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Sauerbier, Edith (Hg.),

Charlotte Klein — „Pionierin der Verständigung“

Hedwig-Dransfeld-Haus, Bendorf 1992. 141 Seiten.

Wer war Charlotte Klein? Warum muß ihr Andenken bewahrt werden? Kaum jemand, auch in interessierten Kreisen des jüdisch-christlichen Dialogs, kennt ihren Namen. Das mag vordergründig damit zu tun haben, daß ihr Leben ausgespannt war zwischen Deutschland, Israel, England und den USA. Zeitlich erstreckte es sich von 1915 bis 1985 — also ganz biblisch, was sehr zu ihr paßte: „Unser Leben währet siebenzig Jahr . . . und wenn's köstlich gewesen ist, so ist's Mühe und Arbeit gewesen“ (Ps 90,10a+c). Auch dieser Nachsatz des Psalmisten dürfte auf sie zutreffen!

Geboren wurde sie in Berlin, wo sie in einer frommen, streng orthodoxen jüdischen Familie aufwuchs. Gestorben ist sie in London — als Sionsschwester, also als katholische Ordensfrau. Die Predigt in ihrer Totenmesse hielt Rabbiner Lionel Blue unter dem Motto „ist schwer zu sein ein Yid“, endend mit „l'Chaim! — Auf's Leben“ — Leben, für das sich Charlotte Klein entschieden hatte — fürs diesseitige wie fürs ewige! Vier Rabbiner und viele jüdische Freunde sprachen in einer christlichen Ordenskapelle für diese Nonne das Kaddisch.

Wenige Monate vor ihrem Tod hatte Charlotte Klein Berlin besucht und dort wie traumwandlerisch in der Kantstraße 125 die winzige alte Synagoge ihres Vaters „in der Tradition eines polnischen „Stiebl“ gefunden — einer anderen Nutzung zugeführt, aber liebevoll gepflegt (ihre Erinnerung daran ist samt Foto hier zu finden).

Daß Charlotte Klein hierzulande eine weithin Unbekannte ist, dürfte auch noch einen tieferen Grund haben: „Charlotte Klein hat uns die Augen geöffnet; daß sie von vielen nicht wahrgenommen bzw. schnell wieder vergessen wurde, ist Teil der antijüdischen Geschichte der Kirchen.“ So der evangelische Schuldekan Albrecht Lohrbächer. Die evangelische Neutestamentlerin Luise Schottroff beschreibt die Wirkungsgeschichte des wichtigen, 1975 deutsch erschienenen Buches von Charlotte Klein „Theologie und Anti-Judaismus“. Charlotte Klein wies in dieser „Studie zur deutschen theologischen Literatur der Gegenwart“ nach, daß wichtigste Autoren, die von den Studierenden gelesen werden, (ungewollt) antijudaistisch argumentieren. „Wenn wir die Fehler der neutestamentlich-wissenschaftlichen Tradition nicht analysieren, werden sie auch fortgesetzt werden“, schlußfolgert Schottroff, aber: „Das Buch von Charlotte Klein ist von deutschen Neutestamentlern mit Schweigen übergangen worden . . . Es wurde nur von den wenigen aufgenommen, die sich außerhalb der Universitäten bzw. an deren Rande für den theologischen Antijudaismus interessierten.“

Hier ist nicht nur die liebenswerte Persönlichkeit, ihr ungewöhnlicher Lebensweg, ihr weitgespanntes Arbeitsfeld, sondern vor allem ihre Bedeutung für ein neues Verhältnis zwischen Juden und Christen an Texten von ihr und über sie zu entdecken.

Ruth Ahl


Jahrgang 2/1995 Seite 141



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