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Gertrud Luckner
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Jonas, Hans

Gedanken über Gott. Drei Versuche

Suhrkamp-Verlag, Frankfurt/M. 1994. 107 Seiten.

Das Nachdenken über Gott oder den Urgrund unseres Seins hat die Menschen seit Tausenden von Jahren beschäftigt. Sie kamen zu sehr unterschiedlichen Vermutungen und sogar zu „Beweisen“, was gar nicht möglich ist, da etwas nicht Falsifizierbares nicht bewiesen werden kann, und wie wollte man die Transzendenz beweisen? Ein Wissen ist also unmöglich. Das eben legt Hans Jonas in seinen Drei Versuchen dar. Und doch. Auch ohne Wissen kann nicht nur der Glaube bestehen, sondern auch eine begründete Vermutung. Jonas weiß, daß sein Abschweifen in theologische Gefilde von seiner Philosophenzunft scheel angesehen wird — von den zünftigen Theologen ohnehin. Die Frage nach Gott ließ ihn aber ein Lebenlang nicht ruhen, daher unternimmt er es am Ende seines langen Weges, seine persönliche Gewißheit eines Höchsten, eines Schöpfers zu bezeugen und die Gründe dafür darzulegen.

Ganz besonders muß einem Juden nach Auschwitz diese Frage auf der Seele brennen. Wie konnte der von Juden und Christen als allmächtig, allgütig und allweise beschriebene und geglaubte Gott zulassen, was in Auschwitz geschah? Die Juden waren von Anbeginn bis Auschwitz sicher, daß die jeweiligen Verfolgungen und Pogrome die Strafe Gottes für den Ungehorsam ihres Volkes gegen Gott waren. Aber Auschwitz hatte eine andere Dimension, diese Vernichtung konnte nicht mehr auf irgendwelchen Ungehorsam zurückgeführt werden, Auschwitz war absolut sinnlos, es traf Schuldige, Unschuldige, Kinder, Gläubige und Ungläubige, es war die Vernichtung um der Vernichtung willen.

Wie ist nun so Sinnloses und Ungeheuerliches mit der Allmacht und Allgüte Gottes zu vereinbaren? Jonas bietet uns eine einsichtige, völlig unorthodoxe Erklärung an: Gott ist nicht allmächtig, er konnte nicht eingreifen und das Böse verhindern, weil Gott sich seiner Allmacht freiwillig — aus Liebe? — bei der Schöpfung begeben hat, um den Menschen damit für sich selber die Freiheit zu geben. Logisch und ausführlich erklärt Jonas das Wesen der Macht. Macht muß einer anderen Macht gegenüber stehen, um mächtig wirken zu können, genau wie im Physikalischen Kraft eine Gegenkraft braucht, um nicht leer und damit unwirksam zu sein. Ohne Widerstand, auf die Macht stößt, kann sie nicht Macht ausüben. Und weil Gott eben nicht allmächtig ist, leidet er unter dem Bösen, das die Menschen sich und seiner Schöpfung antun. Schon in der hebräischen Bibel gibt es Beispiele, in denen Gott leidet und sich sorgt. Aber — es gibt die Sechsunddreißig Gerechten unter den Völkern, die in einem äußersten Maß den in den Menschen auch vorhandenen Willen zum Guten leben und damit beweisen, daß die Freiheit, die der Schöpfer seinen Geschöpfen geschenkt hat, so gebraucht werden kann, daß Gott nicht leiden muß. Wäre Gott allmächtig, wie könnte er das Böse zulassen und für uns Menschen, seine Geschöpfe, noch verständlich sein? Ein absolut unverständlicher Gott ist unannehmbar. Ein unverstehbarer Gott, der allmächtig ist und trotzdem das Böse duldet, das er aufheben könnte in seiner Allmacht, erweist sich für Jonas als absurd. Für alle, die die Gebote und die von den Propheten erfahrenen Offenbarungen als von Gott kommend glauben, ist die wenigstens teilweise Verstehbarkeit Gottes zwingend.

Für Jonas, und er begründet es, soweit das Wesen Gottes überhaupt begründet werden kann, ist Gott wohl ewig, aber nicht ewig gleich und unveränderlich, er ist ein Werdender, der durch die Veränderung seiner sich ständig verändernden Schöpfung affiziert wird und sich selbst verändert, also „wird“. Er hat sich seiner Allmacht und Unverletzlichkeit begeben, also müssen wir Ihm nun geben, weil er uns die Freiheit zum Guten und nicht nur zum Bösen gegeben hat.

Ich möchte das kleine Buch allen, die an der Absurdität von Auschwitz leiden und verzweifeln, sehr empfehlen. Diese Versuche und Überlegungen eines Philosophen sind tröstlich, wenn auch gar nicht orthodox. Gott ist auf keinen Fall beweisbar, und jedermann ist gefordert und berechtigt, sich mit Ihm auseinanderzusetzen, was heute nach Auschwitz noch schwieriger ist als zu Zeiten von Aristoteles, Descartes, Spinoza oder welchen Philosophen und Theologen auch immer. Noch dazu in einer Sprache, die trotz des philosophischen/theologischen Inhalts so leicht und schön zu lesen ist, nicht nur für Eingeweihte, sondern für dich und mich. Ein Lichtblick in der Finsternis unseres Glaubens.

Eva Auf der Maur


Jahrgang 3/1996 Seite 47



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