Das Zentrum für Antisemitismusforschung
Aufgaben und Forschungsschwerpunkte
Das 1982 gegründete Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin ist die einzige und zentrale Einrichtung ihrer Art in Europa. Die interdisziplinäre Grundlagenforschung zum Antisemitismus wird durch angrenzende Schwerpunkte, deutsch-jüdische Geschichte und Holocaustforschung, ergänzt. Das Zentrum für Antisemitismusforschung, das in die akademische Lehre eingebunden ist, wird in hohem Maß auch als eine öffentliche Institution verstanden, die weit über den Rahmen eines Universitätsinstituts hinaus Dienstleistungen und Aufklärungsarbeit für die Öffentlichkeit erbringt.
Der Antisemitismus kann aufgrund seiner langen Existenz und seiner vielfältigen Erscheinungsweisen als das Paradigma für die Erforschung von sozialen Vorurteilen und Gruppenkonflikten gelten. Mit den gegenwärtigen weltweiten Migrationsprozessen und mit der Neuformierung von Gesellschaften mit großen ethnischen Minderheiten in Europa wiederholen sich strukturell viele Konflikte und Problemstellungen, die wir aus der Geschichte des Zusammenlebens von Juden und Nichtjuden kennen. Gerade deshalb kann sich das Zentrum für Antisemitismusforschung nicht auf den engeren Gegenstand beschränken, es versteht sich vielmehr als zentraler Ort für allgemeine und übergreifende theoretische und methodische Forschungen zu Vorurteil und Diskriminierung, zu Migrationsprozessen und Minoritätenkonflikten, zur Geschichte diskriminierter Minderheiten. Der Begriff des Antisemitismus muß deshalb im Sinne einer Forschungsstrategie erweitert werden und Phänomene einbeziehen, die von Minoritätenkonflikten bis zum politischen Extremismus reichen, wie sie derzeit in Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhaß neue Ausprägung finden.
Aktuelle Probleme wie Xenophobie und Rassismus verlangen Antworten, die auf Forschungen basieren. Die Öffnung der Grenzen Europas ermöglicht und erfordert es, den Blick nach Osten zu richten, wo alte Vorurteilsstrukturen in aktuellen Krisensituationen neuen Nährboden finden. Der im Dezember 1994 vom Zentrum veranstalteten Konferenz über Judenfeindschaft in Lettland sollen Kolloquien zu aktuellen Problemen des Antisemitismus in Litauen und anderen Staaten Osteuropas folgen.
Die Beobachtung aktueller Trends im Bewußtsein und im politischen Verhalten der Deutschen — Antisemitismus, Fremdenfeindschaft, Extremismus — mit empirischen Methoden der Sozialwissenschaft ist ein wichtiger Arbeitsbereich des Zentrums. Die Holocaustforschung wird auch in Zukunft einen wichtigen Platz im Zentrum für Antisemitismusforschung haben. Ein Projekt ist dem Thema Solidarität und Hilfe für Juden 1933-1945 gewidmet. Als erstes Ergebnis ist ein Sammelband geplant, der Regionalstudien von Norwegen bis zur Ukraine über das Verhalten der nichtjüdischen Bevölkerung des deutschen Herrschaftsgebiets gegenüber Juden zusammenfaßt.
Neuland im Bereich der deutsch-jüdischen Geschichte wird beschritten im Vorhaben, Periodika in jiddischer Sprache, die im 20. Jahrhundert in Berlin erschienen sind, zu dokumentieren und zu analysieren. Das Bild der Juden in der populären Druckgraphik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts steht im Mittelpunkt eines volkskundlich-kunsthistorischen Projekts.
Das Zentrum publiziert außer dem Jahrbuch für Antisemitismusforschung mehrere Buchreihen (bei Campus und im Metropol Verlag Berlin), zu ihnen gehört die Serie „Lebensbilder — jüdische Erinnerungen und Zeugnisse“ im Fischer Taschenbuchverlag. Bibliothek und Archiv des Zentrums stehen allen wissenschaftlich interessierten Benutzern zur Verfügung.
Seit 1992 unterstützt der „Verein der Freunde und Förderer des Zentrums für Antisemitismusforschung“ die Arbeit des Instituts. Der Verein hat den Zweck, Hilfe bei der Lösung struktureller Schwierigkeiten und bei Überwindung finanzieller Engpässe zu bieten. So finanziert der Verein u. a. Doktorandenstipendien.
