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Maaß, Hans

QumranTexte kontra Phantasien

Calwer Verlag, Stuttgart und Evangelischer Presseverband für Baden e.V., Karlsruhe 1994. 240 Seiten.

Das Buch des Karlsruher Oberkirchenrats Hans Maaß will eine Lücke schließen, die bisherige „seriöse Veröffentlichungen“ zum Gesamtzusammenhang der Schriften von Qumran (und auch das NT) mit dem alttestamentlichen und jüdischen Glauben gelassen haben (Einleitung). Selbstredend werden die „Verschlußsache Jesus“1 und „Jesus und die Urchristen“2 sowie B. Thiering3 in ihren unseriösen Thesen zurückgewiesen.

Der Vf. macht zunächst Ausführungen über die Topografie und die Geschichte Qumrans sowie die schon oft dargestellte Fund- und Grabungsgeschichte der Schriftrollen vom Toten Meer (15-40).

In einem zweiten Kapitel mustert Maaß die Angaben der antiken Autoren (Philo v. Alexandrien, Plinius, Flavius Josephus) unter Zuhilfenahme von R. Bergmaier, Die Esssener — Berichte des Flavius Josephus (1993). Maaß verweist auf „ungelöste Spannungen“ und Widersprüche zwischen der pazifistischen Art der Essener in den antiken Berichten und etwa der in Höhle 1 gefundenen militanten Kriegsrolle, aber auch z. B. der rigorosen Ethik der Gemeinderegel (1 QS). Freilich gibt es auch viel Übereinstimmung zwischen der Schilderung des Flavius Josephus (Buch 2, 119-160 des Bellum Judaicum) und dem Qumran-Schrifttum (49-53). Daß man mit dem Terminus ‘osei ha(t)tora (Baigent/Leigh a.a.O., 218 und Maaß 57 f.) der Selbstbezeichnung der Essener auf die Spur gekommen sei, bezweifle ich.

Hingegen macht es Sinn, mit K. Berger4 und Maaß nach einem „gemeinsamen Nenner“ zu suchen, der die etwa innerhalb von zwei Jahrhunderten verlaufene Geschichte der Essener bzw. von Qumran erklärt (59 f.).

Für die „Lobrede auf König Jonathan“ (4 Q 448) — ist es Alexander Jannai (103-76 v. Chr.), ist es sein Sohn Hyrkan II. und sind die Kittim (die Römer) im Spiel? — ist eine historische Plazierung, trotz „entstehungsgeschichtlicher Überlegungen“, nicht sicher zu gewinnen (62-65). Ebensowenig durch Zurechtlegungen der in der Tempelrolle (Kol 64) „für Verbrechen gegen das Volk“ belegten Kreuzigungsstrafe. Wenn der Pescher Nahum (4 Q 169) mit der Nennung des Demetrius (III.), den die Alexander Jannai feindlich gesinnten Pharisäer ins Land gerufen hatten, den zeitgeschichtlichen Bezug ermöglicht — nach Flavius Josephus (Ant. XIII, 14,1) hat Alexander 800 Pharisäer kreuzigen lassen —, dann setzt, wie Maaß richtig feststellt, der Pescher Nahum die Zeit der Römerherrschaft voraus und ist nach der Zeit des Alexander Jannai geschrieben; er stellt möglicherweise einen Entwicklungsprozeß im Qumran-Schrifttum bzw. der Gemeinschaft von promakkabäisch hin zu königskritisch dar (68-70).

In einer mehr Zwischenüberlegung kommt der Vf. auf die Apokalyptik und das apokalyptische Denken in Qumran zu sprechen. Es ist belegt u. a. in der Kriegsrolle (Belial contra Michael), in der Gemeinderegel bzw. Gemeinschaftsregel (Söhne des Lichts und Söhne der Finsternis, Ordnung für die ganze Gemeinde am Ende der Tage) und in der Damaskusschrift (Rest Israels). Die „Zeit der Heimsuchung“ und die Zeit des Heils und der Gerechtigkeit ist nicht die Gegenwart oder die nahe Zukunft (72-78).

Die Damaskus = Qumran-Hypothese, die auch von P. Lapide verfochten wird, erweitert um den Aufenthalt des Apostels Paulus in Qumran („Damaskus“), weist Maaß überzeugend zurück.

