Studien zur Religionstheologie Band I. Verlag St. Gabriel, Mödling 1994. 545 Seiten.
Die islamitisch-religionswissenschaftlichen Professorinnen Annemarie Schimmel und Rotraud Wieland sowie ihre männlichen Kollegen Ludwig Hagemann, Adel Theodor Khoury und Hans Zirker haben die religions-theologische Tagung, die 1993 an der Hochschule St. Gabriel in Mödling bei Wien stattfand, ideell geprägt, von der dieser Band berichtet. Ihre Themen waren: „Muhammed— im Anspruch des Letzten der Propheten, die Gott gesendet hat“, „Er ist Gott, der einzige— gesellt Ihm nichts bei“, „Die Welt ist sein Geschöpf. Zum Verhältnis von Transzendenz und Immanenz“, „Der Mensch und seine Stellung in der Schöpfung, Zum Grundverständnis islamischer Anthropologie“, „Die Weltverantwortung des Menschen aus islamischer Sicht“, „Die Transzendenzerfahrung in der islamischen Mystik“, „Der Koran, das endgültige Wort Gottes in menschlicher Sprache“, „Der Islam als Religion, Gesellschaft und Kultur“, „Der Weg des Menschen vor Gott, Irdisches Glück und paradiesische Vollendung“, „Polytheisten, Juden und Christen“. Theologische und philosophische Grundfragen, die einem Außenstehenden vom Islam her entgegenwehen und ihn mit Furcht, Widerspruch oder Enthusiasmus erfüllen, werden fachkundig angegangen. Die Vorträge machen bewußt, daß der Islam „entsetzlich viele Möglichkeiten zu Mißverständnissen“ bietet, solange man die „Doppelbödigkeit“ koranischer und nachkoranischer Aussagen „nicht kennt“ (239). Das Erstaunlichste an diesem Band sind die redaktionell ausgezeichnet aufgearbeiteten „Anfragen und Gesprächsbeiträge“ im Anschluß an die zehn Vorträge. Kompetente Professoren wurden für die Tagung zur Diskussion gewonnen. Ihre Anfragen und Zusatzbemerkungen wurden samt den Antworten der Fachreferenten nachträglich von allen Beteiligten überarbeitet. Durch die zusätzlichen bibliographischen Angaben kann der Laie wissen, zu welchen Büchern (aus dem englischen, französischen und deutschen Sprachbereich) er zu greifen hat, wenn er sich um das Verständnis des Islam bemühen will. Das Buch behandelt in erster Linie theologische und philosophische Fragen, die der Islam der christlich-abendländischen Geistigkeit aufgibt.
Damit ist selbstverständlich keine Vollständigkeit erreicht. Geschichtliche Fragen berühren auch hier systematische Zusammenhänge. Wenn auf sie später das Scheinwerferlicht fallen soll, dann sollten unbedingt auch judaistische Fachleute beigezogen werden. Der Islam ist ja in beträchtlichem Ausmaß das Ergebnis aus nachbiblischem Judentum mit seinen gesetzlichen, haggadischen und mystischen Komponenten sowie aus christlichen Traditionen und Vorgaben. Man kann dies etwa an dem im vorliegenden Band öfters angesprochenen Thema der „Beigesellung“, „Zugesellung“ (jüdisch: „Schittuf“) erkennen. Daß jede gegnerische oder vorausgegangene Religion eine Mischung aus „Ur-Wahrem“ und falschen Zusätzen ist, ist eine Idee, die schon im mittleren Platonismus bei Kirchenvätern und Rabbinen eine wichtige Rolle gespielt hat. „Gott ist der Einzige — gesellt ihm nichts bei“ (Sure 39,4 u. ö.) ist also ein höchstes islamisches Gebot mit Vorgeschichte. Eine Geschichte der „Beigesellung“ bzw. des Schittufs wäre also anhängig. Diese Anregung liegt ganz auf der Linie von Professor Zirkers Bemerkung: „Der eigentliche Gegensatz besteht für den Islam nicht zwischen den Muslimen und den Polytheisten, sondern zwischen den konsequenten Monotheisten, das sind die Muslime, und jenen, die Gott etwas beigesellen, den muśrikün. Unter diese fallen nicht nur die Polytheisten, sondern auch Christen und Juden“ (80 f.). Weitere im Zusammenhang mit dem Islam geschichtlich noch aufzuarbeitende Probleme sind der Monismus, der Neuplatonismus und die Gnosis. Von letzterer sagt Hans Zirker zu Recht: „Vieles spricht für die Annahme, daß Gnosis geschichtlich nie untergegangen ist, sondern die Kulturräume der Religionen durchdringt“ (270).
Es ist schade, daß am Schluß kein Sachwörterverzeichnis steht. Ein solches würde das Nachschauen und Vergleichen stark erleichtern. Über das Buch verstreut tauchen islamische und religionswissenschaftliche Schlüsselbegriffe auf. Ihre Kenntnis ist für das Verständnis des Islams unumgänglich.
Von der Warte einer Zeitschrift der modernen jüdisch-christlichen Bewegung aus schaut man dankbar auch auf jene Männer und Frauen, die nach Wegen zum Islam hin forschen. Der vorliegende Band der Hochschule St. Gabriel dient damit auch der jüdisch-christlichen Selbstvergewisserung. Es hilft mit, neue Ansätze für das jüdisch-christliche Gespräch zu finden, das seit langem unter einem Isolationismus leidet.
Clemens Thoma
Jahrgang 2/1995 Seite 183