(Spendenkonto: Hypo-Bank Berlin, BLZ: 101 207 60, Konto: 522 0 101 241)
Wolfgang Benz
Hermann-Maas-Medaille
In der ehemaligen freien Reichsstadt Gengenbach wurde 1887 Hermann Maas geboren. Der evangelische Theologe war zuletzt Prälat des Kirchenbezirks Nordbaden. Er setzte sich, oft unter Gefährdung seines Lebens, für den Frieden zwischen den Völkern und Religionen ein sowie für verfolgte jüdische Mitbürger. Nach dem Krieg wirkte er für die Versöhnung zwischen Juden und Christen und Deutschen. 1967 wurde in der Yad-Vashem-Gedenkstätte zu seinen Ehren ein Johannisbrotbaum gepflanzt. 1994 wurde von seiner Heimatgemeinde erstmals die Hermann-Maas-Medaille verliehen, die alle zwei Jahre an Personen, Gruppen oder Institutionen vergeben wird, die sich besonders im Geiste von Hermann Maas in der Ökumene im „Dienst am Nächsten und um Verständigung und Versöhnung zwischen Religionen und Völkern — insbesondere zwischen Deutschen und Israelis, zwischen Christen und Juden — in Wort und Tat bemühen . . .“
Als erste Preisträgerin wurde Dr. Barbara Just-Dahlmann gewählt. Sie war Oberstaatsanwältin in Mannheim. Sie ist Trägerin der Theodor-Heuss-Medaille und des Moses-Mendelssohn-Preises. Sie war Mitglied der Arbeitsgruppe „Juden und Christen“ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. Die Verleihung der Hermann-Maas-Medaille fand am 3. Dezember 1994 in der evangelischen Kirche in Gengenbach im Schwarzwald statt. Die Laudatio auf die Preisträgerin hielt der badische Landesbischof und Vorsitzende des Rates der EKD, Dr. Klaus Engelhardt.
bl
Zum Thema Friedensprozeß Israel/Palästina
Vom 15.-17.04.1994 trafen sich in Bad Nauheim Vertreter des Staates Israel und der palästinensischen Generaldelegatur in der Bundesrepublik Deutschland sowie ein interessiertes Publikum. Wenn der Friedensprozeß zwischen Israel und der PLO glücken soll, muß der Friedensprozeß bald Früchte tragen, weil die Menschen sonst ungeduldig würden.
An Israel geht die Erwartung, daß Kollektivstrafen abgeschafft würden, an die Adresse der PLO, daß auch sie ihr Bedauern über die jüdischen Opfer der Anschläge zum Ausdruck bringt. Israelis und Palästinenser müßten gegen die Radikalen beider Seiten zusammenarbeiten. Horst Dahlhaus, ehemaliger Direktor der Bundeszentrale für politische Bildung, warnte davor, in diesem Konflikt von außen „weise Ratschläge“ zu geben. Frieden sei das Werk der Realpolitiker, betonte Günther B. Ginzel, der als Journalist Israel besucht hatte. Der Frieden sei nur durch Kompromisse zu gewinnen. Ein Scheitern des Friedensprozesses würde für alle Betroffenen nur negative Folgen haben.
Aufgabe von Deutschen könne es sein, Besserwissenden Einhalt zu gebieten, kritisch und korrektiv gegenüber Vereinfachern zu argumentieren.
bl
Versöhnungsarbeit für ein Begegnungzentrum in Ein Karem
In der Nähe Jerusalems kann sich André Zamofing aus Bulle (Schweiz) als Zivildienstleistender für ein Projekt zur christlich-jüdischen Versöhnung einsetzen. Die Verantwortung für das Projekt trägt der Verein „Bereshit-Gense” in Montpellier. Der Entschluß dazu war in ihm bei einem Israelaufenthalt gereift. In Ein Karem gibt es bereits eine Gemeinschaft, die sich dem Gebet, dem Wort Gottes, dem Studium und der Arbeit widmet. Dieses Haus ist gleichzeitig ein Ort der Begegnung für Juden und Christen, die dort in gegenseitiger Achtung leben wollen. Das Zentrum befindet sich zwar noch im Aufbau, es gibt dort aber bereits eine Herberge, eine Bibliothek, ein Haus für das Gebet. Mit seiner Arbeit in Ein Karem möchte A. Zamofing auch zur Annäherung von Juden und Christen in der Schweiz beitragen.
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Studientagung der Buber-Rosenzweig-Stiftung
Am 13./14. Mai 1994 stellten sich ca. 100 Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Frage der widersprüchlichen deutschen Identität nach der Vereinigung. Referenten waren: Prof. Dr. Werner Jochmann, Prof. Dr. Hans-Joachim Meyer, Staatsminister für Wissenschaft und Kunst im Freistaat Sachsen und Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Dr. Walter Romberg MdEp, Dr. Ansgar Koschel, Geschäftsführer des Deutschen Koordinierungsrates. Die Wiedergewinnung der nationalen Identität nach der Vereinigung 1989 sei nur dann legitim, wenn sie das Wohl der Völker Europas einschließe. Auch Israel sei an dieser Klärung der deutschen Identität interessiert. Deutsche Identität müsse das Element der historischen Schuld bewahren. Das sei besonders wichtig im Blick auf die rechtsextremistischen Ausschreitungen der jüngsten Vergangenheit.
bl
Jahrgang 2/1995 Seite 233