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Lustig, Arnośt

Finsternis wirft keine Schatten

Originalausgabe: Tma nema stin. Übersetzt aus dem Tschechischen von Peter Ambros. Luchterhand-Literaturverlag, München 1994. 254 Seiten.

Zwei jüdischen Jungen, Dany und Many, gelingt die Flucht aus einem Häftlingstransportzug. So ähnlich wie ihre Namen sind sie auch als Personen, darum werden sie im Buch auch meistens nur der Erste und der Zweite genannt. Das lange Lagerleben im KZ hat ihre Individualität beinahe völlig aufgehoben. Sie schleppen sich nach geglücktem Absprung aus dem Zug während eines amerikanischen Fliegerangriffs irgendwo in Süddeutschland — der Transport geht nach Dachau — durch den Wald, hungrig, durstig, ausgemergelt, aber mit unbändigem Lebenswillen. Den hat das Grauen in Auschwitz nicht auslöschen können. Sie haben erlebt, daß ihre Eltern und Geschwister „durch den Schornstein gejagt“ wurden, haben Erschießungen und jegliche Gemeinheit der „Herrenmenschen“ erfahren, aber ebenso die Niedertracht und den blanken Egoismus der Häftlinge. Sie selber waren froh um die heiße Wand der Verbrennungsöfen, an der sie sich wärmten, und mitleidlos, wenn einer der Häftlinge, der gemein und egoistischer als unbedingt nötig zum Überleben, „durch den Schornstein“ mußte. Töten und Getötetwerden war für sie der Alltag geworden. Sie waren auch selber dazu bereit — wenn, ja wenn sie es hätten tun können. Doch als es lebensrettend gewesen wäre, da konnten sie es eben doch nicht tun, so wenig wie sich gegenseitig im Stich lassen, als der eine Fieber hat und der andere die Gangräne im Fuß. „Man“ tut so etwas einfach nicht, und auch, weil man zu zweit mehr bei sich selbst ist als allein.

Sie sprechen wenig miteinander, es gehen ihnen nur viele Gedanken an ihr früheres Leben als Kinder in Prag und an ihre Lagerzeit durch den Kopf, auch, was sie „nachher“ in Prag tun werden.

Die Flucht durch den kalten, verregneten Wald ist beklemmend eintönig beschrieben und die Hügel, die Bäume, der glitschige Boden so eindringlich, daß man sie in den eigenen Händen und Füßen spürt. Arnośt Lustig gibt seine eigene Erfahrung wieder, denn auch er ist 1945 aus Buchenwald geflohen.

In einem imaginären Nachkriegsgespräch mit einem Mädchen, das er vor der Deportation in Prag kannte, sagt Many auf die Frage, warum sie, die Juden, die nicht umgebracht haben, die sie umbrachten, daß das eben niemand seiner kleinen Schwester beigebracht habe, daß sich jedoch die Besten der Erwachsenen wohl gewehrt hätten. „Für sie war der Widerstand ihr erstes und ihr letztes Recht, aber auch ihr Gewissen, und mit dem Gewissen ist es wie mit dem Herzen: du kannst nicht ein Stück davon herausschneiden und erwarten, daß der Rest so funktioniert wie vorher das ganze Herz.“

Die kurze und doch unendlich lange Flucht endet mit der kaltblütigen, feigen Erschießung der beiden Jungen von hinten durch wehrunfähige Dorfgreise, die ihr Dorf von Juden, Zigeunern und anderem Gesindel freihalten wollen. Die beiden Jungen gehen, sich gegenseitig stützend wie bisher, nackt und hinkend bis in den Tod.

Die Monotonie der Erzählung hat eine fast hypnotische Wirkung, man kann das Buch so wenig aus der Hand legen wie einen Roman voll „action“, der einen bis zum Ende in Spannung hält. Hier ist es die Handlungslosigkeit, die einen ansaugt und gefangennimmt bis zuletzt.

Eines ist schade. Der Übersetzer unterliegt, wie die meisten seiner Zunft, dem Irrtum, den Slang der Originalsprache in norddeutschem Jargon wiederzugeben. Das ist störend, denn einmal sind die beiden Jungen Prager und dann ist es für Nicht-Norddeutsche immer unangenehm, dieser Art Schnoddrigkeit zu begegnen. Die Übersetzung ist im übrigen so schön und dem Inhalt so gemäß, daß es unverständlich ist, daß dieser Fauxpas vom Lektor nicht ausgemerzt wurde.

Eva Auf der Maur


Jahrgang 3/1996 Seite 58



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