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Ben-Chorin, Schalom, Langer, Michael

Die Tränen des Hiob

Bilder von Hans-Günther Kaufmann. Tyrolia-Verlag, Innsbruck-Wien 1994. 84 Seiten mit 20 meist zweiseitigen farbigen Abbildungen.

Bildbände sind beliebte Repräsentationsgeschenke. Eignet sich das Drama des Hiob, die Theodizee-Frage nach dem Leiden Unschuldiger, die Gotteserscheinung im Wettersturm dafür? Warum nicht auch solch ein ernsthaftes Geschenk für sich und andere?

Der christliche Theologe Michael Langer führt behutsam gründlich in die Schichten des jede Zeit erregenden Werkes ein, von der Wette des „Gottessohnes“ Satan mit Gott bis zu den Hiob-Fragen der Gegenwart. „Der geduldige Hiob“ stand noch als unanfechtbare Überschrift in meiner Schulbibel. Und er ist doch einer, der die „weisen“ Reden der Freunde über Leiden als Strafe für Schuld oder als pädagogische Prüfung nicht annimmt, sondern seine Klagen, Vorwürfe, sein Warum gegen Gott schleudert und ihn doch als Erlöser erwartet: den ihm unverständlichen lebendigen Gott.

Der des Hebräischen unkundige Leser wird aufmerksam gemacht, daß Gott, den Hiob zuvor nur mit den kanaanäischen Gottesnamen El und Schaddai (der Allmächtige) nannte, dann, als er selber auftritt mit seinem persönlichen Zusage-Namen aus Exodus 3,14.

Dem Leser des Hiob-Buches mag die wortgewaltig dichterische Vorstellung seiner Schöpfung wie eine großartige Imponiergebärde Gottes erscheinen. Wesentlich aber ist die Offenbarung, daß Gott auch Herr der Chaosmächte ist, hier vertreten durch die mythischen Tiere Behemot (auf dem Land) und Leviathan (im Wasser). Die Begegnung mit Gott gibt Hiob — auch dem Menschen heute — keine Antwort auf sein Warum, sondern die Erkenntnis Gottes, was in der Bibel nicht nur eine Einsicht des Verstandes, erst recht kein Bescheidwissen über Gott ist, sondern das Ergriffenwerden von einer Person, hier eine Ahnung des Mit-Leidens Gottes, das dann in Jesus leibhaftig wird.

Der weise Jude Schalom Ben-Chorin führt in die Tiefe der jüdischen Hiob-Tradition. Der heutige Mensch fragt beim unverschuldeten Leiden nach dem Dasein Gottes. Hiob prozessiert gegen Gott, der Richter, Zeuge und Anwalt ist. Hiob weiß, daß Zorn, Prüfung, Gerechtigkeit, Verteidigung, Begnadigung nur eine Quelle haben. Ben-Chorin zitiert den mittelalterlich-spanischen Dichter Salomo Ibn Gabirol: „Und suchst du meine Sünde, flieh ich von dir zu dir.“

Juden kennen keine Theodizee. Gott ist kein Gegenstand der Diskussion, sondern Partner des Dialogs, der das Menschenleben in Leid und Freude ist. „Der Gott Hiobs ist kein Gott der Philosophen, sondern die dunkle Urmächtigkeit, die wir spüren, ohne sie erklären oder intellektuell reflektieren zu können“ wie die klugen Reden der Freunde Hiobs, die meinen, das Mysterium aufhellen zu können. Das Buch Hiob ist nicht Historie, sondern Lehrerzählung höchsten Ranges. Und so endet Schalom Ben-Chorin mit dem Talmud: Hiob hat nie gelebt — und führt weiter: „Gerade deshalb lebte und lebt er, solange Menschen leben und leiden.“

Hiob als Bildband: nicht mit gezeichneten, gemalten, plastischen Darstellungen Hiobs und seiner Geschichte, sondern mit fotografischer Kunst. Der so geniale wie ehrfüchtige Hans-Günther Kaufmann konnte aus seinen Augen-Entdeckungen aus aller Welt, Natur-Landschafts-Aufnahmen schöpfen: Einsamkeit, Steine und Sand, alte Bäume, dramatischer Himmel, jüdische Grabsteine, gefallene Blätter, Kreuze, junger Trieb aus verletzter Natur, Meeresbrandung, steinige Wege, Frost, Nebelwald — schön, erschreckend, tröstend, verheißend.

Elisabet Plünnecke


Jahrgang 3/1996 Seite 41



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