Das umfangreiche dritte Kapitel „Jesus und Qumran“ (87-149) gibt dem Vf. die Gelegenheit, mit den rationalistisch-fundamentalistischen Jesus-Vorstellungen alter und neuer Machart abzurechnen. Die berühmten „verborgenen Jahre“ vor dem öffentlichen Wirken Jesu hatten ja von jeher die Geister beschäftigt und auch auf B. Thiering den Reiz ausgeübt, durch Spekulationen Lücken aufzufüllen, die die ntl. Schriften gelassen hatten.

Ernsthafter ist dann doch, mit Antworten umzugehen auf die Frage, ob Jesus mit dem „Lehrer der Gerechtigkeit“ zusammenhinge oder eventuell der „Prototyp von Jesus“ im Lehrer der Gerechtigkeit zu finden sei (Dupont — Sommer), und es daher „ein kirchliches Interesse an der Unterdrückung unliebsamer Texte“ (100) gebe.

Maaß zeigt die Haltlosigkeit solcher von Baigent/Leigh geäußerten Thesen. Unsere Kenntnisse über den Herrenbruder Jakobus, der ebenfalls von den Enthüllungsliteraten eine Gleichsetzung mit dem „Lehrer der Gerechtigkeit“ angesonnen bekam und dazu noch den Konflikt mit Paulus, wobei Paulus der „Lügenmann“ aus den Qumran-Texten sei (104-108), sperren sich eindeutig, wie Maaß darlegt, auch gegen diese Thesen.

Die bleibenden, sich lohnenden Vergleichspunkte zwischen der Qumran-Gemeinde und der urchristlich-neutestamentlichen Gemeinde sind die Mahlzeit, die Reinheit, der Messias-Gottessohn und das Gottesreich. Im Vergleich zu K. Berger, H. Stegemann,5 O. Betz/R. Riesner6 und M. Krupp7 verfährt zwar Maaß thematisch wie die genannten Autoren, indem er Gemeinsames und Unterscheidendes zwischen Qumran und dem Urchristentum herausarbeitet, doch stellt Maaß umfangreich und konsequent Jesus und seine Anhänger in das Gesamt des damaligen Judentums und seiner Gruppierungen, wobei die Darstellung des religiösen Lebens in Qumran breit zum Zug kommt.

Parallelen zum Christentum sind nicht „Angriff auf Fundamente des (christlichen) Glaubens“ (109). Eher hat Maaß zu kämpfen mit dem, was die ntl. Exegese an spärlichen Auskünften bietet zum historischen Abendmahl Jesu und seiner Jünger (- ist es aus einer Sabbat-Feier oder aus der Seder-Feier herausgewachsen? 114).

Das Thema „Reinheit“ (116-122) ist in Qumran doch derart signifikant für diese Kommunität, daß im Christentum auch nicht die Spur dieser rituellen Observanzen zu finden ist, eher das Gegenteil davon, wenn Maaß ansprechend vermutet, die Qumran-Leute seien in den ntl. Begriffen „Pharisäer“ und „Schriftgelehrte“ (vgl. Mk 7) teilweise einbezogen (168). Dasselbe gilt von einer mutmaßlich „antiessenischen Parole“: „Wer gewaschen ist, . . . der ist ganz rein“ (122; Joh 13,10).

Wenn jüdische Reinigungsriten sowohl in Qumran als auch in der Christenheit ihren Niederschlag gefunden haben, dann wurden diese aber spezifisch ausgebildet, so daß am Ende denkbar große Unterschiede (vgl. die Bußtaufe des Johannes des Täufers und die einmalige christliche Taufe) bestehen (124).

