in seinem berühmten Buch „Über die Religion, Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ einen Markstein setzte. Schleiermacher selbst stammte aus Herrenhuther pietistischen Kreisen, wurde aber durch sein starkes philosophisches Engagement, vor allem durch Hegel, zu einer Konfrontation mit der Aufklärung getrieben und verstand es, als akademischer Lehrer einerseits und Prediger andererseits der Botschaft des Glaubens neue Aktualität abzugewinnen.
Er blieb nicht unumstritten, aber bei seiner Beisetzung zeigte es sich, daß er von Freunden und Gegnern als der bedeutende Wortführer seiner Epoche gewürdigt wurde, Tausende folgten seinem Sarg.
Der letzte und größte Teil des Buches ist dem Schweizer Reformierten Theologen Karl Barth gewidmet, der gleichsam der Antipode Schleiermachers war, jede natürliche Theologie radikal ablehnte und in seiner so umfangreichen „Kirchlichen Dogmatik“ noch einmal eine Summe der Theologie in unserem Jahrhundert zog. Der Katholik Küng schrieb seine Dissertation über seinen großen Reformierten Landsmann Karl Barth, der sich scharf gegen den Katholizismus absetzte und dessen theologische Grundlage der analogia entis, der Entsprechung des Seins, verwarf, und somit die Kluft zwischen Schöpfer und Geschöpf, die nur in der Zwei-Naturen-Lehre des Christus überbrückt werden kann, betonte.
Für Menschen außerhalb der Kirche eröffnet Küng tiefe Einblicke in ihr Wesen und Werden, wofür wir ihm zu danken haben.
Schalom Ben-Chorin
Jahrgang 2/1995 Seite 134