Mit einer Einleitung von Richard von Weizsäcker. v. Hase & Koehler Verlag, Mainz 1994. 282 Seiten.
Im Sommer 1942 stand Axel von dem Bussche bei Dubno in der Ukraine vor einer rechteckigen Grube. „Vor der Grube standen nackte Menschen. Männer, Frauen, Greise und Kinder. Sie standen hintereinander, in einer ganz normalen Schlange, in der man nach Milch oder Brot ansteht. Die Schlange war an die 600 Meter lang. Am Rand der Grube saß ein SS-Mann. Er ließ die Beine herabhängen und hielt eine Maschinenpistole in den Händen. Er gab ein Zeichen, und die Schlange rückte vor. Die Menschen stiegen die in die Erde gegrabenen Stufen hinunter und legten sich in der Grube hin, einer neben den anderen, das Gesicht nach unten. Der SS-Mann gab Feuer, winkte gleich darauf, und die Schlange rückte vor. Die Menschen stiegen in die Grube und legten sich auf die Körper, die schon dort lagen. Ein Feuerstoß, der nächste Wink. Die Schlange rückte vor . . .“
Den 24jährigen, hochdekorierten, mehrfach verwundeten Offizier, väterlicherseits niedersächsischem, mütterlicherseits dänischem altem Adel entstammend, führt das in Dubno Erfahrene zu dem Entschluß, Hitler umzubringen. Fast zwei Meter groß, blond, blauäugig, eignete er sich als „Mannequin“, um dem Tyrannen und mit ihm Göring und Himmler neue, dem russischen Winter besser wehrende Uniformen vorzuführen. Dabei wollte Axel von dem Bussche sich und die drei zu Tode sprengen mit einer unter der Kleidung versteckten englischen Granate. Der Zug, auf dem die Uniformen zum Transport in die Wolfsschanze verladen waren, brannte aber bei alliiertem Bombenangriff aus. Bussche mußte zur Front zurück, verlor ein Bein; er konnte nicht mehr als Attentäter dienen.
In den restlichen 50 Jahren seines Lebens quälten ihn Phantomschmerzen am amputierten Bein. Und nie verließ ihn die Frage, ob der gültigere Widerstand nicht der gewesen wäre: sich der Uniform zu entledigen und sich in die schweigende „Schlange“ zu fügen.
An seine Stelle trat der ebenfalls schwer versehrte Claus von Stauffenberg. Dessen Erhebungsversuch scheiterte am 20. Juli 1944. — Über den Inneren Widerstand gegen Hitler liegt eine unübersehbare Bibliothek vor. Neues, darunter dieses Gedenkbuch, erschien im Umfeld des 50. Jahrestages des „20. Juli“. Inmitten dieser Fülle wird der Band seine Bedeutung bewahren. Vierundzwanzig Autoren würdigen Axel von dem Bussche. Richard von Weizsäcker (Regimentskamerad und Freund) ist einer von ihnen; außerdem: Hanna Krall, Rolf Pauls (erster deutscher Botschafter in Israel), Marion Gräfin Dönhoff, Claus Jacoby, Jan Reifenberg und andere. Sie bezeugen Axel von dem Bussche als menschlichen und nach „Dubno“ tatbereiten Widerständler. Zum Zeitpunkt, da wir das juristische Verbot der „Auschwitz-Lüge“ legitimieren, da wir „übelzeitiger“ Historisierung wehren müssen, ist das Buch eine Notwendigkeit. Den Inneren Widerstand gegen Hitler zählte Churchill „zum Edelsten, was die Geschichte aller Völker je gekannt hat“. Wer das Buch nimmt und liest, wird das Urteil bestätigen, aus ihm sich bestärkt finden.
Otto Kopp
Jahrgang 3/1996 Seite 61