Bei der Behandlung der „Messias-Vorstellungen“ z. Zt. Jesu ist es das unterschwellig christlich geformte Messias-Bild, demgegenüber Maaß mit Bezug auf F. Hahn (Christologische Hoheitstitel) eine „Fehlanzeige in der alten Jesusüberlieferung“ ins Feld führt. Das ist für kirchengläubige Christen eine zwar schmerzliche, aber wahre Einsicht. Maaß kann damit auch elegant das „unausrottbare Vorurteil (erledigen), die Juden hätten sich schuldig gemacht, indem sie Jesus nicht als ihren Messias anerkannten“ (127). Und daß der irdische Jesus um die Gefährlichkeit der umlaufenden Messias-Vorstellungen wußte und deshalb auf eine Selbstbezeichnung „Messias“ verzichtete, leuchtet mir von daher auch ein. Doch was besagt das im Hinblick darauf, daß Jesus seine Sendung „bilanzieren“ mußte? Vielleicht waren Jesus die umlaufenden Messias-Konzeptionen, eingeschlossen die „seiner“ Bibel, suspekt. Aber das rechtfertigt nun geradewegs, daß seine Anhänger die Heilsbedeutung Jesu später nicht anders als die eines „Messias“ proklamierten. Dies sollte man m. E. bei aller Beurteilung der Messias-Konzeptionen, auch der bis hin zu den drei Messiassen in der Qumran-Literatur, vorweg sagen bzw. im Auge behalten. Informativ bietet Maaß zwischentestamentliche Messiasvorstellungen und solche des talmudischen Judentums. Die Gesalbten in den Qumran-Schriften werden mit dem Hinweis eingeführt: „Israel hat viele Gesalbte“ (130).

Ernüchternd ist allerdings die von Maaß S. 133 aufgestellte Liste von Messias-Titeln in den Qumran-Schriften (unter Einbeziehung der neuesten bekannten Fragmente). „Ergebnis: Einige wenige Qumran-Texte enthalten Spuren einer endzeitlichen Messiasvorstellung, diese bleibt allerdings blaß und formelhaft.“

Die Qumran-Literatur ist demnach nicht, wie Eisenman/Wise es darstellen, die einer messianischen Elite (134).

Im Fragment 4 Q 521 („Der Messias des Himmels und der Erde“ ; Krupp: Messianische Apokalypse) ist eine erstaunliche Messiashoffnung niedergelegt, und es besteht eine frappierende Übereinstimmung zwischen der messianischen Auskunft, die der matthäische Jesus und der Jesus der Logienquelle der Anfrage des Johannes des Täufers erteilt (4 Q 521 Frgm. 1 Kol 2 Satz 12).

Die Matthäus-Evg.-Kommentatoren müssen dies künftig in Betracht ziehen (vgl. K. Berger 100). Auch wenn diese messianische Belebung der Toten (Mt 11,5) „eine Rückkehr ins irdische Leben“, aber nicht eine Auferstehung zum ewigen Leben meinen sollte, wie Maaß (193) annimmt, — was ich mit Stegemann a.a.O., 290 bezweifle — ist nichtsdestoweniger zutreffend, daß es bestimmte Vorstellungen über messianische Taten im Judentum nicht gibt und daß man vom Messias keine Heilungswunder erwartet (H. Maaß mit U. Luz 136). Ebenso gibt auch das vielbehandelte Dokument 4 Q 285 (nesi‘ haceda) vom getöteten (oder tötenden) Messias8 nichts für Spekulationen um einen „messianischen Führer“ (Nasi') her, wie Eisenman/Wise, a.a.O., 30 wollen (138). Schließlich ist gemäß Maaß der Gottes-Sohn-Titel, mit dem wir uns „im Zentrum des christlichen Jesus-Bekenntnisses“ befinden (140), im Dokument 4 Q 246 (aram. bereh di'el, bar‘eljon) nicht das, was Eisenman/Wise (a.a.O., 74 ff.) diesem Titel zutrauen, sondern es ist wahrscheinlicher, daß mit dieser Gottes-Sohn-Prädizierung „ein heidnischer Herrscher mit seinem Machtanspruch gemeint ist“ (143).

Die Aussage „vom ewigen Königreich“ (Gottes) im Dokument 4 Q 246 hat die endgültige Heilszeit im Blick, die auch „im Rahmen der jüdischen Apokalyptik“, in den Psalmen und in anderen biblischen Texten anvisiert ist, wo Gott als König gepriesen wird. Freilich wurden diese Aussagen in Qumran „in konkrete Endzeithoffnungen umgemünzt“ (147).

Dagegen stand im Mittelpunkt der Verkündigung Jesu die Gottesherrschaft (ebd. als präsente).

Im vierten und vorletzten Kapitel verhandelt der Vf. die „Ethik“, rituelle und religiöse Vorschriften und näherhin die Gemeinde-„Verfassung“ — man könnte sagen das „Grundgesetz“ der Qumran-Essener im Vergleich mit den christlichen „Grundschriften“.

Der schon oft gezogene Vergleich der „Kompromißlosigkeit der Bergpredigt“ (154 ff.) mit einem dieser gegenübergestellten Radikalismus in Qumran: Einmalehe, Haß (vgl. Mt 5,43 — ist dort Qumran gemeint?) wird vorgestellt und die falsche Schlußkette von Eisenman/Wise zurückgewiesen, die Qumran-Gemeinschaft sei, wie die Urchristenheit, eine militante Zeloten-Bewegung (160). Im Sachverhalt der brüderlich-geschwisterlichen Zurechtweisung (Mt 7,1 ff., 18,15 ff.) gibt es Parallelen („verständnisvolles Bemühen“) zum Christentum; allgemein aber ist zu sagen, daß bei den Qumran-Essenern ein auffälliger Unterschied zum Neuen Testament besteht hinsichtlich der Regelung von konkreten Lebensfragen (Umsetzung des Dekalogs!): „Qumran (dagegen) ist offensichtlich nur an Fragen der kultischen Reinheit und der innergemeindlichen Disziplin interessiert“ (166) und es geht der Gemeinschaft um endzeitliche Abkapselung. Freilich ist die Sabbatheiligung auf die Spitze getrieben: Menschenrettung (mit einem Gegenstand) ist untersagt mit Verweis auf CD XI, 9.13.16 f. Im Fragment 4 Q 251; 2,2-79 hat Maaß eine „ländliche Variante?“ vorgestellt, wonach man einen Menschen, der am Sabbat ins Wasser fiel (und zu ertrinken droht), an seinen Kleidern herausziehen darf (178 f.).

Was den Sonnen-Kalender von Qumran angeht, um mit seiner Hilfe in die Passionschronologie der Evangelien Klarheit zu bringen, hat Maaß bündig dargelegt: es gibt keine Möglichkeit.

Die Auferstehungsfrage, d. h. ob „Hoffnung auf ewiges Leben in Qumran“ bestand, bescheidet der Vf., wie bereits oben gesagt, mit einer Fehlanzeige (193), auch wenn man 4 Q 52110 Fr. 1 Sp. 2,12 ins Feld führen wollte. Dies alles seien nicht „tragfähige Belege für eine Auferstehungshoffnung im Sinne pharisäischer und christlicher Erwartungen“ (193 A 157).

Ich möchte dem insofern zustimmen, als der Abstand zwischen pharisäischer und christlicher Auferstehungshoffnung zumindest ebenso groß ist. Die christliche Auferstehung beginnt mit dem auferstandenen Jesus, nicht mit dem (vorösterlichen) Auferstehungsglauben von Mk 12 par.

Das letzte Kapitel „Hilfe, Qumran? — Hilfe aus Qumran!“ geht resümierend auf die Bedeutung der Qumran-Funde ein. Ein ausführliches Namens- und Stichwortregister, eine handliche Zeittafel und eine Kurzbeschreibung der hauptsächlichen Qumran-Schriften runden das informative Buch ab.

Corrigenda: Skehan (32), Archelaos (61), charon (69), tahorah (110), miqzat macase hatora (165 A 51).

  1. M. Baigent/R. Leigh, Verschlußsache Jesus. München 1991.
  2. R. Eisenman/M. Wise, Jesus und die Urchristen. München 1993.
  3. B. Thiering, The Qumran Origins of the Christian Church. Sydney 1983 (1990). Dies. : Jesus aus Qumran. Sein Leben neu geschrieben. Gütersloh 1993.
  4. K. Berger, Qumran und Jesus. Wahrheit unter Verschluß? Stuttgart 1993.
  5. H. Stegemann, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus. Freiburg 1993.
  6. 0. Betz/R. Riesner, Jesus, Qumran und der Vatikan. Gießen/Freiburg 1993.
  7. M. Krupp, Qumran — Texte zum Streit um Jesus und das Urchristentum. Gütersloh 1993.
  8. Vgl. M. Krupp, a.a.O., 116-118.
  9. Zählung nach Eisenman/Wise, a.a.O., 205 ff.
  10. Es muß bei Maaß 4 Q 521 statt 4 Q 251 heißen.

Alwin Renker


Jahrgang 2/1995 Seite 136



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